Süddeutsche Zeitung

China:Massive Polizeipräsenz verhindert neue Proteste

Die chinesischen Sicherheitskräfte verschärfen ihre Kontrollen, um weitere Demonstrationen gegen die harten Covid-Beschränkungen einzudämmen. Das Vorgehen der Regierung stößt international auf Kritik, doch es soll auch erste Zugeständnisse geben.

Ein mögliches Wiederaufflammen der Proteste gegen die harte Null-Covid-Politik der chinesischen Regierung ist in mehreren Städten durch massive Polizeipräsenz verhindert worden. In der Hauptstadt Chinas, Peking, und in Metropolen wie Shanghai, Guangzhou oder Hangzhou waren seit Montag verstärkt Sicherheitskräfte auf den Straßen zu sehen, berichtet die Deutsche Presse-Agentur. Demnach wurden Passanten vielfach angehalten und mussten ihre Handys zeigen, die auf verdächtige Inhalte oder Programme wie Tunneldienste (VPN) zur Umgehung der chinesischen Zensur untersucht wurden.

In Peking ist die Uferpromenade des Liangma-Flusses in der Nähe des Diplomatenviertels besonders gesichert, hier hatten am Sonntagabend Hunderte demonstriert. In Shanghai waren Sperren an der Wulumuqi-Straße - benannt nach der Stadt Urumqi, auch Ürümqi, Hauptstadt des Uigurischen Autonomen Gebietes Xinjiang - errichtet worden, um größere Menschenansammlungen wie am Wochenende zu verhindern. Denn Auslöser für den Widerstand war ein Hochhausbrand im westchinesischen Urumqi, bei dem zehn Menschen ums Leben gekommen sind.

Nach Aufrufen zu neuen Protesten in sozialen Medien war auch am Platz des Volkes der ostchinesischen Hafenmetropole ein massives Polizeiaufgebot zu sehen, wie Augenzeugen schilderten. Die BBC berichtet zudem, dass die Polizei mehrere Menschen festgenommen habe. Personen, die Fotos von den Protesten machten, seien angehalten und angewiesen worden, die Bilder auf ihren Geräten zu löschen.

Infolge der Proteste gegen die strikten Corona-Regeln hat China erneut angekündigt, die Impfkampagne für ältere Menschen vorantreiben zu wollen. "Wir sollten die Impfung gegen Covid-19 beschleunigen, insbesondere bei älteren Menschen", sagte Mi Feng, ein Sprecher der Pekinger Gesundheitskommission, am Dienstag. Aktuell seien noch immer nur rund 40 Prozent der Menschen im Alter über 80 Jahren dreifach geimpft. Das könnte nach Einschätzungen von Experten im Falle einer unkontrollierten Corona-Welle zu vielen Opfern führen. Dennoch soll die Regierung angesichts der Proteste Lockerungen planen.

Demnach sollen Menschen, die zu Hause bleiben, künftig keine ständigen Covid-Tests mehr durchführen müssen - eine Abkehr von den früheren Massentests. Ältere Menschen und Studenten, die Online-Kurse besuchen, seien von den täglichen Tests in Guangzhou künftig ausgenommen worden. Bewegungseinschränkungen, wie sie in Peking auferlegt wurden, sollen in der Regel nicht länger als 24 Stunden dauern, heißt es seitens der Behörden.

Hartes Vorgehen des Staates gegen die Proteste stößt international auf Kritik

Das teils harte Vorgehen des Staates gegen die Proteste wegen der Corona-Auflagen stößt derweil international auf Kritik. Wie der Deutschlandfunk berichtet, haben sowohl die UN als auch die US-Regierung und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Peking zur Achtung der Meinungsfreiheit aufgerufen. Die chinesischen Behörden sollten auf die Proteste im Einklang mit den internationalen Menschenrechten reagieren, erklärte das UN-Menschenrechtsbüro in Genf.

Die US-Regierung betonte das Demonstrationsrecht der chinesischen Bevölkerung: "Die Menschen sollten das Recht haben, sich zu versammeln und friedlich gegen politische Maßnahmen, Gesetze oder Vorschriften zu protestieren, mit denen sie nicht einverstanden sind", sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, am Montag zu Reportern. "Wir setzen uns weiterhin für das Recht auf friedliche Proteste ein und unterstützen es. Wir werden das genau beobachten", so Kirby weiter.

Bundespräsident Steinmeier sagte in einem Interview mit der Deutschen Welle, er habe Verständnis dafür, dass die Menschen angesichts der belastenden strikten Maßnahmen ihre Ungeduld auf den Straßen zeigten.

Auslöser der Proteste war ein Feuer mit zehn Toten

Es sind die größten Proteste in China seit der Demokratiebewegung 1989, die das Militär am 4. Juni jenes Jahres blutig niedergeschlagen hatte. Auslöser der seltenen öffentlichen Unmutsbekundungen war ein Hochhausbrand in der Metropole Urumqi (Ürümqi) in Xinjiang in Nordwestchina am Donnerstagabend mit mindestens zehn Toten. In den sozialen Netzwerken hatte sich die Ansicht verbreitet, dass die Bewohner bei dem Brand nicht rechtzeitig hatten fliehen können, weil das Gebäude wegen der Null-Covid-Politik teilweise verschlossen gewesen war. Die Stadtverwaltung bestreitet das.

Durch die extrem rigiden Maßnahmen der Behörden im Kampf gegen das Coronavirus nimmt der Unmut in der Bevölkerung seit Wochen immer mehr zu. Viele Millionenstädte sind weitgehend lahmgelegt. Die Menschen stören sich an ständigen Tests, Ausgangssperren, Zwangsquarantäne, lückenloser Überwachung durch Corona-Apps und Kontaktverfolgung. Schon bei einzelnen Infektionen oder Verdachtsfällen werden ganze Wohnblöcke und Wohnanlagen abgeriegelt.

Verärgerte Bewohner rissen in Peking und anderswo errichtete Absperrungen nieder. In der Hauptstadt sind Geschäfte, Restaurants und Schulen geschlossen. Ein Fünftel der zweitgrößten Volkswirtschaft und damit Hunderte Millionen Menschen dürften landesweit von Lockdowns betroffen sein, schätzen Experten. Viele Unternehmen stoßen an ihre Grenzen. Beschäftigte und gerade Wanderarbeiter müssen häufig schmerzhafte Lohneinbußen hinnehmen, da es in China kaum Corona-Hilfen gibt. Wer nicht arbeitet, verdient nichts.

Bereits vor einigen Wochen war es zu Unruhen in einer Fabrik in Zhengzhou gekommen. Tausende Mitarbeiter hatten aus Angst vor einer Infektion oder Quarantäne die Flucht ergriffen, später stellte Fabrikbetreiber und iPhone-Produzent Foxconn den Mitarbeitern höhere Löhne in Aussicht, um sie zur Rückkehr zu bewegen. Diese sollen nicht bezahlt worden sein, woraufhin erneut Proteste ausgebrochen sind.

Trotz des rigorosen Vorgehens gegen das Virus wird China gegenwärtig von der schlimmsten Corona-Welle seit Beginn der Pandemie vor knapp drei Jahren heimgesucht. Die Gesundheitskommission meldete am Montag mit rund 40 000 Neuinfektionen wieder einen Höchststand im Land.

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