China:Chinesische Charmeoffensive

China: Künstliche Freundlichkeit: Der chinesische Präsident Xi Jinping als Tonfigur inmitten anderer Weltpolitiker in einem Laden in der ostchinesischen Stadt Hangzhou.

Künstliche Freundlichkeit: Der chinesische Präsident Xi Jinping als Tonfigur inmitten anderer Weltpolitiker in einem Laden in der ostchinesischen Stadt Hangzhou.

(Foto: Ng Han Guan/AP)
  • China preist den Freihandel und Klimaschutz in der EU und zeigt sich über den Brexit entsetzt.
  • Bei lange ungelösten Firmenstreitereien zeige sich Peking mit einem Mal entgegenkommend, berichten europäische Diplomaten.
  • Peking schafft sich außerdem eigene Zugänge nach Europa, etwa durch Investitionen im großen Stil in mehreren Ländern, was zu Problemen zwischen den EU-Ländern führen könnte.

Von Kai Strittmatter, Peking

Europa im Jahr 2017: verunsichert, erschreckt - und verwirrt dazu. Mit einem Mal ist da eine große Macht, deren Präsident offen den Zerfall der Europäischen Union herbeisehnt: die USA. Und dann ist da eine andere große Macht, die Freihandel und Klimaschutz preist, sich über den Brexit entsetzt zeigt und deren Regierungschef im Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel verkündet, sie werde mehr denn je ein "standhafter Unterstützer" der europäischen Integration sein. Das ist China. Er komme sich vor "wie im falschen Film", sagt ein europäischer Beobachter in Peking.

Donald Trump hat die Welt durcheinandergewirbelt. Ist es ein Wunder, dass einigen Europäern an manchen Fronten die Schnittmengen mit China größer erscheinen als mit den USA? "Wir hatten das Gefühl, er hält unsere Rede", sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen nach dem Globalisierungsplädoyer von Chinas Parteichef Xi Jinping beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Europäische Diplomaten berichten derweil von einer Charmeoffensive, mit der Peking sie seit Trumps Amtsantritt überziehe. Bei lange ungelösten Firmenstreitereien zeige sich Peking mit einem Mal entgegenkommend, der alljährlich stattfindende EU-China-Gipfel soll nun auf April oder Mai vorgezogen werden - die Chinesen wünschen sich eine Show der Gemeinsamkeit.

Das war vor Kurzem noch ganz anders. Die Stimmung wurde zuletzt immer schlechter. Die Freihandelsrhethorik pflegt China schon lange, in Wirklichkeit aber praktiziert das Land zu Hause in vielen Feldern knallharten Protektionismus. Überhaupt werden die Freiräume im Land immer kleiner, die Repression nimmt zu. Und die Verbeugungen vor einer starken EU? Existieren vor allem in Sonntagsreden. "China nimmt die EU nicht mehr richtig ernst", sagt Mikko Huotari von der Berliner China-Denkfabrik Merics. Beim EU-China-Gipfel im vergangenen Jahr hatte es zum ersten Mal nicht einmal mehr eine gemeinsame Abschlusserklärung gegeben. Und die dort vereinbarte Sitzung des Menschenrechtsdialogs strichen die Chinesen später einfach.

Auch den Skandinaviern macht Peking Avancen

Die demonstrative neue Freundlichkeit überdeckt ein großes Knirschen im europäisch-chinesischen Verhältnis. Genau zwei Tage nach Ende des letzten EU-China-Gipfels, am 15. Juli, wurde offenbar, wie sehr die EU im Umgang mit China gespalten ist. Gerade war das Urteil des Internationalen Schiedsgerichtshofes in Den Haag ergangen, das Chinas Territorialansprüche im Südchinesischen Meer großteils für nichtig erklärte. Die großen EU-Länder - Deutschland, England, Frankreich - hatten eine Erklärung vorbereitet, in der China aufgefordert wurde, sich an internationales Recht zu halten.

Die Erklärung wurde gekippt und dann verwässert, unter anderem von Griechenland und Ungarn - Staaten, in die China mittlerweile in großem Stil investiert. Offenbar hatte Peking die Länder unter Druck gesetzt. "Da hat sich China offensichtlich Einfluss gekauft", sagt Angela Stanzel vom European Council on Foreign Relations ECFR in Berlin, Co-Autorin eines jüngst erschienenen ECFR-Papiers mit dem Titel: "Chinas Investition in Einfluss". China schafft sich eigene Einfallstore nach Europa. Das "16 plus 1"-Format etwa vereint seit fünf Jahren 16 Länder Osteuropas und des Balkans zu einem "China investiert bei uns"-Klub. Europas Südländer würde China am liebsten in einem ähnlich strukturierten Mittelmeer-Forum an sich binden. Und auch den Skandinaviern macht Peking Avancen.

Die "16 plus 1"-Staaten treffen sich einmal im Jahr, die Teilnehmerstaaten bekommen ein paar Minuten Audienz bei Chinas Regierungschef und dürfen auf Milliardeninvestitionen hoffen, auch im Rahmen des "Neuen-Seidenstraße"-Projekts Chinas. Der Sitz des Generalsekretariats des "16 plus 1"-Forums ist im Außenministerium in Peking. Einige der so umworbenen Länder warten bislang vergeblich auf chinesisches Geld und sind inzwischen frustriert, bei anderen aber - Griechenland, Ungarn und Tschechien zum Beispiel - fließt einiges an Investitionen.

"Spalten kann man nur, was sich spalten lässt"

Der griechische Hafen Piräus wurde unter chinesischer Regie und nach Investitionen von mehr als vier Milliarden Dollar zum am schnellsten wachsenden Containerhafen der Welt. In Ungarn will China einen Hochgeschwindigkeitszug bauen, und die Tschechen bekamen Investitionen in Höhe von mehr als 8 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020 versprochen. Der tschechische Präsident Miloš Zeman bedankte sich in einem Interview mit Chinas Staatssender CCTV mit dem bemerkenswerten Satz, sein Land "unterwerfe" sich nicht länger europäischem Druck, was die Chinapolitik angehe. Ungarische Diplomaten verlesen in Peking dem Vernehmen nach mittlerweile schon Erklärungen zu Menschenrechten, die so klingen, als seien sie in Chinas Außenministerium verfasst worden.

"Es gibt wohl kein anderes Land, das wirtschaftlichen Einfluss so unmittelbar als Druckmittel für politisches Wohlverhalten einsetzt", sagt ein hochrangiger europäischer Diplomat in Peking. "Es gibt jetzt eine Charmeoffensive gegenüber der EU, gleichzeitig wollen sie weiter verhindern, dass es bei Themen wie Menschenrechten oder Südchinesisches Meer Mehrheiten gegen sie gibt. Mit Staaten wie Ungarn sitzt China bei diesen Themen in Brüssel jetzt praktisch mit am Tisch. Es gibt keine zentrale China-Frage mehr, bei der die EU noch einer Meinung wäre."

Stimmt alles, sagt Reinhard Bütikofer, Chef der Europäischen Grünen und im Europaparlament mit den Beziehungen zu China befasst - aber: "Spalten kann man nur, was sich spalten lässt". Nicht China könne man das zum Vorwurf machen, große EU-Staaten wie Deutschland müssten sich auch an die eigene Nase fassen. Sie setzten oft selbst "zu selbstsüchtig" auf starke bilaterale Beziehungen zu China, ohne an die anderen EU-Länder zu denken. "Damit liefern sie der chinesischen Seite auf dem Silbertablett die Möglichkeit, als Spalter aufzutreten."

Tatsächlich profitiert kein anderes Land so vom Handel mit China wie Deutschland. Im Januar erklärte der Deutsche Industrie- und Handelstag China zum ersten Mal zum Handelspartner Nummer eins für Deutschland. "Deutschland hat zum Beispiel eine Innovationspartnerschaft mit China", sagt Bütikofer. "So ein Format könnte man doch auch für europäische Nachbarn öffnen und so integrierend wirken."

China finanziert Projekte oft nur, wenn chinesische Firmen beauftragt werden

Lange hatte man den Eindruck, Brüssel stürze daheim so atemlos von Krise zu Krise, dass es China und die große Welt gar nicht mehr auf dem Radar hatte. Das hat sich geändert. Überraschend einigten sich die Mitgliedstaaten Ende des vergangenen Jahres auf eine klare Position zum umstrittenen Marktwirtschaftsstatus für China, vor allem verschärften sie das Anti-Dumping-Regelwerk der EU. Zudem verabschiedete die EU im vergangenen Jahr tatsächlich ihre lang erwartete China-Strategie, mit klaren Aussagen zu allen Problemfeldern wie Marktzugang oder Menschenrechten. "Die Frage ist nun", sagt Reinhard Bütikofer, "wie sehr die Kommission von ihren Mitgliedstaaten ausgebremst wird."

Eine erste Kraftprobe wird gerade ausgetragen: Wie die Financial Times diese Woche meldete, hat die EU soeben eine Untersuchung eingeleitet gegen den Bau der 350 Kilometer langen Hochgeschwindigkeitszugstrecke zwischen Budapest und Belgrad - ein von China durchgeführtes und gefeiertes Projekt, das die "Neue Seidenstraße" ins Herz von Europa tragen und am Ende auch eine Anbindung an den Hafen von Piräus schaffen sollte.

Ein Projekt, das in Berlin und anderen Hauptstädten Besorgnis auslöste: Der Vertrag über die Bahn wurde nie veröffentlicht. Brüssel will nun untersuchen, ob das Projekt gegen EU-Gesetz verstößt, weil es etwa keine offene Ausschreibung gab. China finanziert Infrastrukturprojekte oft unter der Bedingung, dass mit dem Bau dann auch chinesische Firmen beauftragt werden.

Und vor ein paar Tagen war ein Brief bekannt geworden, in dem die Wirtschaftsminister Deutschlands, Frankreichs und Italiens die EU-Kommission auffordern, Regeln zur Investitionsüberprüfung einzuführen - Regeln, die in den USA schon seit Jahren existieren. China wird in dem Brief nicht erwähnt, aber es ist gemeint. Chinas Investitionen in der EU schnellten im vergangenen Jahr auf 35 Milliarden Euro hoch, 77 Prozent mehr als im Vorjahr. Kritiker mahnen, zum einen kaufe China sich in Bereiche ein, die es zu Hause ausländischen Investoren versperrt; sie fordern gleichberechtigten Marktzugang.

Vor allem aber drohe der "mögliche Ausverkauf" (so der Ministerbrief) von strategischen Schlüsseltechnologien durch nicht transparente, staatlich finanzierte Aufkäufer. Der ehemalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel war mehrmals in Peking angeeckt, weil er eine Debatte über chinesische Übernahmen wie jene des Roboterherstellers Kuka angestoßen hatte. "Das wird einer der wichtigsten Tests der nächsten Zeit sein", sagt Mikko Huotari von Merics, "ob die EU zu einer gemeinsamen Haltung bei der Investitionsfrage findet." Die Interessen, das ist jetzt schon klar, könnten unterschiedlicher kaum sein: Wackelkandidaten wie Ungarn, Griechenland oder Polen produzieren keine solchen Schlüsseltechnologien, die sie schützen müssten.

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