China:Guter Gigant, böser Gigant

China: Ein Bild von einer Stadt? Oder eher ein Labor für Totalüberwachung? Selfie in Shenzhen.

Ein Bild von einer Stadt? Oder eher ein Labor für Totalüberwachung? Selfie in Shenzhen.

(Foto: Wang Zhao/AFP)

Die Journalisten Wolfgang Hirn und Thomas Reichart zeigen in ihren Büchern sehr unterschiedliche Auffassungen von Pekings Politik - eine Abhandlung liest sich wie ein Kniefall vor der Kommunistischen Partei.

Rezension von Edeltraud Rattenhuber

Der Große Sprung an die Spitze - dass China ihn schaffen will, daran gibt es keinen Zweifel. Doch wie sollen sich Deutschland und die EU im zunehmend destruktiv ausgetragenen Wettkampf zwischen den Machthabern in Peking und den USA positionieren? Darüber wird kontrovers diskutiert.

Als Beispiele, wie weit die Positionen in der Debatte auseinanderliegen, seien die beiden Neuerscheinungen "Shenzhen. Die Weltwirtschaft von morgen" von Wolfgang Hirn und "Das Feuer des Drachen" von Thomas Reichart angeführt. Beide Autoren sind Journalisten, Reichart leitete das China-Büro des ZDF und berichtet heute über Außen- und Sicherheitspolitik.

Hirn war Reporter beim Manager Magazin. Kürzlich tauchte sein Name im Zusammenhang mit dem mittlerweile verworfenen PR-Plan "China-Reporter" auf, ein Projekt zur Vermittlung eines "besseren China-Bildes", so der Ex-Botschafter Chinas in Deutschland, Shi Mingde. Der Journalist ist außerdem Gründungsmitglied der "China-Brücke".

Hirn mäandert zwischen Sachlichkeit und Liebedienerei

Dieser exklusive Verein will laut Satzung die Freundschaft und das Verständnis zwischen Deutschland, der EU und China fördern. Ohne offene Kritik, versteht sich, die kommt bei China nicht gut an. Leisetreten ist in Pekings Hallen vorteilhafter. Oder bejubeln. Der Mittelweg ist - "staunen". Nicht dass Hirn ihn beschreiten würde, er mäandert, von Sachlichkeit bis zu Liebedienerei.

So liest sich seine 286 Seiten dicke Abhandlung "Shenzhen" wie ein Kniefall vor der Kommunistischen Partei. Aber er "staunt" gelegentlich auch, wozu China fähig ist. Kritik formuliert er allenfalls in Spiegelstrichen. So steht im Vorwort der Satz "Wer wissen will, wie - im Guten wie im Bösen - die Welt von morgen aussehen könnte, der muss nach Shenzhen fahren." Das "Böse" aber wird nicht beschrieben, das "Gute" dagegen exzessiv.

China: Wolfgang Hirn: Shenzhen. Die Weltwirtschaft von morgen. Campus-Verlag, Frankfurt 2020, 286 Seiten, 25 Euro.

Wolfgang Hirn: Shenzhen. Die Weltwirtschaft von morgen. Campus-Verlag, Frankfurt 2020, 286 Seiten, 25 Euro.

Der Autor nennt die südchinesische Millionenstadt Shenzhen eine "Hightech-Megacity", das neue Gravitationszentrum der Weltwirtschaft, in der die Trends der Zukunft gesetzt werden, ob Elektromobilität, Gentechnik oder künstliche Intelligenz. Jüngste, offenste, reichste und teuerste Stadt Chinas - Shenzhen ist bei Hirn ein einziger Superlativ.

Dass eine Welt, in der "Roboter zunehmend den Alltag beherrschen" und "Drohnen Verkehrssünder verfolgen", keine Welt ist, in der die meisten leben möchten - auch Chinesen nicht - wen kümmert's? Und: Gesichtserkennung ist laut Hirn dazu da, "überall Zutritt" zu verschaffen.

Wer denkt sich denn solch euphemistische Floskeln aus, fragt man sich. Weiß doch jeder, dass China, das Minderheiten unterdrückt und Dissidenten gnadenlos verfolgt, das Versuchslabor für die totalitäre Überwachung der Welt ist.

Hirns Empfehlung: Abkehren von den USA

Und doch möchte Hirn uns weismachen, dass wir uns abkehren sollten von den USA - hin zu China. Das ist der völlig wertfrei präsentierte, programmatische Überbau des Buchs. "Unzählige Politikerdelegationen tourten eilig durch das Silicon Valley, um danach den Daheimgebliebenen mit leuchtenden Augen zu erzählen, was dort alles abgeht", schreibt Hirn. "Die Damen und Herren sollten mal die Richtung wechseln."

Und nicht nur er denkt so. Hirn hat Einfluss, auch über das Netzwerk "China-Brücke", in der übrigens auch Vertreter der chinesischen Unternehmen Huawei und Alibaba sitzen. Mittlerweile sind ganze Branchen vom Handel mit China abhängig, das wirtschaftliche Argument hat großes Gewicht. Kritik, so meinen viele, kann man sich nicht mehr leisten. Vor allem weil China zunehmend aggressiv auftritt und Unliebsames sofort sanktioniert.

Hirn konnte in Shenzhen intensiv recherchieren. Zahlen, Daten, Fakten hat er zusammengetragen, Start-ups und Weltfirmen besucht, diverse Interviews geführt. Die einfachen Menschen, die den Reichtum letztlich erwirtschaften, kommen nur am Rande vor. Shenzhen ist ja auch ein Symbol für den unbändigen Willen der vielen Millionen Chinesen, sich aus der Armut herauszukämpfen, ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen - und sei es durch jahrelange Selbstausbeutung.

Zynisch, aber nicht überraschend ist, wie der Autor die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong abtut. Indem er die Proteste "Unruhen" nennt, verharmlost er das Vorgehen des Autokraten Xi Jinping und seiner willfährigen Helfer.

Unternehmer aus Hongkong und Taiwan, der einzigen Demokratie im chinesisch-sprachigen Orbit, kommen in Hirns Bewertung sonderbarerweise als Arbeitgeber meist schlechter weg als die chinesischen Multimilliardäre, die es mit Unterstützung und Duldung der Partei geschafft haben. Man muss betonen, dass Hirn solche politischen Seitenhiebe nicht nötig hätte. Dass er sie trotzdem austeilt, wirkt wie ein Sahnehäubchen auf der Freundschaftstorte.

Thomas Reichart hat einen ganz anderen Ansatz. Er lebte mit seiner Familie fünf Jahre in China, hat im ganzen Land recherchiert. Und obwohl er für einen großen deutschen TV-Sender arbeitete, wurden ihm nicht überall die Türen geöffnet. Im Gegenteil: Unter Xi Jinping werden sie ausländischen Journalisten immer häufiger vor der Nase zugeschlagen.

Jedenfalls werden sie auf Schritt und Tritt überwacht. "Nach kritischen Berichten über Chinas Machthaber hatten wir nachts, wenn niemand mehr da war, auch häufig Besuch in unserem Studio in Peking", so der Autor. "Die nächtlichen Besuche, das wusste in Peking jeder, waren Botschaften von Chinas Staatssicherheit." Reichart nennt sie "Drohungen ohne Absender".

Reichart geißelt die China-Naivität der Deutschen

Der Journalist hat immer mal wieder recherchiert, wie Chinesen unter dem Regime leiden. "Das Feuer des Drachen" ist nicht nur ein Bericht über seine Korrespondententätigkeit in China. Es ist auch eine Philippika.

China: Thomas Reichart: Das Feuer des Drachen. Was Chinesen antreibt, wo sie dominieren und warum sie über uns lachen. dtv-Verlag, München 2020. 272 Seiten, 20 Euro.

Thomas Reichart: Das Feuer des Drachen. Was Chinesen antreibt, wo sie dominieren und warum sie über uns lachen. dtv-Verlag, München 2020. 272 Seiten, 20 Euro.

Der Untertitel, "Was die Chinesen antreibt, wo sie dominieren und warum sie über uns lachen", ließe eigentlich eine generalisierende Studie über den Charakter der Chinesen erwarten - das ist das Buch jedoch nicht. Dass China so stark geworden ist, macht Reichart an den Menschen fest. An ihrer Energie, ihrem Willen, und ihrer Einbettung in eine jahrtausendealte Kultur.

Seite für Seite entwickelt sich das Buch damit zu so etwas wie eine Liebeserklärung an das chinesische Volk - und eine Verteufelung der chinesischen Machthaber. "China ist ein aufregendes Land, es ist nichts, wovor wir uns fürchten sollten", schreibt Reichart. "Aber wir sollten uns auch keine Illusionen machen. China wird regiert von einer diktatorischen Partei, die im Inneren wie nun auch im Äußeren ihre Macht und ihr Regeln durchsetzen will."

Sein Hauptkritikpunkt ist, dass sich Deutschland schon zu lange auf dieses Spiel einlässt. "Bislang hat Deutschland eine Chinapolitik aus der Perspektive eines Handelskontors gemacht", schreibt er. Es habe den Erfolg der wirtschaftlichen Zusammenarbeit über die Menschenrechte gestellt. "Man könnte diese Strategie als Appeasement bezeichnen, und sie hat eine lange Tradition."

Angesichts der zunehmenden außenpolitischen Aggressivität Chinas empfiehlt Reichart Deutschland und der EU einen Richtungswechsel - aber einen anderen als Hirn. Berlin und Brüssel müssten ihre China-Naivität aufgeben und klarmachen, welche Werte sie vertreten und was ihre roten Linien sind, schreibt er. Wenn nur die Wirtschaft nicht wäre.

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