AuslandsstudiumIrgendwann gehen Deutschland die China-Experten aus

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Studierende in China bekommen in letzter Zeit häufiger Kommilitonen aus asiatischen Ländern, Russland und Afrika: Semestereröffnung in Peking im Herbst 2024.
Studierende in China bekommen in letzter Zeit häufiger Kommilitonen aus asiatischen Ländern, Russland und Afrika: Semestereröffnung in Peking im Herbst 2024. (Foto: China News Service/IMAGO)
  • Die Zahl deutscher Studierender in China ist seit der Corona-Pandemie stark gesunken und erholt sich nur langsam, was Experten als problematisch für die deutsch-chinesischen Beziehungen und die Entwicklung von China-Kompetenz betrachten.
  • Im akademischen Jahr 2023/2024 studierten laut DAAD nur 3380 Deutsche in China, verglichen mit über 8000 in den Jahren vor der Pandemie.
  • China wirbt gezielt um Studierende aus asiatischen Nachbarländern, Russland und Afrika.
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Seit der Corona-Pandemie verbringen weniger deutsche Studierende ein Austauschjahr in China. Die Volksrepublik wirbt lieber anderswo um akademischen Nachwuchs.

Von Max Fluder

Jonathan Sawall hat eine vergleichsweise ungewöhnliche Wahl getroffen. Der 21-Jährige, der an der Universität Mannheim Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft studiert, geht im Herbst für ein halbes Jahr an die Tsinghua-Universität in Peking. Er ist damit Teil einer Gruppe, die in den vergangenen Jahren stark geschrumpft ist. Denn mit der Corona-Pandemie ist die Zahl deutscher Studenten in China stark zurückgegangen – und hat sich seitdem nur schleppend erholt.

3380 Studierende waren es 2023/2024 nach Angaben des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD), der seine Zahlen vom chinesischen Bildungsministerium bezieht. In den Jahren vor der Pandemie zogen noch jedes Jahr jeweils mehr als 8000 junge Menschen für ein Studium in die Volksrepublik. In anderen westlichen Ländern ist die Entwicklung ähnlich: So studierten 2019 etwa 12 000 US-Amerikaner in China; zuletzt waren es weniger als 1000. Warum ist das so? Und was bedeutet es für das deutsch-chinesische Verhältnis, wenn auf einer solch grundlegenden Ebene weniger Austausch stattfindet?

Ole Engelhardt ist seit Januar 2024 DAAD-Büroleiter in Peking. Er sagt, die gesunkenen Zahlen liegen auch daran, dass die Volksrepublik während der Pandemie sehr lange isoliert und für deutsche Studierende kaum mehr erreichbar gewesen sei. Für die Volksrepublik selbst ist die Frage, wer aus dem Ausland an ihren Universitäten studiert, von politischem Interesse. „China wirbt um Studierende aus den benachbarten asiatischen Ländern, aus Russland und aus Afrika“, sagt Claudia Wessling vom Mercator Institute for China Studies (Merics), dem einzigen deutschen China-Thinktank. Das sei ganz im Einklang mit dem Ziel, in Zeiten von Spannungen mit westlichen Staaten Alternativen im globalen Süden und bei anderen Verbündeten zu erschließen. Geht es nicht um Studierende, sondern um Spitzenforscher, sei China aber weiterhin an Zusammenarbeit mit US-amerikanischen und europäischen Experten interessiert.

Es braucht Leute, die China gut kennen – nicht nur auf politischer Ebene

Dass die Zahlen der Austauschstudierenden noch deutlich niedriger sind als vor der Pandemie, sei ein Problem, findet Wessling. „Wir brauchen Leute, die nach China gehen und dort nicht nur akademische Erfahrungen machen, sondern auch lernen, das Land zu verstehen“, sagt sie. „Wenn wir es zulassen, dass so eine Kompetenzlücke entsteht, werden mittel- und langfristig Experten fehlen, die über Chinas Motivation und Strategien differenziert informieren können.“ China-Kompetenz sei aus gleich mehreren Gründen relevant, sagt Wessling: weil das Land ein großer Handelspartner ist und geopolitisch immer wichtiger werden will. Aber auch über Wirtschaft und Politik hinaus, auf einer gesellschaftlichen und kulturellen Ebene, ist Expertise wichtig. Wie sonst will man dieses riesige Land verstehen?

Jonathan Sawall, der Student aus Mannheim, freut sich auf den Start seines Auslandsaufenthalts im Herbst. Auf die akademische Chance und die Gelegenheit, sich ein eigenes Bild von China zu machen. Hinzu kommt: Die Tsinghua-Uni ist nicht nur eine Partnerinstitution der Uni Mannheim, sondern sie gilt auch als eine der besten weltweit. Ein Großteil der Deutschen kommt über solche Partnerschaften zwischen Hochschulen nach China. Den Bewerbungsprozess beschreibt Sawall als unkompliziert, die Bürokratie halte sich in Grenzen. Hat man eine Zusage, werde der Rest fast zur Formalie. Die Kurse, die die meisten Deutschen in China belegen, sind ausschließlich auf Englisch.

Trotzdem hat Sawall einen gewissen Respekt vor seinem Auslandsaufenthalt, sagt er. Die weltpolitische Lage sei aufgeheizt und die Linie der Kommunistischen Partei stehe oft konträr zu dem, was viele Europäer denken. Als Vorbereitung, sagt er, habe er nicht nur angefangen, Mandarin zu lernen, sondern auch Bücher über China gelesen – von westlichen Journalisten und Autoren. Die sparen nicht aus, dass die Volksrepublik ein autoritärer Staat ist. Dass persönliche Freiheiten in China einen geringeren Stellenwert genießen als in Deutschland, wird Sawall wohl auch in Peking zu spüren bekommen. Die Regeln von seinem Wohnheim hat er schon zugeschickt bekommen. Einige dieser Vorgaben würden junge Menschen in Deutschland als seltsam empfinden: Besuch nach zehn Uhr abends ist untersagt, ebenso Gebete und andere religiöse Aktivitäten.

Manche Rückkehrer raten zur Selbstzensur – auch, um chinesische Kommilitonen zu schützen

Die zweite Regel dürfte vor allem mit Blick auf Muslime eingeführt worden sein. Die muslimische Minderheit der Uiguren wird in China massiv unterdrückt. Religion, erst recht der Islam, ist eines von vielen Themen, über die man in China nicht frei sprechen kann, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Das gilt auch für ausländische Studierende. In Erfahrungsberichten raten manche Rückkehrer praktisch zur Selbstzensur, auch, um chinesische Kommilitonen nicht in Bedrängnis zu bringen. Immer wieder ist von gesperrten Websites und Apps wie Whatsapp oder Google Maps und ständiger Überwachung die Rede. In Hochschulseminaren werde allerdings, auch das berichten Rückkehrer, ein gewisser Grad an Wissenschaftsfreiheit gelebt.

Als deutscher Student sei es um einiges naheliegender, in anderen Ländern als der Volksrepublik zu studieren, sagt Ole Engelhardt vom DAAD-Büro in Peking. In Europa mit seiner Bewegungsfreiheit oder in den USA, die kulturell näher seien. China wirke da oft ganz fern, auch wenn es mit seiner interessanten Sprache, den Schlüsselindustrien und der Schönheit der Natur eigene anziehende Faktoren habe.

Die Merics-Expertin Wessling hat selbst in China studiert, Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre. Auch damals wurden Ausländer schon überwacht, berichtet sie. „Die Sicherheitsbehörden waren immer informiert, was wir so machten.“  Trotzdem sei sehr viel möglich gewesen: „China am eigenen Leib zu erleben, ist bereichernd.“ Man bekomme ein differenziertes Bild. China, das sei ja nicht nur die Kommunistische Partei, sondern ein riesiges Land mit den unterschiedlichsten Volksgruppen und Menschen.

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