China am Jahrestag des Massakers:Platz des kommunistischen Friedens

Tiananmen-Platz, 20 Jahre später: Nichts soll an das Massaker erinnern. Dennoch ist sichtbar, was nicht gezeigt werden soll.

Gertrude Gärtner, Peking

Die Sonne brennt auf den vielbesuchten Platz, es ist stechend heiß, doch den meisten Menschen scheint das nichts auszumachen. Allenfalls ein paar Frauen schützen sich mit bunten Sonnenschirmen. Zu viel Bräune ist in China unerwünscht. Aus einem umgebauten Bus werden Getränke verkauft, eine Frau bietet selbstgebastelte Flugdrachen an, andere handeln mit Postkarten. Darauf zu sehen: der Platz als idyllisches Reisemotiv.

China am Jahrestag des Massakers: Eine chinesische Touristin auf dem Platz des Himmlischen Friedens: An die blutigen Ereignisse von vor 20 Jahren soll nichts erinnern.

Eine chinesische Touristin auf dem Platz des Himmlischen Friedens: An die blutigen Ereignisse von vor 20 Jahren soll nichts erinnern.

(Foto: Foto: Reuters)

Der Tiananmen-Platz in Peking, der Platz des Himmlischen Friedens, gehört längst zu den wichtigsten Touristenattraktionen in der chinesischen Hauptstadt. Ausländische Besucher schlendern über das 44 Hektar große Areal, Chinesen aus allen Teilen des Landes - bisweilen in der Tracht ihrer Region gekleidet - reisen oft von weit her an, um einmal hier zu stehen, das Mao-Mausoleum zu besuchen und anschließend die Große Halle des Volkes zu sehen.

Tagt dort der Volkskongress, wehen zahlreiche, leuchtend rote Fahnen auf den umliegenden Dächern. Die Leute fotografieren einander mit dem Victory-Zeichen, im Hintergrund das Bild Mao Zedongs am Eingang zur Verbotenen Stadt auf der Nordseite des Platzes. Reisegruppen stellen sich zum Erinnerungsfoto auf. Wer keine Kamera dabei hat, kann sich für umgerechnet etwas mehr als einen Euro ablichten lassen.

An die blutigen Ereignisse von vor 20 Jahren soll da nichts erinnern. Was im April 1989 als friedliche Trauerkundgebung für den verstorbenen Generalsekretär Hu Yaobang begann, endete ein paar Wochen später in einem brutalen Massaker. Damals, in der Nacht zum 4. Juni, rollten Panzer der Volksbefreiungsarmee über das Gelände. Maos Nachfolger Deng Xiaoping soll den Befehl gegeben haben, die Studenten- und Arbeiterbewegung militärisch niederzuschlagen. Es gab mehrere hundert Opfer. Eine genaue Zahl ist nach wie vor nicht veröffentlicht.

Heute wollen nur wenige Chinesen etwas von den Ereignissen um den 4. Juni wissen. Fragt man danach, kommt schon mal die entschuldigende Antwort: "Die Studenten wurden ja zuvor mehrmals gewarnt." Die öffentliche Version gibt vor, der Militäreinsatz sei notwendig gewesen, um die Stabilität des Landes und dessen weitere Entwicklung zu sichern.

Die Regierung ist nach wie vor auf Kontrolle bedacht: Internetseiten mit Berichten zum Massaker können in China nicht geladen werden, sucht man in Google nach Bildern, werden vor allem die Postkartenmotive angezeigt. Auch der Zugang zu den populären Plattformen Twitter und Flickr wurde am Tag vor dem Jahrestag teilweise komplett gesperrt.

Auf die Frage nach der Bedeutung des Platzes, wird gerne vom 1. Oktober 1949 gesprochen. Damals rief Mao Zedong am Tor zum Himmlischen Frieden - so die eigentliche Übersetzung von Tiananmen - die Volksrepublik China aus.

Der große Steuermann wird noch heute hier verehrt. Mitten auf der Fläche wurde ihm 1976 ein Mausoleum errichtet. Die Größe des Platzes lässt sich daher kaum erfassen. Das Gebäude, in dem der Leichnam aufgebahrt liegt, nimmt die Sicht. Heute und morgen ist das Mausoleum allerdings geschlossen. Mancher Chinese starrt enttäuscht auf den geschlossenen Eingang.

Wer heute auf den Platz will, muss zuvor durch einen der Metalldetektoren laufen, wie sie an Flughäfen üblich sind. Taschen werden extra durchleuchtet, überall stehen Uniformierte und Zivilpolizisten. Auch 20 Jahre nach den Ereignissen fürchtet die Regierung Unruhen, will öffentlichen Protest unbedingt vermeiden. Und gerade so wird doch sichtbar, was eigentlich nicht gezeigt werden soll.

Stattdessen bereitet man sich bereits auf die Feierlichkeiten am 1. Oktober vor: 60 Jahre Gründung der Volksrepublik wollen Partei und Regierung mit einer riesigen Militärparade, einem Aufmarsch feiern.

Ansonsten soll der Platz ganz den fotografierenden Touristen gehören.

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