China:Allianz der Mehrheit

China: Sie bestimmen die Agenda beim Gipfeltreffen der "Shanghai-Gruppe": Xi Jinping und Wladimir Putin (von rechts) auf einem Bildschirm vor Journalisten.

Sie bestimmen die Agenda beim Gipfeltreffen der "Shanghai-Gruppe": Xi Jinping und Wladimir Putin (von rechts) auf einem Bildschirm vor Journalisten.

(Foto: Wang Zhao/AFP)

Mit einer eigenen Veranstaltung macht Peking den G 7 Konkurrenz. Die Teilnehmer vertreten fast die Hälfte der Weltbevölkerung.

Von Christoph Giesen, Qingdao

Als US-Präsident Donald Trump sich auf den Weg nach Singapur macht und eine verstörte Runde im kanadischen La Malbaie zurücklässt, wird ziemlich genau auf der anderen Seite der Welt ein Begrüßungsfeuerwerk gezündet. Chinesische Kanonenschläge und knallbunte Raketen erhellen für mehrere Minuten die Bucht von Qingdao, gut ein Dutzend Staats- und Regierungschefs haben sich in der ostchinesischen Hafenstadt zeitgleich zum G-7-Gipfel eingefunden. Russlands Präsident Wladimir Putin ist gekommen, jener Mann, den Trump so gerne in La Malbaie dabei gehabt hätte, Indiens Präsident Narendra Modi, sein Rivale Mamnoon Hussain aus Pakistan, genauso wie der iranische Präsident Hassan Rohani, der seine erste Auslandsreise angetreten hat, seitdem die Vereinigten Staaten den Abrüstungsdeal gekündigt haben. Dazu fünf Staatsoberhäupter aus Zentralasien, der mongolische Präsident und Europas letzter Diktator: Alexander Lukaschenko aus Weißrussland. Zusammen sind sie die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Die Gegenveranstaltung zu den G 7.

Gegründet wurde die Vereinigung 2001 in Shanghai, um Terrorismus, Extremismus und Separatismus in Zentralasien zu bekämpfen. "Die drei bösen Kräfte", nennt die Propaganda das in China. Besonders um die westchinesische Uiguren-Provinz Xinjiang geht es der Führung in Peking. Am Anfang waren es sechs Mitgliedstaaten, und gemeinsam hielten sie Militärmanöver ab. Spätestens seitdem Indien und Pakistan zu Vollmitgliedern der Organisation geworden sind, hat sich der Fokus jedoch geweitet. China schickt sich an, Parallelstrukturen zu errichten. Staats- und Parteichef Xi Jinping möchte das Machtvakuum füllen, das nach der Amtseinführung von US-Präsident Donald Trump und dessen "America First"-Politik entstanden ist - durchaus mit Erfolg. Mit der Shanghai Organisation hat China eine Allianz geschaffen, bei deren Runden sich Staatschefs treffen, die fast die Hälfte der Weltbevölkerung repräsentieren und bei denen Europa und die USA außen vor sind. Allein Indien und China sind für 50 Prozent des Weltwirtschaftswachstums verantwortlich.

Und die Shanghai-Gruppe ist beileibe nicht der einzige Versuch Pekings, eine Konkurrenz zu den etablierten internationalen Organisationen aufzubauen. In Europa hat man den Mechanismus "16 + 1" geschaffen. Elf osteuropäische EU-Mitglieder nehmen daran teil, genauso wie fünf Balkanstaaten. Das siebzehnte Mitglied ist China. Einmal im Jahr wird ein pompöser Gipfel ausgerichtet, und Peking verspricht billige Kredite für Infrastrukturprojekte.

Ein weiteres von China vorangetriebenes Format ist der Austausch der Brics-Staaten. Am Anfang stand ein Essay: "The World Needs Better Economic BRICs", so hieß der Titel des Aufsatzes, den Jim O'Neill im November 2001 veröffentlichte. O'Neill war damals Chefökonom der Investmentbank Goldman Sachs, und er hatte über Schwellenländer geschrieben, wie so viele seiner Kollegen auch. Doch O'Neill war einen Tick kreativer, er erfand ein Akronym, mit dem er die wichtigsten aufstrebenden Staaten zusammenfasste: Brasilien, Russland, Indien und China - kurz Bric. Ausgesprochen klingt das auf Englisch nach einem Ziegelstein, solide eben. Rasch etablierte sich der Begriff in der akademischen Welt. Und nicht nur dort: Was als Wortspiel eines Ökonomen begann, wurde 2006 zur Realität. In New York trafen sich damals die Außenminister der vier Länder. 2009 tagte dann die von O'Neill angeregte Staatengemeinschaft zum ersten Mal offiziell in Jekaterinenburg. Seitdem kommen die Staats- und Regierungschefs jedes Jahr zusammen. Insgesamt sind es nun fünf Teilnehmer, 2010 trat, auf Initiative Chinas, Südafrika dem Klub bei. Geht es nach China, so soll das Bündnis erweitert werden. Thailand oder Mexiko, so heißen die Wunschpartner.

Als das "wichtigste diplomatische Ereignis des Jahres" bezeichnet das Staatsfernsehen die Konferenz

Den größten Einfluss hat China zweifelsohne aber bei der Shanghai Organisation. Offiziell gibt es ein Generalsekretariat in Peking. Aktuell ist der Mann an der Spitze ein Tadschike. Wirklich viel zu sagen hat er allerdings nicht. Die Agenda bestimmen im Wesentlichen China und mit Abstrichen Russland. Die Arbeitssprachen der Organisation sind Chinesisch und Russisch.

Entsprechend groß ist auch die Gipfel-Berichterstattung in den chinesischen Medien. Als "das wichtigste diplomatische Ereignis des Jahres", bezeichnet das Staatsfernsehen die Konferenz. Die Ankunft jeder einzelnen Präsidentenmaschine wird live übertragen. Roter Teppich, Blumen und dann umsteigen in die Staatskarosse mit aufgepflanzter Standarte. Qingdao ist derweil abgeriegelt. An allen wichtigen Kreuzungen der Stadt patrouillieren Sicherheitskräfte. Wer von Peking den Schnellzug nach Qingdao besteigen will, muss durch zwei Kontrollen. Dasselbe Prozedere bei der Ankunft. Getagt wird in einem Konferenzzentrum, das extra für den Gipfel hochgezogen wurde - in Rekordzeit. Sieben Tage die Woche, 24 Stunden wurde gearbeitet, selbst während des chinesischen Neujahrsfests. Was genau in dem neuen Gebäude besprochen wird, erfährt man nur wohldosiert. Niemand twittert, alles scheint zunächst friedlich. Am Samstagabend schaltet sich das Staatsfernsehen zu, als Gastgeber Xi Jinping in einer Rede den "Geist von Shanghai" beschwört: dieselben Interessen und die Gleichheit aller Mitglieder. Zum Galadinner reichen die Chinesen Bier der in der Stadt heimischen Brauerei Tsingtao, ein Vermächtnis der kurzen deutschen Kolonialzeit.

Am Sonntag dann unterzeichnen die acht Vollmitglieder mehrere Vereinbarungen. Sie wollen den Terrorismus noch stärker bekämpfen, kleine und mittlere Unternehmen fördern und künftig gemeinsam gegen Seuchen vorgehen. Herzstück aber ist die sogenannte Qingdao-Deklaration, in der sich alle Teilnehmer zu den angesprochenen Werten von Shanghai bekennen. Ursprünglich sollte auch die Seidenstraßeninitiative von Präsident Xi in das Dokument aufgenommen werden. Mit Hunderten Milliarden Dollar fördert China Infrastrukturprojekte im Ausland - vor allem, um die eigene Industrie zu unterstützen. Doch nicht überall kommt Xis Masterplan gut an. Der Vorwurf: Neokolonialismus. In mehreren Ländern formiert sich Protest gegen die Initiative, nachdem Häfen und Flugplätze dem chinesischen Staat gehören. In der Deklaration fehlt der Verweis auf die Seidenstraße, Indiens Unterhändler haben sich dagegen gestemmt. Offenbar haben doch nicht alle Mitglieder dieselben Interessen.

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