Süddeutsche Zeitung

China:20 Millionen Wanderarbeiter arbeitslos

Folgen der weltweiten Wirtschaftskrise: Jeder siebte Wanderarbeiter hat seinen Job verloren. Die Regierung befürchtet soziale Unruhen.

Die Finanzkrise und der Einbruch der Exportwirtschaft in China trifft vor allem eine Schicht besonders hart: die Wanderarbeiter. Rund 20 Millionen haben bereits ihre Arbeitsplätze verloren - das seien gut 15 Prozent der insgesamt rund 130 Millionen Wanderarbeiter, erklärte Chen Xiwen, ein ranghoher Beamter für ländliche Entwicklung, in Peking.

Dies habe eine Untersuchung des Landwirtschaftsministeriums in 150 Dörfern ergeben. Wanderarbeiter arbeiten insbesondere in arbeitsintensiven Industriezweigen.

Bis Ende des Jahres sei damit zu rechnen, dass 25 Millionen Menschen auf dem Land keine Arbeit hätten, sagte Chen. Das übersteigt die Bevölkerungszahl Australiens.

Manche Analysten gehen sogar von bis zu 40 Millionen Arbeitslosen aus. Besonders schwierig dürfte es für die Menschen werden, deren Ackerland für Entwicklungsprojekte herangezogen wurde und die deshalb auf einen Job angewiesen sind. "Der Schutz der Arbeitsplätze und der sozialen Sicherung schützt die Stabilität auf dem Land", sagte Chen.

Zugleich kündigte er ein gelasseneres Vorgehen der Behörden bei Unruhen und Demonstrationen an. Zuletzt waren vor allem Fabrikarbeiter im Süden aus Wut über ihre Entlassung auf die Straßen gegangen, dabei kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei.

Die chinesische Statistikbehörde hatte im vergangenen Monat noch angegeben, wegen der Wirtschaftskrise seien sechs Millionen Wanderarbeiter ohne Arbeit. Die Regierung in Peking verfolgt die Situation der Wanderarbeiter auch deswegen sehr aufmerksam, weil sie soziale Unruhen befürchtet. Die Zahl der Wanderarbeiter war in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen - um fünf bis sechs Millionen Arbeitskräfte jährlich, sagte Chen.

Indes versucht die chinesische Führung, dem wirtschaflichen Abschwung mit Konjunkturmaßnahmen entgegenzuwirken. Nach der Ankündigung eines Milliardenpakets hat das Land nun noch weitere Maßnahmen zur Ankurbelung seiner Wirtschaft in Aussicht gestellt.

Sein Land werde möglicherweise "neue, rechtzeitige und entscheidende Maßnahmen ergreifen", sagte Ministerpräsident Wen Jiabao in einem Interview mit der britischen Wirtschaftszeitung Financial Times.

"All diese Maßnahmen müssen vorsorglich vor einem wirtschaftlichen Abschwung unternommen werden", fügte Wen hinzu. Die Regierung in Peking hatte im November ein Konjunkturpaket mit einem Umfang von vier Billiarden Yuan (456 Milliarden Euro) angekündigt.

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günther Nooke (CDU), sorgt sich indes um die Menschenrechte in China. Wenn Millionen Wanderarbeiter in den Städten keine Arbeit mehr fänden, werde auch die Versorgung vieler Familien auf dem Land immer schwieriger, sagte er.

Die Regierung in Peking müsse der drohenden Instabilität schon aus Interesse am eigenen Machterhalt entgegenwirken.

Die chinesischen Wanderarbeiter hätten mit ihren Einkommen bislang noch dazu beigetragen, die riesigen materiellen Unterschiede zwischen Stadt und Land zumindest zu verringern, sagte Nooke. Ihre Lage sei angesichts der fehlenden Absicherungen "eines der größten Probleme überhaupt" in China. Wenn nun als Folge der Wirtschaftskrise "nicht einmal ein Mindestmaß an Verdienstmöglichkeiten" bestehen bleibe, drohten der chinesischen Führung durch soziale Unzufriedenheit größere Probleme als etwa durch politische Dissidenten.

Peking werde sich deshalb möglicherweise gezwungen sehen, mehr für die sozialen Rechte und den Schutz der Arbeitnehmer zu tun. "Das könnte auch Chancen bieten."

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AP/AFP/Reuters/bica/bosw
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