Chile: Obduktionsbericht:Salvador Allende: Suizid im Palast

Als der Putschist August Pinochet seinen Amtssitz bombardierte, sah Salvador Allende keine Chance mehr. Chiles Präsident nahm seine Kalaschnikow und jagte sich 1973 zwei Kugeln in den Kopf. An dieser Theorie von der Selbsttötung waren Zweifel aufgekommen, eine neue Obduktion bestätigt sie jetzt. Das Gewehr bleibt jedoch verschwunden.

Peter Burghardt

Am 11. September 1973 nahm Chiles Präsident Salvador Allende seine Kalaschnikow und jagte sich zwei Kugeln in den Kopf. Er sah keine Chance mehr in seinem Amtssitz Palacio de la Moneda im Zentrum von Santiago, den der Putschist Augusto Pinochet bombardieren und belagern ließ. Das Schnellfeuergewehr war ein Geschenk des kubanischen Revolutionärs Fidel Castro - beide wussten, dass die erste gewählte sozialistische Regierung Lateinamerikas viele Feinde hatte.

Obduktionsbericht: Salvador Allende beging Selbstmord

Das Gedenken an Salvador Allende bleibt in Chile lebendig.

(Foto: dpa)

Auch die USA mit dem nachmaligen Friedensnobelpreisträger Henry Kissinger unterstützten den blutigen Umsturz. Bilder zeigen Allende mit der AK-47 über der Schulter und einem Helm auf dem Kopf. Nach einer letzten Fernsehansprache an die Nation zog sich Allende in den "Salon der Unabhängigkeit" der Palastruine zurück und drückte ab. So lautete früher die Version über sein Ende. Und so lautet sie jetzt wieder.

Am Dienstag erneuerten Experten die Theorie vom Suizid, an der Zweifel aufgekommen waren. 2008 hatte der Gerichtsmediziner Luis Ravanal dem Obduktionsbericht aus der Pinochet-Zeit widersprochen. Von einer zweiten Schussverletzung war die Rede, von möglicher Ermordung oder Sterbehilfe durch Allendes Assistenten. Ein chilenischer Richter ließ die Reste des einstigen Staatschefs im Mai auf dem Zentralfriedhof exhumieren und prüfen. Das Ergebnis: "Es war tatsächlich Suizid", erklärte der Gerichtsmediziner Patricio Bustos nun. Ein Ballistiker von Scotland Yard kam zu dem Ergebnis, dass beide Kugeln aus derselben Waffen stammten. Allendes Leibärzte hatten stets versichert, ihn mit gesprengtem Schädel gefunden zu haben. "Das bestätigt endgültig die historische Wahrheit", so Bustos, was auch die Angehörigen des Märtyrers so sehen.

Die Allendes hatten immer die These vom Freitod in Notlage vertreten. Das Resultat der Untersuchung entspreche den Erkenntnissen der Familie, sagt seine Tochter Isabel. Der Präsident Allende habe angesichts der "extremen Bedingungen beschlossen, sich das Leben zu nehmen, statt erniedrigt zu werden oder etwas anderes erleben zu müssen", so die Senatorin der Sozialisten. Sie selbst verließ die Moneda damals rechtzeitig. Verschwörer Pinochet und seine Schergen hatten ihrem Vater zwar seinerzeit angeboten, ihn ins Exil zu schaffen, hieß es. Allerdings brummte der General in einem später veröffentlichten Dialog mit einem Offizier in sein Funkgerät: "Die Offerte, ihn außer Landes zu schaffen, bleibt erhalten. Aber das Flugzeug stürzt ab, Alter, wenn es fliegt."

Mehr als 3000 Andersdenkende und Verdächtige wurden von Pinochets Armee umgebracht oder verschleppt, viele Leichen tauchten nie mehr auf. Zehntausende Chilenen gingen ins Ausland. Unten den Folgen der Gewalt und 17 Jahren Diktatur leidet die Republik bis heute, auch 21 Jahre nach der Rückkehr zur Demokratie und fast fünf Jahre nach dem Tod Pinochets, der nie verurteilt wurde.

Der aktuelle Präsident Sebastián Piñera sagt, er wolle die Vergangenheitsbewältigung unterstützen. Er war als erster Rechtspolitiker seit fünf Jahrzehnten durch Wahlen an die Macht gekommen. "Für unsere Regierung ist es eine Priorität, alle Tode aufzuklären", sagt der Milliardär. Die Opposition zweifelt daran, außerdem ist Piñera derzeit so unpopulär wie nie seit seinem Debüt vor 16 Monaten. Schüler, Lehrer und Studenten protestieren gegen das weitgehend privatisierte Erziehungssystem. Die 2010 glorreich geretteten Minenarbeiter fordern millionenschwere Entschädigungen. Auch der Widerstand gegen das geplante Wasserkraftwerk in Patagonien nimmt zu. Nach Umfragen sind nur noch 31 Prozent der Wähler mit Piñera zufrieden.

Derweil recherchieren Fachleute, ob 1973 der Dichter Pablo Neruda an Krebs gestorben ist oder von Pinochets Umstürzlern vergiftet wurde. Und ob der vormalige Präsident Eduardo Frei 1982 nicht den Folgen einer Leistenoperation erlag, sondern der Einwirkung von Pinochets Giftgas. Salvador Allendes Kalaschnikow bleibt verschwunden.

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