Süddeutsche Zeitung

Chemnitzer FC:Chemnitz muss Demokratieverächtern die Stirn bieten

Lesezeit: 2 min

Gerade schien sich die Stadt etwas erholt zu haben von den rechten Ausschreitungen von 2018. Nun huldigen Fußballfans öffentlich einem Neonazi.

Kommentar von Ulrike Nimz, Leipzig

Es waren verstörende Szenen, die sich am vergangenen Samstag am Rande eines Fußballspiels des Chemnitzer FC abspielten. Im Stadion an der Gellertstraße wurde mit einer Schweigeminute, mit schwarzen Bannern, Pyrotechnik und einem Porträt auf der Anzeigetafel eines verstorbenen Fans gedacht.

Nur: Thomas Haller war nicht bloß ein Fußballfan. Er war Gründer der berüchtigten Hooligan-Gruppe "HooNaRa". Der Name ist ein politisches Bekenntnis: Er steht für Hooligans, Nazis, Rassisten. Die Gruppe verbreitete insbesondere in den 90er-Jahren Angst, sie gilt als verantwortlich für diverse Gewaltexzesse. Es gibt Kontakte zum Unterstützer-Umfeld des NSU. Im Verborgenen hat Thomas Haller in Chemnitz trotzdem nicht agieren müssen: Mit der Security-Firma, die seinen Namen trägt, sicherte er in der Vergangenheit Großveranstaltungen ab, unter anderem das Chemnitzer Stadtfest - und Fußballspiele des Chemnitzer FC.

Mit der Inszenierung im Stadion demonstriert die örtliche Neonaziszene wieder einmal ihre Macht. Einmal mehr ist es ihr gelungen, den öffentlichen Raum zu besetzen und die Botschaft zu senden: Diese Stadt gehört uns. Eine Woche vor Beginn des Prozesses zum gewaltsamen Tod von Daniel H. hätte Chemnitz kaum etwas Schlimmeres passieren können.

Gerade schien die Stadt sich erholt zu haben, von dem Mahlstrom der Ereignisse, in den sie im vergangenen Jahr geraten war. Nach dem Tod des 35-Jährigen versammelten sich Rechtsextreme aus ganz Deutschland in der Stadt. Dazwischen aber auch: Familien mit Kindern, Chemnitzer. Die Bilder von Hitlergrüßen und Böllerwürfen gingen um die Welt. Die Demonstrationen hatten ihren Ursprung in der Chemnitzer Hooliganszene.

"Sind wir uns einig, dass der Hitlergruß nicht okay ist?"

Seitdem sind viele Bundespolitiker nach Chemnitz gereist, um Unterstützung zu signalisieren. Erst vor einer Woche besuchte die Kanzlerin ohne Ankündigung den Basketball-Zweitligisten Niners Chemnitz. Vielleicht, weil sie weiß, dass Sportler mehr noch als Politiker zu Vorbildern taugen, dass ein erfolgreiches Team einer Region Selbstbewusstsein verleihen kann. Der Besuch war eine gut gemeinte Geste - doch einzelne Gesten alleine reichen nicht. Alle müssen nun aufstehen und klarmachen, dass der öffentliche Raum ein Gemeingut ist und keine Propagandabühne für Rechtsextreme.

Fußballstadien sind Gravitationszentren des städtischen Lebens. Dort treffen sich alle Schichten. Unabhängig von politischen Einstellungen haben 90 Minuten lang alle etwas gemeinsam: Sie wünschen sich den Sieg ihrer Mannschaft. Dass ein Fußballverein nun seine gesellschaftliche Verantwortung verrät, es duldet, dass dieses Ritual missbraucht wird, zeigt zweierlei. Von einem Teil der Stadtgesellschaft wird es offenbar nicht als Grenzüberschreitung empfunden, einem Mann zu huldigen, der offen rechtsextrem auftrat. Und es zeigt auch, dass die Stadt in ihrem Bemühen, so etwas wie Normalität wiederherzustellen, noch ganz am Anfang steht.

Wenige Tage nach den Ausschreitungen im Sommer wurde Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer im Stadion des Chemnitzer FC beschimpft und ausgebuht. Wie ein Raubtierdompteur stand er da und fragte: "Sind wir uns einig, dass der Hitlergruß nicht okay ist?"

Die Stadt darf es sich nicht bieten lassen, dass dieser Minimalkonsens erneut infrage gestellt wird. Sie muss zeigen, dass Demokratieverächter hier nicht das Wort führen. Dass nun Sponsoren ihre Unterstützung aufkündigen, Lokalpolitiker lautstark widersprechen, ist ein Anfang. Noch wirkungsvoller wäre es, wenn künftig die Fans der "Himmelblauen" deutlich machten, dass sich Verein und Vereinnahmung ausschließen. Stadion und die Straßen mit ganz unterschiedlichen, friedlichen Aktivitäten zu füllen, ist die Aufgabe aller Demokraten. In Chemnitz und anderswo.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4362611
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.