Süddeutsche Zeitung

Prozessbeginn:"Probelauf" zum Terror

  • In Dresden hat am Montag der Prozess gegen eine mutmaßliche Terrorgruppe begonnen.
  • Die Mitglieder der sogenannten "Revolution Chemnitz" hätte der Anklage zufolge einen "Systemwechsel" herbeiführen wollen.

Von Antonie Rietzschel, Dresden

Am Rand von Dresden, zwischen Wertstoffhof und Justizvollzugsanstalt, steht ein weißer Klotz, der in den vergangenen Jahren Schauplatz politischer Unwuchten im Land geworden ist. Eigentlich sollte hier die Kantine einer Flüchtlingsunterkunft entstehen. Dann kamen weniger Asylbewerber. Dafür kehrte in Sachsen der rechtsextreme Terror der 90er Jahre zurück. Das Oberlandesgericht ließ das Gebäude zum Hochsicherheitssaal umbauen, mit einer dicken Glasscheibe zwischen Publikum und Gericht. Im Frühjahr 2018 fiel hier das Urteil gegen sieben Männer und eine Frau, die in Freital Flüchtlinge und Politiker terrorisiert hatten. Es folgten Verfahren gegen Mitglieder der rechtsextremen "Oldschool-Society".

Erste Anschläge waren 2018 in Berlin geplant, am Tag der Deutschen Einheit

Jetzt hat in Dresden der Prozess gegen eine weitere mutmaßliche Terrorgruppe begonnen. Als sich am Montagvormittag die Seitentür des Hochsicherheitssaals zum ersten Mal öffnet, betritt Christian K. in Begleitung eines Justizbeamten den Raum. Der schmale Mann im karierten Hemd und mit Tattoo am Hals gilt als Rädelsführer von "Revolution Chemnitz". Als Anführer von sieben weiteren Männern, die nach K. in den Saal geführt werden. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen die Gründung und Mitgliedschaft in einer rechtsterroristischen Vereinigung vor. Gemeinsam hätten sie einen "Systemwechsel" herbeiführen wollen. Erste Anschläge waren offenbar in Berlin geplant, am 3. Oktober 2018, dem Tag der Deutschen Einheit.

Die Angeklagten sind junge Männer. Die meisten von ihnen sind kurz vor oder nach der Wende geboren, aufgewachsen in sächsischen Kleinstädten, wo Rechtsextremismus als harmlose Jugendbewegung galt, nicht aber als Gefahr. K. kommt aus Chemnitz, wo sich über Jahre ein dichtes Geflecht aus Rechtsextremen und Hooligans bildete. Die Angeklagten kennen sich von Demonstrationen oder Konzerten. Einige waren Teil der mittlerweile verbotenen Kameradschaft "Sturm34". Christian K. galt als deren Anführer.

Der Anklage zufolge sollen einige der Männer auch an rechtsextremen Ausschreitungen beteiligt gewesen sein, die 2018 auf den Tod des Deutsch-Kubaners Daniel H. folgten. H. wurde am Rande des Stadtfests erstochen, mutmaßlich von zwei Flüchtlingen. Einer der Tatverdächtigen befindet sich auf der Flucht, der zweite, ein junger Syrer, wurde vor wenigen Wochen zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt. Auch dieser Prozess wurde im Dresdner Hochsicherheitssaal verhandelt. Die Tat von Alaa S., der Tod von Daniel H., war der Beginn von "Revolution Chemnitz".

Die Chatgruppe hieß "Planung zur Revolution"

Mehrere der jetzt Angeklagten waren auf Demos der rechtsextremen Partei "Pro Chemnitz". Am 10. September 2018 erstellte K. in der Messenger-App eine Chatgruppe, Titel: "Planung zur Revolution". K. lud sieben weitere Personen in die Gruppe ein. Er stellte sie vor die Wahl: Sie könnten das Ziel der Gruppe unterstützen - oder die Gruppe verlassen. Geplant waren Aktionen gegen "Linksparasiten, Merkel-Zombies, Mediendiktatur und deren Sklaven".

Ziel der Chatgruppe sei es gewesen, weitere Rechtsextreme zu mobilisieren, heißt es in der Anklageschrift. Ein erster Einsatz erfolgt am 14. September, die Bundesanwaltschaft spricht von einem "Probelauf". Nach einer Demonstration von "Pro Chemnitz" laufen fünf der Angeklagten und ein knappes Dutzend weiterer Personen zur Schlossteichinsel, einem Park im Norden von Chemnitz. Sie sind schwarz gekleidet, tragen abgebrochene Bierflaschen als Waffen bei sich. Sie treffen auf eine Gruppe, die auf der Insel einen Geburtstag feiern will. Rennend und laut schreiend laufen die Männer auf die Gruppe zu, schubsen einzelne Personen, beschimpfen sie als "Fotzen" und "Feiglinge". Anschließend kreisen die Männer eine Gruppe aus Pakistanern, Deutschen und Iranern ein, jemand ruft "Ausländer raus". Einer der Männer wirft einem der Iraner eine Bierflasche an den Hinterkopf. Nach dem Angriff wird Christian K. festgenommen. Auf seinem Handy stoßen die Beamten auf die Chatgruppe, Nachrichten und Kontaktdaten der Mitglieder. Am 2. Oktober erfolgen weitere Festnahmen. Die Chat-Nachrichten sind zentraler Bestandteil der Anklage.

Die Angeklagten wollen sich zu Prozessbeginn nicht zu den Vorwürfen äußern. Sein Mandant wolle sich durch Schweigen verteidigen, sagt ein Anwalt. Der Verteidiger von Christian K. unterstellt der Staatsschutzkammer mangelnde Objektivität aufgrund des hohen Medieninteresses, den Anklägern politische Motive für das Verfahren. Er zitiert Generalbundesanwalt Peter Frank, der den Prozess als "eines der bedeutendsten Verfahren im Bereich Rechtsterrorismus" bezeichnet hat. Das war im März - bevor in Hessen der CDU-Politiker Walter Lübcke von einem Rechtsextremen erschossen wurde. Deswegen erwidert der Vorsitzende Richter in Dresden: "Leider ist diese Einschätzung überholt."

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SZ vom 01.10.2019/mpu
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