Chemnitz:Neue Justizaffäre erschüttert Sachsen

Ein Unbekannter leitet den Haftbefehl gegen einen der mutmaßlichen Messerstecher von Chemnitz an Rechtsradikale weiter. Die undichte Stelle bringt Sicherheitsbehörden wieder in Erklärungsnot.

Von Jens Schneider, Berlin

Ein weiterer Justizskandal in Sachsen hat am Mittwoch bundesweit Empörung ausgelöst. Unbekannte haben offenbar den Haftbefehl gegen einen der Tatverdächtigen in Chemnitz widerrechtlich an rechte Gruppierungen weitergegeben. Das Dokument wurde am Dienstagabend unter anderem von Lutz Bachmann, dem Begründer der fremdenfeindlichen Gruppierung Pegida, der rechten Bürgerbewegung "Pro Chemnitz" und einem AfD-Kreisverband ins Internet gestellt.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nannte den Vorgang "vollkommen inakzeptabel". Es könne nicht sein, dass "hochpersönliche Dinge, aber auch interne Abläufe der Justiz" öffentlich würden. "Da muss man alle Möglichkeiten prüfen, die dem Rechtsstaat zur Verfügung stehen", sagte er in Berlin. Sachsens stellvertretender Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) sprach im Mitteldeutschen Rundfunk von einem Skandal. Er sagte: "Da haben wir ein dickeres Problem aufzuarbeiten." Es müsse klar werden, dass bestimmte Sachen in der Polizei nicht mehr geduldet werden. Es könne nicht sein, "dass Polizeibeamte denken, sie könnten so etwas durchstechen, obwohl sie genau wissen, dass sie damit eine Straftat begehen".

Die Staatsanwaltschaft Dresden hat Ermittlungen eingeleitet. Sowohl die Weitergabe des geheimen Behördendokuments wie auch die Veröffentlichung seien strafbar, betonte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Allerdings ist nach Einschätzung aus Justizkreisen unwahrscheinlich, dass sich ermitteln lässt, wer den Haftbefehl weitergegeben hat. Es dürfte durch die Hände von mehreren Dutzend Behördenmitarbeitern gegangen sein. Der Kreis sei potenziell relativ groß, sagte Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU). Die Veröffentlichung nannte er "extrem verantwortungslos".

In dem Dokument waren Details wie die Namen des Opfers und des Tatverdächtigen und Angaben zum bisher ermittelten Tathergang aufgeführt. Auch Namen von Zeugen wurden veröffentlicht. Die Staatsanwaltschaft wolle Maßnahmen zu ihrem Schutz ergreifen, hieß es.

Am vergangenen Sonntag war am Rande eines Stadtfestes ein 35-jähriger Chemnitzer erstochen worden. Als Tatverdächtige wurden ein junger Syrer und ein junger Iraker festgenommen. Gegen beide ergingen wegen des Verdachts auf gemeinschaftlichen Totschlag Haftbefehle. Nach dem Tod des jungen Mannes kam es in Chemnitz am Sonntag und Montag zu Demonstrationen mit Ausschreitungen, an denen sich auch eine große Zahl von Rechtsextremen beteiligte. Einige machten in der Stadt Jagd auf Menschen, von denen sie meinten, dass sie fremder Herkunft sind. Mehrere Rechtsextreme zeigten den Hitlergruß.

Wie die Polizeidirektion Chemnitz mitteilte, werden beim Besuch von Sachsens Ministerpräsident Kretschmer an diesem Donnerstag in Chemnitz neben sächsischen Polizisten auch Einheiten anderer Bundesländer sowie der Bundespolizei eingesetzt. Sachsen nimmt somit die von der Bundesregierung angebotene Unterstützung seiner Polizei an. Die Einheiten sollen bei weiteren Demonstrationen Rechtsextremer für Sicherheit sorgen.

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