Chemnitz:Wie der Ruf einer Stadt ruiniert wurde

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Chemnitz, 27. August 2018: Die Bilder werden noch lange nachwirken. (Foto: AFP)

Ein Jahr nach dem tödlichen Messerangriff ist jetzt das Urteil gesprochen worden. Doch der Fall Chemnitz bleibt ein Beispiel für die fatalen Mechanismen unserer Aufregungsgesellschaft.

Kommentar von Jens Schneider, Berlin

Wer die Stadt Chemnitz einmal kennengelernt hat, kann nur unerträglich finden, was seit dem Sommer 2018 mit ihr angestellt wurde. Und zwar von vielen Seiten - von rechts außen, aber auch von manchen Linken. Und von weither, aus dem mental sehr entfernten Westen. Ein Jahr nach dem tödlichen Messerangriff in der sächsischen Stadt ist jetzt ein deutliches Urteil gesprochen worden, aber die Tage aus dem August des vergangenen Jahres werden weiter nachwirken. Chemnitz ist zum Symbol erklärt worden für üble Zustände im Osten, für verbreitete Fremdenfeindlichkeit, bis ins Bürgertum hinein. Umgekehrt betrachten manche im Osten genau das als anschauliches Beispiel für einen unfairen Umgang mit ihrer Heimat. Die Medien hätten nicht die Sorgen der Bürger sehen wollen, sie als Rechtsextreme abgetan, den Osten mit Absicht falsch wahrgenommen. Es haben sich Zerrbilder verfestigt zum Schaden für ganz Deutschland: Ost und West.

Damit ist der Fall Chemnitz vor allem ein Symbol für die fatalen Mechanismen unserer Aufregungsgesellschaft. Erst wurde der Schock über einen entsetzlichen Angriff instrumentalisiert, dann auf befremdliche Art über die Eskalation danach gestritten. Man erging sich in Wortklaubereien über die Frage, ob es in Chemnitz nun "Hetzjagden" gegeben habe, als ob nicht die Feststellung eindeutig reichte, dass Menschen vermeintlich fremder Herkunft angegriffen wurden, sich nicht mehr sicher fühlten.

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Im August 2018 kam es in Chemnitz zu rechtsextremen Ausschreitungen, nachdem ein 35-Jähriger erstochen worden war. Nun gibt es ein Urteil, die juristische Aufarbeitung des Falls geht jedoch weiter.

Aus dem Gericht von Antonie Rietzschel

Dominiert hat zunächst der Missbrauch von Rechtsaußen. Die AfD hat den Tod des 35-jährigen Daniel H. politisch ausgenutzt, Seite an Seite mit extremen Rechten. Das war eine Zäsur in ihrer Entwicklung und zeigte, dass die AfD sich nicht nach rechts abgrenzen will. Moderatere Kräfte versprachen zwar eine Art Selbstreinigung. Aber nun könnten jene, die in Chemnitz vorn standen, bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen Rekordergebnisse einfahren.

Erst mit Verzögerung wurden positive Zeichen gesetzt.

Erschreckend war auch, dass etliche Bürger an der Seite von Rechtsextremen demonstrierten und sich um deren Gesinnung nicht scherten. Das kann nicht mit dem Gefühl gerechtfertigt werden, man werde mit seinen Sorgen nicht gehört. Falsch aber waren pauschale Urteile, die wahlweise über den Osten, Sachsen oder Chemnitz ergingen: Die da drüben seien alle so. Für sich allein hilft auch die traurige Feststellung wenig, dass es im Osten stärkere Neigungen zu Ressentiments gegen Fremde und zur Entfremdung von der Demokratie gibt. Alle Pauschalisierungen haben die Tage im August nur noch schlimmer wirken lassen, und sie waren schlimm genug. Erst mit Verzögerung wurden positive Zeichen gesetzt. Politiker suchen im Osten mehr als früher den Dialog, auch über heikle Fragen. Das hat nicht erst mit den aktuellen Wahlkämpfen begonnen.

Und Chemnitz? Wird lange brauchen, um den Ruf einer verlorenen Stadt abzulegen. Welch traurige Aussicht für eine Stadt, die, bei allen Problemen auch mit Rechten, so viel Leben in sich hat. Man möchte an so einem Tag eine Reise dorthin empfehlen, mit einem Besuch der grandiosen städtischen Kunstsammlungen, und Gesprächen mit jenen, die diese Stadt gestalten, und vielleicht auch manchen, die klagen, dass keiner sie hören wolle. Der Besucher bekäme eine Ahnung, wie tief gespalten das Land ist, seit dem letzten August mehr als zuvor.

© SZ vom 23.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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