Regierungserklärung von Kretschmer:"Es gab keinen Mob, keine Hetzjagd und keine Pogrome"

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Michael Kretschmer (CDU) während seiner Regierungserklärung im Sächsischen Landtag (Foto: dpa)
  • Sachsens Ministerpräsident Kretschmer hat sich in einer Regierungserklärung zu den Ausschreitungen in Chemnitz geäußert.
  • Rechtsextremismus sei "die größte Gefahr für unsere Demokratie", sagte er im Sächsischen Landtag.
  • Er kritisierte auch die Berichterstattung über die Geschehnisse: "Es gab keinen Mob, keine Hetzjagd und keine Pogrome."
  • Danach meldete sich Kanzlerin Merkel zu Wort: Bilder aus Chemnitz zeigten "sehr klar Hass und damit auch die Verfolgung unschuldiger Menschen".

Von Antonie Rietzschel, Leipzig

Die Sachsen seien "immun" gegen Rechtsextremismus - diesen Satz hat der frühere Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, CDU, in den Neunziger Jahren geprägt. Jeder seiner Nachfolger bekam ihn um die Ohren gehauen: Wenn rechtsextreme Kameradschaften Angst und Schrecken verbreiteten, die NPD in den Landtag einzog, Neonazis vor Flüchtlingsheimen randalierten. Michael Kretschmer will dieses Erbe nach den Ausschreitungen in Sachsen ein für allemal loswerden. "Der Satz ist 20 Jahre alt, ich mache ihn mir nicht zu eigen", sagt er während seiner Regierungserklärung an diesem Mittwoch im Sächsischen Landtag ( komplette Rede). Als handle es sich um einen alten Witz.

Kretschmer schmiedet an diesem Tag Sätze, an denen er sich künftig messen lassen will - und muss: "Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für unsere Demokratie", sagt er. Ein klares Bekenntnis. Kretschmer zählt auf, was in den vergangenen Jahren bereits geleistet wurde: der Aufbau der Sonderkommission Rechtsextremismus, zahlreiche Initiativen und Programme. Am Ende muss Kretschmer zugeben: "Es ist uns nicht gelungen, den Rechtsextremismus in die Schranken zu weisen." Man müsse schauen, was es in Zukunft brauche.

Erbitterter Kampf um die bürgerliche Mitte

Kretschmer kündigt an, mehr Geld in Präventionsmaßnahmen stecken zu wollen. In der Landesregierung und innerhalb der Polizei soll es künftig Opferschutzbeauftragte geben, die sich konkret um Menschen kümmern, die von Rechtsextremen angegriffen wurden. Außerdem will Kretschmer die Dialogformate, die es im Land schon gibt, weiter ausbauen, um die bürgerliche Mitte noch besser erreichen zu können.

Um die tobt derzeit vor allem im sächsischen Chemnitz ein erbitterter Kampf.

Seit einer tödlichen Messerstecherei Ende August kommt die Stadt nicht mehr zur Ruhe. Am Montag, den 27. August, folgten dem Aufruf der fremdenfeindlichen Gruppe Pro Chemnitz zu einem "Trauermarsch" Tausende Menschen, darunter vor allem Rechtsextreme und Hooligans. Auch die bürgerliche Mitte reihte sich ein, Rentner, Mütter mit ihren Kindern. Neonazis zeigten den Hitlergruß, es kam zu Angriffen auf Journalisten. Ministerpräsident Kretschmer kam nur wenige Tage später zum Sachsengespräch nach Chemnitz - und wurde von der Mehrheit der 500 Besucher zuweilen ausgebuht und niedergebrüllt.

In der Berichterstattung über Chemnitz spielten Videoaufnahmen eine Rolle, die bereits am Sonntag, den 26. August entstanden, als 800 Rechtsextreme und Hooligans spontan durch die Innenstadt gezogen waren. Augenzeugen sprachen von Jagdszenen gegen Geflüchtete. Tatsächlich ist in einer Videoaufnahme zu sehen, wie ein Rechtsextremer auf zwei Männer mit dunkler Haut zu rennt. Aus der Gruppe heraus brüllt jemand: "Haut ab! Was ist denn, ihr Kanacken?"

Der Sprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Steffen Seibert, hatte daraufhin klare Worte gefunden. "Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft, oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin, das hat bei uns in unseren Städten keinen Platz", sagte er. Merkel wiederholte die Äußerung. Kretschmer dagegen sagt jetzt in seiner Regierungserklärung: "Es gab keinen Mob, keine Hetzjagd und keine Pogrome.

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Die Bundesfamilienministerin kritisiert die CDU-Landesregierung: "Die Mittel für die Jugendarbeit wurden in Sachsen jahrelang gekürzt." Nach Giffey plant nun auch die Kanzlerin einen Besuch in Chemnitz.

Kritik an den Medien

Um den Begriff "Hetzjagd" ist eine Debatte entbrannt, nachdem die Chemnitzer Tageszeitung Freie Presse angekündigt hatte, die Bezeichnung nicht zu verwenden. Reporter hätte bei einer von Hooligans initiierten Spontanversammlung zwar Angriffe auf Polizisten, Migranten und Linke beobachtet, aber keine Hetzjagd im wörtlichen Sinne. Angesichts des zu Tage getretenen Hasses bedürfe es keiner Dramatisierung. Gleichzeitig verwahrte sich Chefredakteur Torsten Kleditzsch gegen Beifall aus dem rechten Lager: "Wenn aus dieser Differenzierung interessierte Gruppen und Medien nun ableiten, es sei alles halb so schlimm gewesen oder eine große Erfindung, dann ist das weder in unserem Sinne noch entspricht es der Wahrheit", heißt es in einem Statement.

Der sächsische Ministerpräsident wiederholt in der Regierungserklärung seine Kritik an den Medien, wonach vor allem Journalisten von außerhalb ein hartes und pauschales Urteil über die Stadt gefällt hätten. Diejenigen, die bei den rechtsgerichteten Demonstrationen "ausfällig" geworden seien, seien weder alle Chemnitzer gewesen, noch seien sie in der Mehrheit gewesen. "Aber die, die es getan haben, sind schlimm genug und denen sagen wir auch den Kampf an", fügte er hinzu. Es sollten nicht die an den Pranger gestellt werden, die aus Wut über das Tötungsdelikt auf die Straße gegangen seien. "Die sind nicht rechtsextrem", sagte Kretschmer.

Als Reaktion auf Kretschmers Regierungserklärung meldet sich nun eine Sprecherin von Angela Merkel zu Wort: Es gebe nach den Ausschreitungen in Chemnitz "nichts kleinzureden". Die Filmaufnahmen zeigten, wie Menschen ausländischer Herkunft nachgesetzt wurde. Polizisten und Journalisten seien bedroht worden. Es bleibe auch dabei, dass es Äußerungen gegeben habe, die bedrohlich gewesen seien und nah am Aufruf zur Selbstjustiz.

Auch die Kanzlerin selbst äußert sich anschließend: Es habe Bilder gegeben, die "sehr klar Hass und damit auch die Verfolgung unschuldiger Menschen" gezeigt hätten. Davon müsse man sich distanzieren. "Damit ist alles gesagt", fügt sie hinzu.

Merkel wird womöglich noch im Oktober nach Chemnitz kommen, um mit den Bewohnern ins Gespräch zu kommen.

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