Die Todesfabriken in Samarra etwa waren als Mehrzweckanlagen für die Herstellung von Pestiziden deklariert worden. Damals gab es ein Bundesaufsichtsamt für Wirtschaft in Eschborn, in dem zweieinhalb Sachbearbeiter rund 120.000 Meldungen über Einfuhren radioaktiver Stoffe wie Kobalt 60 oder Tritium prüften. Der Präsident der Behörde erklärte, er leite das Bundesamt für Wirtschaft und nicht gegen die Wirtschaft, und Lorenz Schomerus, Abteilungsleiter im Wirtschaftsministerium sagte später: An "scharfen Kontrollen gab es kein Interesse".
Inzwischen heißt die Behörde in Eschborn "Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle" (BAFA). Rund 200 der etwa 700 Mitarbeiter kümmern sich um solche Überprüfungen. 2012 zum Beispiel, so eine erste, interne Auswertung, hat das BAFA in 9000 Fällen den Export von Dual-Use-Gütern genehmigt. Und beim Zollkriminalamt, das vor dem deutschen Nahost-Skandal noch Zollkriminalinstitut hieß, hat sich die Zahl der Mitarbeiter mehr als vervierfacht. Das ZKA ist unter anderem für Betriebsprüfungen und auch Ermittlungen in Sachen Proliferation zuständig.
Das alles heißt nicht, dass die Lieferung von Chemikalien nach Syrien auf keinen Fall irgendetwas mit der Herstellung von Giftgas wie Sarin zu tun haben kann. Es meint nur, dass es nicht wahrscheinlich ist.
Für diese These spricht nicht allein die Zahl potenzieller Kontrolleure, sondern das veränderte Risikobewusstsein der Industrie. Ähnlich wie nach den Korruptionsaffären Compliance-Abteilungen eingerichtet wurden, die für die Einhaltung von Recht und Gesetz zumindest formal zuständig sind, wurden nach den Rüstungsskandalen selbst in kleineren Unternehmen Abteilungen geschaffen, die sich ums Risiko bei Exporten kümmern.
Die Beihilfe zur Herstellung von Giftgas wäre nicht nur ein Verbrechen, sondern auch eine wirtschaftliche Torheit: Der Image-Schaden bei Entdeckung würde in keinem Verhältnis zum erzielten Profit stehen. Es gibt Unternehmen, die in manchen Ländern Afrikas keine Geschäfte mehr machen, um nicht in Schmiergeld-Verdacht zu geraten. Vielleicht hätten die anständigen Chemielieferanten ihre Stoffe besser nicht nach Syrien verkauft. Sicher ist sicher.