Süddeutsche Zeitung

Chef der türkischen Kurdenpartei HDP:"Unser einziges Verbrechen war, dass wir 13 Prozent geholt haben"

  • Der türkische Staatspräsident Erdoğan erklärt den Friedensprozess mit den Kurden offiziell für beendet.
  • Politiker mit Verbindungen zu terroristischen Gruppen müssten juristisch belangt werden, sagte er Medienberichten zufolge.
  • Türkische Medien werteten das als Angriff auf die prokurdische Partei HDP. Deren Chef Demirtaş warf Erdoğan vor, die HDP für deren Wahlerfolg zu bestrafen.

Erdoğan beendet Friedensgespräche mit Kurden

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hat den Friedensprozess mit den Kurden offiziell abgebrochen. "Es ist nicht möglich, einen Lösungsprozess fortzuführen mit denjenigen, die die Einheit und Integrität der Türkei untergraben", sagte er nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu.

Politiker mit Verbindungen zu terroristischen Gruppen sollten ihre Immunität verlieren und juristisch belangt werden, sagte Erdoğan Medienberichten zufolge. Wer Terroristen unterstütze, müsse den Preis dafür bezahlen. Er zielt damit nach Ansicht türkischer Medien auf Abgeordnete der prokurdischen HDP. Die Partei hatte bei den vergangenen Parlamentswahlen überraschend 13 Prozent der Stimmen bekommen und damit verhindert, dass Erdoğans AKP die absolute Mehrheit erreicht.

HDP-Chef Selahattin Demirtaş warf Erdoğan vor, die Partei für deren Wahlerfolg zu bestrafen. "Unser einziges Verbrechen war, dass wir 13 Prozent geholt haben", sagte Demirtaş. Er kritisierte zudem, Erdoğan habe einen geplanten Aufruf des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan zur Niederlegung der Waffen durchkreuzt.

Militäreinsatz gegen IS und PKK geht weiter

Weiter sagte Erdoğan, die Türkei werde ihren Militäreinsatz gegen Stellungen der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien und PKK-Lager im Nordirak "mit Entschlossenheit" fortsetzen. Ein "Schritt zurück" komme nicht in Frage, sagte er vor der Abreise zu einem Staatsbesuch in China am Flughafen von Ankara.

Die Türkei, der lange vorgeworfen wurde, dass sie den IS duldet oder sogar unterstützt, hatte in den vergangenen Tagen erstmals Luftangriffe gegen IS-Stellungen in Syrien geflogen. Gleichzeitig griff das türkische Militär auch PKK-Stellungen im Nordirak an, die mit kurdischen Einheiten in Syrien zusammenarbeitet. Kritiker mutmaßen, dass die Türkei eher den Einfluss der Kurden in Syrien zurückdrängen will als den des IS.

Die Spannungen zwischen der türkischen Regierung und der PKK hatten sich zuletzt deutlich verschärft. Hintergrund ist ein Selbstmordanschlag in der Grenzstadt Suruç mit 32 Toten in der vergangenen Woche, für den der IS verantwortlich gemacht wird. Viele Kurden geben der Regierung in Ankara jedoch eine Mitschuld. Sie werfen ihr vor, die Aktivitäten der Dschihadisten zu lange geduldet zu haben. Die PKK hatte nach dem Anschlag mehrere Attentate auf türkische Polizisten verübt.

Nato-Staaten bekräftigen Solidarität mit Türkei

Die Nato-Partner sprachen der Türkei nach Angaben von Generalsekretär Jens Stoltenberg ihre volle Unterstützung aus. In einer Erklärung verurteilten die Nato-Botschafter nach einer Dringlichkeitssitzung am Dienstag in Brüssel terroristische Anschläge in der Türkei und bekundeten ihre Solidarität mit dem Land. Ob diese Erklärung sich auch auf die Aufkündigung des Friedensprozesses erstreckt, wurde allerdings nicht ganz deutlich.

Die Türken hätten die Allianz nicht um zusätzliche militärische Unterstützung gebeten. "Die Türkei hat sehr fähige Streitkräfte - die zweitgrößte Armee innerhalb der Allianz", sagte Stoltenberg vor Journalisten. Die türkische Luftwaffe hatte nach tödlichen Anschlägen der radikalislamischen IS-Miliz und der kurdischen Arbeiterpartei PKK in den vergangenen Tagen IS-Ziele in Syrien und PKK-Stellungen im Nordirak bombardiert.

Während die Nato-Partner die Angriffe auf den IS begrüßten, gab es von den europäischen Verbündeten harsche Kritik am Vorgehen gegen die PKK. Die Kurden unterstützen den Westen im Kampf gegen den IS in Syrien und Irak. Die USA als wichtigstes Nato-Land haben allerdings auch die Angriffe auf die PKK verteidigt. Sie treiben derzeit mit der Türkei auch Pläne für eine Sicherheitszone in Syrien voran. Dabei sollen US-Kampfflugzeuge, gemäßigte syrische Rebellen und das türkische Militär eng kooperieren.

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