Süddeutsche Zeitung

Chávez-Wahl in Venezuela:An der Macht festgekrallt

Charismatisch, missionarisch, populistisch - und wenig fair: Venezuelas Präsident Hugo Chávez hat den gesamten Staatsapparat eingesetzt, um wiedergewählt zu werden. Seine Regierung hat die private Übermacht zugunsten des Staates gebrochen, sein Sieg darf Lateinamerika eine Lehre sein.

Peter Burghardt, Buenos Aires

Die Geschichte Lateinamerikas ist voller Führerfiguren und Dynastien, und kaum eine davon ist unumstritten. Oft dominieren einzelne Persönlichkeiten die politischen Lager, die Präsidenten sind zumeist stärker als die Parteien und Parlamente.

Manche Clans halten sich hartnäckig: Auf Kuba herrschen nach wie vor die Revolutionäre von 1959, Fidel und Raúl Castro haben heutzutage sogar mehr Freunde denn je. In Argentinien dominieren noch immer Peronisten, die Erben des Generals Juan Domingo Perón und seiner mythischen Frau Evita.

Früher allerdings wurde geputscht oder Revolution gemacht, um an die Macht zu gelangen. Auch Venezuelas Präsident Hugo Chávez saß vor 20 Jahren in einem Panzer. Damals scheiterte er.

Jetzt ist Chávez einer der Staatschefs der Welt mit den meisten Wiederwahlsiegen. Bald 14 Jahre lang regiert er bereits, für sechs weitere Jahre wurde er soeben bestätigt. Wenn seine Gesundheit es zulässt - bis zuletzt litt er unter einer rätselhaften Krebserkrankung -, dann wird er am Ende zwei Jahrzehnte im Amt gewesen sein.

Das Vermögen sprudelt nur so aus dem Boden

Wer die Demokratie schätzt, der muss Sieger wie ihn akzeptieren. Es hat die Region viel Blut gekostet, zu geordneten Wahlen zu kommen. In anderen Erdteilen bleiben immer mehr Wähler zu Hause, weil sie Politik nicht mehr interessiert.

Südlich des Rio Grande dagegen wird seit dem Ende der Diktaturen vielerorts mit großem Eifer abgestimmt. In Venezuela gingen acht von zehn Wahlberechtigten zur Urne, obwohl dort - anders als etwa in Brasilien - keine Wahlpflicht herrscht. Von so einer Wahlbeteiligung sind die USA oder Europa weit entfernt.

Wundern braucht sich über Chávez' Wahlerfolge niemand, der Präsident ist ein Produkt der lateinamerikanischen Verhältnisse. Venezuela mag ein Sonderfall sein, da das Land enorme Ölreserven besitzt. Doch darin liegt auch ein Teil der Erklärung. Das Vermögen sprudelt nur so aus dem Boden - wie konnte es da sein, dass auf solch einem Schatz Menschenmassen in Slums hausen?

Der frühere Fallschirmjäger Chávez fiel nicht vom Himmel. Viele Venezolaner hatten genug von einer Elite, die guten Whiskey trank und die Pfründe unter sich aufteilte. So ähnlich war es in vielen Ländern des Kontinents.

Die Gegend ist reich an Rohstoffen und war arm an Gerechtigkeit, die neoliberale Welle machte alles nur schlimmer. Venezuela verwandelte sich in eine Mischung aus Kuwait und Sudan. Boliviens Silbermine Potosí verkam von einem Synonym für Reichtum zum Symbol für Misere und Ausbeutung

Unter solchen Umständen gewannen Rebellen wie Chávez in Venezuela oder der indianische Gewerkschafter Evo Morales in Bolivien. Deshalb erlebte der Sozialismus in Lateinamerika lange nach dem Mauerfall eine wundersame Wiederauferstehung. Deshalb wird dort der Guerillero Che Guevara auch an seinem 45. Todestag am 9. Oktober 2012 noch verehrt.

Ein demokratisches Vorbild ist der Comandante Chávez trotzdem nicht, eher der Prototyp des demokratischen Caudillo - charismatisch, missionarisch, populistisch. Venezuelas Wahlen waren frei, aber nicht fair. Der Präsident setzte für seinen Wahlkampf den gesamten Staatsapparat ein.

Seine Regierung hat die private Übermacht zugunsten des Staates gebrochen, ähnlich läuft es in Bolivien, Ecuador, Nicaragua und selbst im Argentinien der Cristina Fernández de Kirchner. Chávez ließ sich die Wiederwahl durch eine Verfassungsänderung ermöglichen, andere liebäugeln damit. Sie krallen sich fest an der Macht - eine ungesunde Mode.

Der Ölpreis stieg, die Gewalt wucherte

Außerdem hat Chávez zwar viel Geld verteilt, unter ihm wurde die Armut endlich ein Staatsthema. Venezuelas Einkommensverteilung ist inzwischen weniger ungleich als die von Chile, das orthodoxe Ökonomen so loben. Doch Chávez floss auch mehr Geld in die Kassen als seinen Vorgängern, der Ölpreis hat sich in seiner Ära fast verzehnfacht.

Mit Einkünften von nahezu einer Billion Dollar hätte er ein sinnvolleres Fundament für Fortschritt und Erziehung legen können. Stattdessen wuchert die Gewalt. Chávez predigt Unabhängigkeit - und hat seine Heimat vom Öl so abhängig gemacht wie nie.

Sein Sieg darf Lateinamerika eine Lehre sein. Bislang hat es vor allem Brasilien geschafft, Wachstum, Popularität und Demokratie in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Unter dem Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva stiegen Millionen Brasilianer in die Mittelschicht auf. 2011 hörte der Demokrat Lula trotz seiner Beliebtheit auf.

In Venezuela haben Chávez' Gegner nach einem sinnlosen Putschversuch, nach Streik und Boykott erkannt, dass Wahlen die einzige Chance sind, dem Patriarchen nahezukommen. Aber noch hat Hugo Chávez die Mehrheit.

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SZ vom 09.10.2012/ina
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