Charlotte Knobloch zum 80. Geburtstag:Angekommen auf brüchigem Boden

Charlotte Knobloch wird an diesem Montag 80 Jahre alt; gemeinsam mit dem Journalisten und Schriftsteller Rafael Seligmann hat die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden ihr Leben aufgeschrieben. "In Deutschland angekommen" heißt das Buch. Es erklärt, wie brüchig der Boden geblieben ist, auf dem die Angekommene steht.

Matthias Drobinski

Charlotte Knobloch 80. Geburstag Judentum

"Wollt ihr uns Juden noch?" Anfang September hat Charlotte Knobloch dies in der Süddeutschen Zeitung gefragt, in einem zornigen Beitrag, angestoßen durch die Beschneidungsdebatte, die wieder einmal Juden in den Abgrund blicken lässt.

(Foto: dapd)

Nicht stehen bleiben. Ein Mädchen, sechs Jahre alt, irrt an der Hand ihres Vaters durch München. Rechtsanwalt Fritz Neuland hat eine Warnung erhalten: Er soll verhaftet werden an diesem 9. November 1938, der Nacht, in der die Synagogen brennen. Die Sicherheiten des Lebens sind zerbrochen, das Recht hat sich gegen den Anwalt gewendet, die Staatsmacht ist zum Feind geworden; sie schickt Männer in Ledermänteln, die mitnehmen, was ihnen gefällt, eine Vase, ein Bild. Und mittendrin: Charlotte.

Charlotte Knobloch, das fassungslose Kind, wird an diesem Montag 80 Jahre alt; gemeinsam mit dem Journalisten und Schriftsteller Rafael Seligmann hat die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in München und ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland ihr Leben aufgeschrieben. Das Buch heißt "In Deutschland angekommen" und erklärt doch, wie brüchig der Boden geblieben ist, auf dem die Angekommene steht.

1936 trennt sich Charlottes Mutter vom Vater, sie, zum Judentum konvertiert, hält den Druck nicht mehr aus, geht, ohne ein Wort für ihre Tochter. Vater und Großmutter erziehen das Kind, doch bald können sie das Mädchen nicht mehr schützen. Eine Bahnfahrt voller Angst nach Franken, ein Bauernhof, ein Abschied ins Ungewisse vom Vater: Kreszentia Hummel, einst Hausangestellte der Familie, gibt Charlotte als ihr uneheliches Kind aus.

Sie wollte nicht zurück nach München

Sie erträgt die schrägen Blicke, rettet das einsame Mädchen, das Trost bei der Katze und den Kühen findet. Als der Krieg vorbei ist, steht der Vater da, voll grausiger Geschichten. Die geliebte Großmutter ist im KZ Theresienstadt verhungert.

Nein, Charlotte Neuland wollte nicht zurück nach München, nicht im Land der Mörder und Mitläufer bleiben, und doch ist sie geblieben. Der Vater hat die Gemeinde wieder aufgebaut. Sie hat, zum Entsetzen des Vaters, Samuel Knobloch geheiratet, einen dieser Entwurzelten aus Polen (der dringend nach Australien wollte), und drei Kinder großgezogen, als überbehütende Mutter, wie sie zugibt. Und vor 27 Jahren hat sie dann die Kultusgemeinde München unter ihre Fittiche genommen - nicht ohne vorher den Rabbiner um Erlaubnis zu fragen, theologisch konservativ, wie sie ist.

Sie hat sie seitdem mit mütterlicher Wärme wie Strenge geleitet, herzlich und charmant, unbeirrbar und autoritär. Auch als nach 1990 Tausende Juden aus der ehemaligen Sowjetunion in die zweitgrößte Gemeinde Deutschlands strömten, blieben der Gemeinde Konflikte erspart; andererseits ist derzeit dort niemand in Sicht, der das Amt vergleichbar weiterführen könnte, sollte sie einmal abtreten.

Letzte Zentralrats-Präsidentin der Überlebendengeneration

1996 wurde sie Zentralrats-Präsidentin, als letzte der Überlebendengeneration. Es wurde eine schwierige Präsidentschaft, sie agierte unglücklich, es ließen sie aber auch jene im Stich, die sie hätten unterstützen sollen. Ihr Buch endet aber mit einem ihrer glücklichsten Tage: mit der Einweihung der Münchner Ohel-Jakob-Synagoge, der schönsten Synagoge Deutschlands, im Herzen der Stadt.

"Ich habe meine Koffer ausgepackt", hat sie damals gesagt, in Anspielung auf den Satz aus den Fünfzigerjahren, die Juden in Deutschland säßen "auf gepackten Koffern".

Eine Ankunft, ja. Aber das schreckhaft Lauschende ist geblieben, die Angst vor der Heimsuchung. Da erscheint schon bald nach dem Krieg ein antisemitischer Leserbrief in der Süddeutschen Zeitung, werden jüdische Friedhöfe geschändet, bringt Rainer Werner Fassbinder einen jüdischen Spekulanten auf die Bühne, spricht Martin Walser von der "Auschwitzkeule". Und immer tut sich der Abgrund auf, fürchten die Angekommenen, verschlungen zu werden, samt der ausgepackten Koffer.

"Wollt ihr uns Juden noch?" Anfang September hat Charlotte Knobloch dies in der Süddeutschen Zeitung gefragt, in einem zornigen Beitrag, angestoßen durch die Beschneidungsdebatte, die wieder einmal Juden in den Abgrund blicken lässt. Wollt ihr uns noch? Die Frage ist ängstlich, bittend. Die Kinder werden Charlotte Knobloch einen Überraschungstag schenken, wie immer am runden Geburtstag. Von den anderen dürfte sie sich ein von Herzen kommendes Ja wünschen.

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