Charlotte Knobloch im Gespräch:"Resigniert bin ich keine Spur"

Vier Jahre lang stand Charlotte Knobloch an der Spitze des Zentralrats der Juden. Die 78-Jährige über Rund-um-die-Uhr-Bewachung, die Renaissance ihrer Religion und den Unterschied zwischen Kritik und Antisemitismus.

Matthias Drobinski

Sie überlebte den Judenmord versteckt auf einem Bauernhof, sie wurde 1985 Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in München (nicht ohne vorher den Rabbiner gefragt zu haben, ob Frauen das dürfen), 2006 dann Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Die heute 78-jährige Charlotte Knobloch, die am Sonntag abtritt, ist letzte Vertreterin der Überlebenden-Generation an der Spitze des Zentralrats; ihr designierter Nachfolger Dieter Graumann ist nach dem Krieg geboren.

Interview mit Charlotte Knobloch

Charlotte Knobloch: "Resigniert bin ich keine Spur."

(Foto: dpa)

SZ: Vor der Gedenkveranstaltung zum 9. November in der Frankfurter Paulskirche hat Ihr Nachfolger Dieter Graumann angekündigt, er werde den Saal verlassen, wenn der Hauptredner, der Publizist Alfred Grosser, seine scharfe Israel-Kritik wiederholt. Können Sie Graumann verstehen?

Knobloch: Für mich ist der 9. November ein Tag, der mit solchen Diskussionen nichts zu tun haben sollte. Er ist ein Tag des Gedenkens und Innehaltens, keiner für eine aktuelle politische Auseinandersetzung.

SZ: Grosser hat, wenn auch vorsichtig, seine Israel-Kritik wiederholt: Die einzige Demokratie im Nahen Osten müsse die Menschenrechte achten. Wann wären Sie aufgestanden und gegangen?

Knobloch: Ich gehe entweder zu einer Veranstaltung und bleibe - oder ich gehe erst gar nicht hin.

SZ: Wie weit darf die Kritik an der israelischen Politik gehen? Und versucht der Zentralrat, diese Kritik zu verhindern?

Knobloch: Kritik an der israelischen Politik ist möglich, manchmal sogar nötig. Die schärfsten Kritiker an der Siedlungspolitik sitzen nicht in Deutschland, sondern in Israel. Aber die Kritik sollte sich auf die Sache beziehen.

SZ: Wann wird aus der Kritik Antisemitismus?

Knobloch: Wenn israelische Ministerpräsidenten mit Hitler verglichen oder das Handeln von Regierungen mit den Maßnahmen der Nazis gegen die Juden gleichgesetzt werden. Wenn unterstellt wird, Juden müssten sich aufgrund ihrer Leidensgeschichte so oder so verhalten, wenn erklärt wird, Juden seien selber schuld am Antisemitismus, weil sie so mit den Palästinensern umgehen. Wenn nur das Leid der Palästinenser wahrgenommen wird, Israel also als reine Täter-Nation dasteht. Oder wenn der Satz kommt: "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen..." Wobei ich auch sage: überinterpretiert nicht jeden Satz.

SZ: Ist die Empfindlichkeit der jüdischen Gemeinschaft gewachsen?

Knobloch: Wir sind vielleicht empfindlicher geworden, weil das Umfeld sich gewandelt hat. Das macht mir manchmal Sorgen. Ich weiß noch, wie es 1967 spontane Solidaritätskundgebungen mit Israel gab. Heute finden Sie auf der Straße selten einen Freund Israels. Wir werden oft haftbar gemacht für die Politik in Israel. Dabei sind wir für die Israelis Diaspora-Juden, die sich gefälligst nicht in die Politik des Landes einzumischen haben.

"Jüdisches Leben ist sichtbar geworden"

SZ: Viele Juden sagen selbstverständlich "Wir", wenn sie von Israel reden.

Knobloch: Das gibt es noch bei vielen Älteren, die das KZ überlebt haben. Ihre Kinder sehen das nicht mehr so, auch die Neueinwanderer nicht. Ich habe drei Enkelkinder in Israel, meine Tochter hat dorthin geheiratet. Ich würde aber nie "wir" sagen, wenn ich von Israel spreche.

SZ: Ist nicht der Eindruck bei vielen Juden stärker geworden: Gerade die Intellektuellen, die Eliten, die Kirchen sind unsichere Freunde geworden?

Knobloch: In der Politik und auch in den Kirchen haben wir wirklich treue Verbündete. Mehr Sorgen macht mir, dass in der Bevölkerung die Grenzen zwischen Israel-Kritik und Judenfeindschaft verschwimmen. Aber insgesamt fühle ich mich sehr sicher. Die Juden sind angekommen in Deutschland. Es wächst eine junge Generation, die jüdisches Leben weitertragen wird. Das ist für mich ein Wunder und die eigentliche Entwicklung der vergangenen Jahre.

SZ: Das klingt optimistisch.

Knobloch: Ich bin absolut optimistisch. Ich war in meiner Amtszeit in jedem Bundesland, um eine Synagoge einzuweihen. Jüdisches Leben ist sichtbar geworden. Wir sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wer weiß, wie sich die Gemeinden noch in den achtziger Jahren hinter Mauern unsichtbar gemacht haben, der versteht, was das heißt.

SZ: Vielleicht sind dadurch die Konflikte schärfer geworden.

Knobloch: Ja, wir werden sichtbar, mit unseren Meinungen, unseren internen Konflikten. Das ist auch gut. Es ist auch die Ehrlichkeit zwischen Juden und Nichtjuden gewachsen. Die tut manchmal weh. Aber nur so kommt man weiter.

SZ: Die Zuwanderer aus der einstigen Sowjetunion sind in der Mehrheit, viele Gemeinden drohen daran zu zerbrechen. Haben die jüdischen Einheitsgemeinden, wie es sie seit der Nachkriegszeit in Deutschland gibt, noch eine Zukunft?

Knobloch: Es muss sie weiterhin geben. Wir dürfen uns nicht spalten, auch wenn die Vielfalt größer wird, es Orthodoxe, Traditionelle, Liberale, sogar Areligiöse gibt. Ich hätte vor zehn Jahren nicht gedacht, dass ich mit liberalen Juden an einem Tisch sitze. Das ist ein riesiger Fortschritt. Deshalb glaube ich an die Zukunft der Einheitsgemeinde.

"Da habe ich eine dicke Haut bekommen"

Charlotte Knobloch erhaelt Grosses Verdienstkreuz mit Stern

"Menschen wie Charlotte Knobloch verdanken wir es, dass es so etwas wie Versöhnung gibt": Bundespräsident Christian Wulff überreichte Charlotte Knobloch am Dienstag das Große Verdienstkreuz mit Stern. 

(Foto: dapd)

SZ: Sie gehören der Überlebenden-Generation an. Ihr designierter Nachfolger ist nach der Shoah geboren. Wie tief ist dieser Einschnitt?

Knobloch: Es ist viel weniger eine Zäsur, als es von außen aussieht. Auch die Generation, die jetzt den Zentralrat führen wird, ist mit der Geschichte der Eltern aufgewachsen und von ihr geprägt. Der Einschnitt wird kommen, wenn die übernächste Generation die Führung in den Gemeinden übernimmt. In dreißig Jahren könnten die Gemeinden tatsächlich vor der Frage stehen, was sie noch zusammenhält. Die Erinnerung an das Leid der Urgroßeltern? Die Religion inmitten der Säkularisierung? Ich merke, wie sehr uns doch das orthodoxe Judentum zusammenhält, wie es die Religion über alle Verfolgungen und Epochenwechsel hinweg bewahrt hat. Deshalb pflege ich den Kontakt zu den Orthodoxen sehr. Wir sind eine Religionsgemeinschaft, kein Verein. Deshalb ist die religiöse Bildung so wichtig. Wenn die Kinder lernen, dass sie als Juden in dieser Gesellschaft leben, haben wir eine Zukunft. Nicht, wenn wir nur das Vergangene beklagen.

SZ: Das würde die jüdische Gemeinschaft in Deutschland von ihrer großen Überforderung entlasten: Sie muss - stellvertretend für den Rest des Landes - Mahnerin gegen das Vergessen sein.

Knobloch: Das wäre schön, wobei wir der Spirale nicht so schnell entkommen werden: Wenn Rassismus und Antisemitismus öffentlich werden, rufen die Journalisten zuerst bei mir an. Dabei betreffen die Themen alle: Kirchen, Politiker, Gewerkschaften, Arbeitgeber. Da fühle ich mich manchmal alleingelassen.

SZ: Ignatz Bubis hat am Ende seines Lebens resigniert gesagt, er habe nichts bewegt. Wie sehen Sie sich nach vier Jahren in einem anstrengenden Ehrenamt, rund um die Uhr bewacht?

Knobloch: Die Bewachung habe ich nie als schlimm empfunden. Als ich auf einem Bauernhof versteckt war und als Kind ein Doppelleben führen musste, habe ich mir eiserne Disziplin antrainiert: Funktioniere! Du musst auf dich aufpassen, das tut sonst niemand. Da habe ich eine dicke Haut bekommen. Wenn mich einer beschimpft, dringt das nicht ins Innere. Das Schlimmste, was ich aushalten musste, habe ich ja schon hinter mir.

SZ: Und die Resignation?

Knobloch: Resigniert bin ich keine Spur. Anders als Ignatz Bubis kann ich ja sehen, was entstanden ist. Und ich bin die erste Zentralratspräsidentin, die nicht im Amt stirbt. Das ist doch was!

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