Süddeutsche Zeitung

Charité-Ärzte prüfen Klinik für Timoschenko:Visite in Charkow

Besuch aus Berlin: Zwei Professoren der Charité haben die frühere ukrainische Ministerpräsidentin Timoschenko im Gefängnis besucht. Die deutschen Ärzte besichtigten auch die Klinik, in der die kranke Politikerin von ihnen behandelt werden soll.

Julian Hans

Der Chef der Berliner Charité, Karl Max Einhäupl, hat am Freitag das staatliche Krankenhaus in Charkow besichtigt, in dem die ehemalige ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko behandelt werden soll. Begleitet wurde er von einem Vertreter des Kanzleramts und dem Leiter der Orthopädie an der Charité, Norbert Haas. Eine Sprecherin der Charité sagte, kurz vor der Abreise hätten die ukrainischen Behörden Einhäupl die Zusage gemacht, er könne bei seinem eintägigen Besuch in Charkow auch Timoschenko selbst treffen.

Die Bundesregierung verhandelt mit der Führung der Ukraine über eine Ausreise der Politikerin, die Ende vergangenen Jahres wegen Amtsmissbrauchs zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt worden war. Seitdem sitzt sie im Frauengefängnis der Stadt Charkow im Osten der Ukraine. Sie klagt über starke Rückenschmerzen und kann kaum aus dem Bett aufstehen. Die europäischen Staaten hatten den Prozess gegen die ehemalige Ministerpräsidentin einhellig als politisch motiviert verurteilt.

Der heutige Präsident Viktor Janukowitsch war von Timoschenko und ihren Anhängern während der Orangenen Revolution 2004 der Wahlfälschung überführt worden. Die Prozesse gegen Angehörige der Regierung Timoschenko werden weithin als Rachejustiz wahrgenommen. Erst am Donnerstag hatte ein Gericht in Kiew den ehemaligen Verteidigungsminister Waleri Iwaschtschenko wegen Korruption zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Auch der Ex-Innenminister Juri Luzenko ist in Haft.

Eine Behandlung in Deutschland wäre ein Weg, Timoschenko freizubekommen, und der Regierung in Kiew zugleich zu ermöglichen, ihr Gesicht zu wahren. Eine Überführung Timoschenkows war aber nicht Thema auf der Reise am Freitag.

Einhäupl und Haas waren im Februar zusammen mit Spezialisten aus Kanada in die Ukraine gereist und hatten Timoschenko untersucht. Mit Verweis auf die ärztliche Schweigepflicht hatten sie ihre Diagnose nicht öffentlich gemacht. Sie sprachen aber von einer "ernsthaften Erkrankung", die im Gefängnis nicht behandelt werden könne. Auch in einem deutschen Gefängnis sei eine derartige Therapie nicht durchführbar, sagte Einhäupl. Als Reaktion darauf hat die Ukraine das Krankenhaus in Charkow für die Behandlung ausgewählt. Der Besuch soll klären, ob es geeignet ist.

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SZ vom 14.04.2012/wolf
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