Anders als in Kiel hat die politische Sommerpause in Berlin längst begonnen, viele Politiker sind im Urlaub. Das allein allerdings erklärt nicht, warum die Koalitionäre aus Union und SPD sich in der Hauptstadt mit Kommentaren zu den Ereignissen in Schleswig-Holstein zunächst so schwertaten.

Die SPD war noch am Donnerstagvormittag fest entschlossen gewesen, kein Wort des Vorsitzenden Franz Müntefering zum Koalitionsbruch im Norden verlauten zu lassen.
Das änderte sich erst, als sich die CDU in Person von Generalsekretär Ronald Pofalla hinter den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen stellte und von der Kieler SPD verlangte, den Weg für Neuwahlen freizumachen.
Müntefering tat dann das, was man erwarten konnte: Er unterstützte den SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzenden Ralf Stegner und forderte Carstensen zum Rücktritt auf.
Klare Vorstellungen über die genaue Lage an der Förde schienen die Berliner Akteure aber nicht zu haben. Keiner wollte wetten, dass es wirklich vorgezogene Neuwahlen gibt, niemand wusste genau, wer mit welchem Motiv was entschieden hat, und kaum jemand wollte über die Konsequenzen eines solchen Ereignisses für den Bundestagswahlkampf spekulieren.
Relativ sicher scheint nur eines zu sein: Die SPD im Norden dürfte kein Interesse an einer frühen Wahl haben. "Am 27. September bekämen wir ganz ordentlich etwas auf die Mütze", sagt ein namhafter Sozialdemokrat.
Die Versuchung, eigene Akzente zu setzen
Dann müsse die SPD wohl in die Opposition, Schleswig-Holstein würde mutmaßlich von einer schwarz-gelben Koalition regiert, und die Sozialdemokraten wären in einem weiteren Bundesland zumindest für die nächsten vier Jahre abgemeldet.
Ob das Ergebnis für die Kieler Sozialdemokraten bei einer Wahl im Mai besser ausfallen würde, gilt als ungewiss. Doch schlechter könne es keinesfalls werden, sagen diejenigen, die sich im Norden politisch auskennen.
Die Konsequenzen einer vorgezogenen Wahl für den Kurs von Union und SPD im Bundestagswahlkampf dürften sich in Grenzen halten. Jedenfalls unter der Voraussetzung, dass Carstensen und Stegner keine anderen Töne anschlagen als ihre jeweilige Bundespartei.
Vom Ministerpräsidenten ist dies wohl nicht zu erwarten. Sein Herausforderer Stegner, der zum linken Parteiflügel gezählt wird und in der Sozial- und Finanzpolitik gern andere Akzente setzen würde als Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier, könnte womöglich in solche Versuchungen geraten.
Steinbrück und der platzende Kragen
Doch in Wahlkampfzeiten herrscht gerade unter Sozialdemokraten große Disziplin, zumal dann, wenn man sich in einer unkomfortablen Lage befindet.
In die haben sich die Genossen im Norden zuletzt selbst gebracht. Während man in der Bundes-SPD die Finanz- und Wirtschaftskrise bis hin zur Gier zweifelhafter Manager zu einem Wahlkampfthema machen möchte, hatte zumindest der SPD-Innenminister in Schleswig-Holstein der inzwischen hoch umstrittenen Bonuszahlung für den Vorstandschef der staatlich gestützten HSH Nordbank zugestimmt.
Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, der im Bundestagswahlkampf solche Praktiken lautstark zu geißeln plant, hatte sich schon am Mittwoch, vor dem Eklat in Kiel, aus dem Urlaub mit den Worten geäußert: "Da kann einem schon der Kragen platzen."
Uneingeschränkte Freude über die Aufregungen in Kiel herrschte derweil nur bei der Opposition. Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle nannte den Koalitionsbruch ein "bundespolitisches Fanal" und ein neues Argument, warum mit den großen Koalitionen im Bund und anderswo Schluss sein müsse. Auch die Grünen rechnen sich bessere Chancen aus.
Für die Arbeit der großen Koalition in den zehn Wochen bis zur Bundestagswahl dürften die Kieler Vorgänge gleichfalls keine größeren Konsequenzen haben.
Das Europa-Begleitgesetz zum EU-Reformvertrag, das nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts notwendig geworden ist, dürfte Anfang September verabschiedet werden.
Darüber, so verlautete am Donnerstag aus Regierungskreisen in Berlin, seien sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und die SPD-Spitze einig.