Ceta:Frust statt Freude

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Die Einigung mit dem wallonischen Ministerpräsidenten kommt zu spät. Der Schaden für Europa ist angerichtet. International kann der Kontinent kaum noch ernst genommen werden.

Von Thomas Kirchner

Ceta lebt also doch noch. Aber was für ein Spektakel wurde in der Europäischen Union rund um das Freihandelsabkommen mit Kanada aufgeführt. Niemand darf das Gesicht verlieren - dieses Prinzip sagt man eigentlich Verhandlern aus Asien nach. Doch es galt in diesem europäischen Ringen ebenso. Paul Magnette, der quasi über Nacht auf dem ganzen Kontinent bekannt gewordene wallonische Premierminister, ging wie angekündigt bis zum Äußersten - und ein bisschen darüber hinaus.

Der gelernte Politikprofessor hat eiskalt kalkuliert in diesem Kampf, im Wissen, dass er dabei nur gewinnen konnte. Er hat den ihm verhassten liberalen Ministerpräsidenten Belgiens, Charles Michel, gedemütigt und es den Flamen, die ihre verarmten Landsleute verlachen, heimgezahlt. Er hat sich zum neuen Star der belgischen, wenn nicht gar der mitteleuropäischen Linken aufgeschwungen und Elio Di Rupo, die sozialistische Kultfigur mit der Fliege, damit endgültig überflügelt.

Besser kann man es aus seiner Sicht kaum machen. Doch was gilt für die Europäer? Sollen sie sich über diese Einigung zu später Stunde nun freuen? Es fällt einem schwer, dies zu tun. Dafür ist zu viel zerbrochen worden. Wenn lediglich Magnettes innerbelgische Gegner verloren hätten, wäre das ja zu verschmerzen. Verloren hat aber vor allem die ganze Europäische Union.

Die Einigung in Belgien kommt zu spät - der Schaden ist angerichtet

Diejenigen, die den wallonischen Regierungschef während der Verhandlungen frenetisch anfeuerten oder sich heimlich wünschten, er möge den verhassten Brüsseler "Technokraten" (so der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, SPD) kräftig vors Schienbein treten, sollten sich jetzt fragen, ob sie nicht einen Pyrrhussieg bejubeln. Denn von den Schlägen, die das Gemeinschaftswerk der Europäer in den vergangenen Monaten und Jahren einstecken musste, ist dieser hier besonders verheerend.

Das Gerangel um Ceta offenbart tiefste Verunsicherung auf mehreren Ebenen. International kann der Kontinent politisch kaum noch ernst genommen werden. In Europa selbst zeigt sich, wie viele Bürger dem Gedanken der Zusammenarbeit zum Wohle aller europäischen Staaten misstrauen. Die Kooperation in der EU erfordert Kompromisse und verbietet es, dass ein einziger, und hätte er noch so hehre Ziele, auf Kosten aller anderen auf Maximalforderungen besteht. Selbst die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) darf nicht mit dem Hammer auf den europäischen Ratstisch hauen.

Aber nicht nur Brüssel ist in Misskredit geraten, sondern auch das europäische politische System als solches und die repräsentative Demokratie an sich. Das Volk vertraut seinen Vertretern nicht mehr. Soll es also selbst entscheiden? In den Niederlanden rüsten sich Ceta-Gegner schon zum nächsten Referendum. Und wieder wird es weniger um die Sache als um Hass auf Brüssel gehen. Das ist keine Lösung. Die Politik muss sich das Vertrauen der Bürger zurückerobern. Es wird ein langer Weg.

© SZ vom 28.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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