Cem Özdemir:"Wir bringen die Verhältnisse zum Tanzen"

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Grünen-Chef Cem Özdemir über die Ziele seiner Partei bei der Bundestagswahl und seine Hoffnung auf eine Schlappe für Schwarz-Gelb.

Thorsten Denkler

sueddeutsche.de: Herr Özdemir, macht Ihnen der Wahlkampf noch Spaß?

Grünen-Chef Cem Özdemir will gegen Schwarz-Gelb kämpfen. "Ich verspreche Ihnen, dann bringen wir die Verhältnisse zum Tanzen." (Foto: Foto: ddp)

Cem Özdemir: Ja, klar. Obwohl, oder auch gerade, weil es ist ein Hardcore-Programm ist - wir haben dieses Jahr 15 Wahlen. Aber ich mag Wahlkämpfe. Man kommt raus ins Land und trifft viele Leute.

sueddeutsche.de: Der Wahlkampf wirkt eher zäh. Manche sagen, Angela Merkel bleibt sowieso Kanzlerin, die Frage ist nur, ob mit SPD oder FDP als Partner. Macht Ihnen diese Grundstimmung zu schaffen?

Özdemir: Union und FDP glauben, die Messe ist schon gelesen. Aber je sicherer sie sich sind, je öfter sie mit ihren unerfüllbaren Steuersenkungsversprechen kommen und je mehr sie jetzt anfangen, sich über die Verteilung der Ministerposten zu streiten, desto schneller wird die Stimmung im Land kippen. Die Leute wollen eben doch noch mitreden bei einer Wahl.

sueddeutsche.de: Unterschätzen Sie die Union da nicht ein wenig? Die werden doch ihre Fehler von 2005 nicht wiederholen.

Özdemir: Man darf das Talent von Herrn Westerwelle und Frau Merkel, die Wahl als schon gelaufen zu betrachten, nicht unterschätzen. Die haben bei drei Wahlen gedacht, sie würden gewinnen und haben dreimal nicht gewonnen. Darum gibt es auch bei dieser Wahl eine Chance, die Stimmung noch zu drehen. Man sieht gerade an dem Versuch von Guttenberg, sein eigenes Wirtschaftspapier zu dementieren, weil es zu explizit ist, dass die Union auf das Prinzip Tarnkappe setzt und dabei Fehler macht. Aber schauen Sie doch mal in das Grundsatzprogramm der CDU, da stehen alle diese Forderungen schon drin.

sueddeutsche.de: Mit "drehen" meinen Sie aber nicht, dass es am Ende für Rot-Grün reichen könnte.

Özdemir: Das ist im Moment sicher unwahrscheinlich. Aber es wird auch nicht unbedingt so ausgehen, wie sich das Herr Westerwelle und Frau Merkel vorstellen. Und das ist unser Job. Unser Beitrag wird darin liegen, die Grünen so stark wie möglich zu machen. Wir wollen den dritten Platz von der FDP zurückerobern.

sueddeutsche.de: Was bekommen Sie eigentlich von der SPD, wenn sie Schwarz-Gelb verhindern und der SPD so den Verbleib in der großen Koalition sichern?

Özdemir: Wenn wir Schwarz-Gelb verhindern, ist alles offen. Ich verspreche Ihnen, dann bringen wir die Verhältnisse zum Tanzen.

sueddeutsche.de: Warum ist Ihnen der dritte Platz so wichtig?

Özdemir: Weil er viel aussagt über den Stellenwert unserer Themen. Wird die FDP stark, dann setzt sich eine bestimmte Interpretation der Finanzkrise durch: Es ist alles nicht so schlimm, wir können so weitermachen wie bisher. Der Kasinokapitalismus geht dann fröhlich weiter.

sueddeutsche.de: Und wenn die Grünen stark werden?

Özdemir: Das heißt, den Leuten ist der Klimawandel und die Gerechtigkeit wichtig - Gerechtigkeit zwischen Generationen, zwischen Deutschen und Zugewanderten, zwischen den Geschlechtern. Darum ist die Wahl eine Art Wasserstandsmelder für die Politik der kommenden Jahre. Starke Grüne sind eine Botschaft an die anderen Parteien. Die lautet: Unsere grünen Themen sind wichtig, die muss man ernst nehmen. Wer uns wählt, gibt auch ein Signal an Frau Merkel, an Herrn Westerwelle, an Herrn Steinmeier, Herrn Müntefering, an die zwei von der Linkspartei - ich vergesse die immer - an Herrn Lafontaine und Herrn Gysi.

sueddeutsche.de: Sie umschiffen damit auch galant, dass Sie ihren Wählern keine echte Machtoption nach der Wahl bieten können. Rot-Grün fällt flach, "Jamaika" schließen die Grünen aus, eine Ampel will die FDP nicht, Schwarz-Grün macht die Union nicht mit. Mit Grün in der Regierung scheint es nichts zu werden.

Özdemir: Da maße ich mir im Gegensatz zu Ihnen keine Prognose an. Das haben die Wähler zu entscheiden am 27. September.

sueddeutsche.de: Noch mal: Wenn man von den Anfängen der Grünen absieht, ist dies die erste Bundestagswahl, bei der die Grünen nicht mit einer realistischen Koalitionsaussage in den Wahlkampf ziehen können.

Özdemir: 2005 sah es schlechter aus und dann wurde es noch mal knapp. Natürlich ist dieses Mal alles etwas anders. Das Parteiensystem hat sich verändert, wir haben nun fünf relevante Parteien. Das bedeutet aber, alle Parteien, nicht nur wir Grünen, müssen sich jetzt umstellen. Die üblichen Lager stehen für alle Parteien damit zur Disposition. Und wer da welche realistischen Machtoptionen hat, werden wir am Abend des 27. September ja sehen.

sueddeutsche.de: Was verändert das?

Özdemir: Im Fünf-Parteien-System gibt es keine zwangsläufigen Koalitionsoptionen mehr. Die Parteienlandschaft ist dafür einfach zu unübersichtlich geworden. Früher gab es das rot-grüne Lager. Heute sagen wir, es gibt das grüne Lager. Darin versammeln sich zum Beispiel die, die zwei Grad Klimaerwärmung als Maximum für unbedingt notwendig halten und diesem Ziel alles andere unterordnen. Aus dieser Position heraus machen wir den Wählern ein Angebot.

sueddeutsche.de: In Umfragen liegen Sie zwar hinter der FDP, aber konstant über zwölf Prozent. Ist das eher der Schwäche der SPD zu verdanken oder der Tatsache, dass von großen Koalitionen die kleinen Parteien profitieren?

Özdemir: Weder noch. Wir sind einfach diejenigen, die durchgerechnete und realistische Konzepte haben und die Probleme der Zeit am konsequentesten angehen wollen. Wir sind überzeugt, in den kommenden Jahren mit grüner Wirtschaft eine Million neue Jobs schaffen zu können.

sueddeutsche.de: Die anderen wollen noch mehr.

Özdemir: Stimmt, aber die Frage ist doch, mit welchen Konzepten? Und: wie glaubwürdig sind diese Lösungen für die nächsten Jahre? sueddeutsche.de: Im Frühjahr haben Ihre Spitzenkandidaten noch für eine Ampel gestritten. Das wollte die Basis nicht. Jetzt heißt es nur noch grün, grün, grün. Warum sagen Sie nicht vor der Wahl, mit wem Sie aus Ihrer Sicht regieren würden, wenn sie könnten?

Özdemir: Es ist kein Geheimnis, dass wir mit der SPD die größte Schnittmenge haben. Aber wir machen bewusst keinen Koalitionswahlkampf. Das wollen unsere Wähler nicht. Die wollen von uns wissen, wie wir aus der Wirtschaftskrise herauskommen, wie wir das verbinden mit Nachhaltigkeit und Ökologie. Sie wollen wissen, wie wir Terrorismus bekämpfen, ohne dabei die Menschenrechte mit Füßen zu treten, oder wie es erreicht werden kann, dass Frauen und Männer gleichen Lohn für gleiche Arbeit bekommen.

sueddeutsche.de: Für all das brauchen Sie Partner.

Özdemir: Ja, aber wir können unsere Inhalte eben nicht unbedingt mit jedem Partner umsetzen. Union und FDP wollen die Laufzeiten für Atomkraftwerke verlängern und sind gegen Mindestlöhne. Da wird es schwierig, eine gemeinsame Basis zu finden. Meine Phantasie reicht jedenfalls nicht aus, mir vorzustellen, dass gemeinsam mit Herrn Westerwelle und Frau Merkel grüne Politik umzusetzen ist.

Wahlkampfplakate
:Provokationen auf Pappe

Manch plakatierte Provokation aus dem Superwahljahr geht noch weiter unter die Gürtellinie als das Bild vom Dekolleté der Kanzlerin. Aber überzeugen die Plakate?

Sie ab!

sueddeutsche.de: Sie könnten sich andererseits maximal teuer verkaufen, wenn sie bereit sind, ins bürgerlich-konservative Lager zu wechseln. Dort könnten Sie sich als linkes Korrektiv in einer schwarz-gelb-grünen Koalition profilieren.

Özdemir: Wir verkaufen uns grundsätzlich teuer, das weiß am besten gerade die CDU. Denken Sie an Baden-Württemberg, wo Oettinger kalte Füße bekommen hat. Aber wir gehen an das Thema Koalition ganz pragmatisch ran. Wenn wir wüssten, das geht mit denen, würden wir uns nicht verschließen. Das hat nichts mit Ideologie zu tun. In Hamburg regieren wir mit der CDU. Wir haben auch schon mit der FDP in zwei Ampelkoalitionen regiert. In Hessen arbeitet dagegen jemand wie Roland Koch - der ist zum Beispiel dagegen, dass meine Tochter oder Menschen wie ich von Geburt an Staatsbürger dieses Landes werden. Das passt dann nicht zusammen.

sueddeutsche.de: Sie haben gemeinsam mit zwei FDP-Politikern in Wohngemeinschaften gelebt. Wer zusammen wohnt, sollte doch auch koalieren können.

Özdemir: Das sind zwei verschiedene Dinge. Das Private ist in dem Fall nicht unbedingt politisch. Die FDP verspricht jedem, der es hören will, massive Steuersenkungen. Wir haben eine Rekordverschuldung zu bewältigen, müssen zugleich mit riesigen Steuerausfällen rechnen und weit mehr als bisher in Bildung investieren. Da frage ich mich, mit welchem Geld die FDP ihre angekündigten Geschenke eigentlich bezahlen will.

sueddeutsche.de: Die Wähler scheinen laut Umfragen weder der FDP noch der Union die Steuersenkungsversprechen abzunehmen, wollen sie aber dennoch wählen. Wie erklären Sie sich das?

Özdemir: Die Leute haben ziemlich den Kanal voll von der großen Koalition. Andererseits wollen sie in der Krise Sicherheit und Stabilität. Da hat die Kanzlerin sicher einen Amtsbonus, den sie aber auch nicht überschätzen darf. Am Ende wollen die Wähler mit glaubwürdigen Konzepten für die Zukunft überzeugt werden.

sueddeutsche.de: Was verkörpert dann die FDP?

Özdemir: In ihr versammeln sich diejenigen, die glauben, dass die anderen zu sehr auf staatliche Regulierung setzen und wir mit weniger staatlichen Strukturen glücklicher würden. Da sind sicher eine Menge enttäuschter Unionsanhänger dabei.

sueddeutsche.de: Vor einen Jahr gab es noch die Hoffnung, dass das linke Lager von der Finanzkrise profitieren könnte. Warum ist das nicht eingetreten?

Özdemir: Mit Lagerdenken kommt man da nicht weiter. Die Linkspartei kann sicher gut skandalisieren. Aber in der jetzigen Situation wollen die Leute nicht hören, wie schlimm alles ist - sie wollen Lösungen. Die Union sagt, Steuern runter, die Linke verspricht allen alles und finanzieren sollen das dann die Reichen. Beides haut nicht hin. Die Leute merken, dass das ziemlich unterkomplex ist.

sueddeutsche.de: Eine Reichensteuer wollen die Grünen auch.

Özdemir: Falsch. Wir wollen eine zeitlich begrenzte Vermögensabgabe, um die Folgen der Krise abzudämpfen. Das ist etwas anderes als der Versuch, mit einer Reichensteuer sämtliche soziale Wohltaten bezahlen zu wollen.

sueddeutsche.de: Und warum kann die SPD nicht von der Krise profitieren?

Özdemir: Sie hat das Problem, dass sich die CDU, wie europaweit viele konservative Parteien, ein soziales Mäntelchen umgehängt hat. In Frankreich bindet Staatspräsident Nicolas Sarkozy Sozialisten in die Regierung ein. In Großbritannien versucht der Konservative David Cameron, die Labour-Party mit ökologischen Themen links zu überholen. Die konservativen Parteien haben offenbar gelernt, dass es für die offen neoliberale Lehre keine Mehrheiten gibt.

sueddeutsche.de: Warum wählen die Leute nicht lieber das Original?

Özdemir: Die Themen der SPD sind durchaus populär. Aber sie hat offenbar nicht das Personal, dem die Menschen glauben, diese Themen auch umzusetzen. Sie haben eben in elf Jahren Regierung all das nicht umgesetzt, was sie propagiert haben. Wir waren inhaltlich früher schon da, wo die SPD heute ist, und sind bei der Umsetzung konsequenter.

sueddeutsche.de: Kein Problem damit, dass die SPD versucht, mit Atomausstieg und grüner Wirtschaft Punkte zu machen?

Özdemir: Nein, ich habe gar kein Problem, wenn die bei uns abkupfern. Ich nehme das als Kompliment. Es wäre schön, wenn CDU und FDP sich daran ein Beispiel nehmen würden. Aber am Ende muss eben auch eine solche Politik gemacht werden. Nur grün reden hilft weder den Menschen noch der Wirtschaft und schon gar nicht dem Klima.

sueddeutsche.de: CDU und CSU zoffen sich gerade lieber mit der FDP als mit den Grünen. Schmerzt die Nichtbeachtung?

Özdemir: Nicht im Geringsten. Das ist ja geradezu Folklore, was sich CSU und FDP unter Anteilnahme der CDU liefern. Mich erinnert das stark an die Zeiten von Franz Josef Strauß. Es ist wohl der Versuch von Horst Seehofer, der CSU ein eigenständiges Profil zurückzugeben. Was mich wundert, ist, was Merkel der CSU dabei alles durchgehen lässt. In der Europafrage sollte sie Seehofer keinen Platz zum Spielen geben. Dafür ist die Frage zu ernst und zu wichtig. Bei Helmut Kohl hätte es das nicht gegeben.

sueddeutsche.de: Die FDP hat jetzt einen eigenen Plan vorgestellt, mit dem sie Deutschland aus der Krise führen will. Wie bewerten Sie den?

Özdemir: Es ist geradezu schauerlich, was die sich dort zusammengeschrieben haben. Die FDP will besonders begabte Kinder mit Stipendien fördern. Teilhabe und Integration will die FDP ausschließlich den behüteten Kindern von Akademikern zukommen lassen. In der Forschung setzen sie zuallererst auf grüne Gentechnik und Stammzellenforschung. Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken halten die für moderne Energiepolitik. Die FDP hat nichts begriffen von den Zukunftsmärkten. Mit einem solchen Konzept kommt man nicht aus der Krise, sondern verschlimmert sie.

sueddeutsche.de: Der FDP und den Grünen könnte die Piratenpartei eine erkleckliche Zahl von Stimmen abnehmen. Die setzt sich besonders vehement für Datenschutz und Freiheit im Internet ein. Eine ernstzunehmende Konkurrenz für Sie?

Özdemir: Nein. Die Piratenpartei ist eher ein Problem für die Sozialdemokraten, die sich bei den Internetsperren in der großen Koalition nicht besonders internetaffin gezeigt haben. Unsere Position ist da sehr klar: Alles tun, um Kinderpornographie zu stoppen. Online und Offline. Aber wir müssen die Mittel am Ziel definieren. Das hat Ursula von der Leyen mit ihrer Internetsperre nicht getan.

sueddeutsche.de: Da würde jetzt Ihr Bremer Parteifreund Matthias Güldner widersprechen. Der Fraktionschef in der Bremer Bürgerschaft schrieb jüngst, wer argumentiere, nur weil die Sperren umgangen werden könnten, dürfe es keine Internetsperren geben, der habe sich wohl "das Hirn herausgetwittert". Fühlen Sie sich angesprochen?

Özdemir: Matthias Güldner hat seinen Beitrag inzwischen relativiert. Unsere Positionen sind nicht grundlegend voneinander entfernt. Aber es gibt offensichtlich Gesprächsbedarf. Darum wollen wir demnächst zu diesem Thema eine größere und parteiübergreifende Veranstaltung organisieren. Ministerin von der Leyen hätte die betroffenen Gruppen viel früher zusammenbringen müssen. Dann wäre ihr Gesetz wahrscheinlich etwas anders ausgefallen.

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