Zuletzt hat sich Cem Özdemir wirklich mit allem Möglichen befasst, aber nicht, nur zum Beispiel, mit Paludikulturen auf Moorböden oder mit Spaltenböden in Ställen. Und wenn er mit Geflügel zu tun hatte, dann am ehesten in Form von Hahnenkämpfen in der eigenen Fraktion - bei denen sich Özdemir, lange Jahre Grünen-Chef, am Ende durchsetzte. Er wird Landwirtschaftsminister.
Das Amt ist vielleicht nicht das erste, an das man bei Özdemir denken würde. Bei den Sondierungen der Ampel-Koalition hatte er für die Grünen das Wirtschaftskapitel federführend verhandelt, und in der vorigen Legislaturperiode hatte er sich vor allem um Verkehrspolitik gekümmert. Ein Nachteil muss das aber nicht sein in der erhitzten Debatte um die Perspektiven der Landwirtschaft. Vorbelastet ist Özdemir jedenfalls nicht.
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Arbeit wird er reichlich haben, denn viele der großen Fragen der Landwirtschaft hinterlässt seine Vorgängerin Julia Klöckner (CDU) ungelöst. Allen voran die Frage, wie die Interessen von Umwelt und Landwirten zusammengehen - und zwar so, dass nicht entweder Böden, Feldvögel oder Grundwasser dran glauben müssen oder aber die Landwirte selbst. Die Stimmung unter den Landwirten ist gereizt, die nächsten Demos sind schon in Vorbereitung.
Um die Konflikte aufzulösen, hatte die alte Bundesregierung eine "Zukunftskommission" eingesetzt. Verbände der Landwirtschaft, Umweltschützer, Einzelhandel und Wissenschaftler sollten hier einen Weg in die Zukunft skizzieren. Gemeinsam verlangten sie eine Ökologisierung der Landwirtschaft, die von der Gesellschaft getragen und finanziert werden sollte. Doch die alte Regierung ließ das Ergebnis links liegen, und der Koalitionsvertrag der Ampel streift es nur in Ansätzen.
Der Ball liegt für Özdemir jetzt auf dem Elfmeterpunkt
Schon bangen die Mitglieder, die ganze Arbeit könnte umsonst gewesen sein. Er hoffe, dass die neue Regierung und der neue Minister die Vorschläge noch aufgreife, sagt Peter Strohschneider, der die Zukunftskommission leitete. Man habe einen Konsens quer durch alle Bereiche erreicht, der immer noch trage. "Das ist ein hoher Wert und ein großer gesellschaftlicher Fortschritt." Das sieht der Bauernverband nicht anders, und Umweltverbände auch nicht. "Im Grunde haben wir viel Zeit darauf verwandt, den Ball auf den Elfmeterpunkt zu legen", sagt Myriam Rapior, die für die BUND-Jugend mit verhandelt hat. "Und jetzt will anscheinend keiner schießen."
Ähnliches gilt für eine andere Kommission der ehemaligen Bundesregierung, geleitet vom einstigen Agrarminister Jochen Borchert. Sie hatte sich mit der Tierhaltung beschäftigt und einen auf Jahrzehnte angelegten Umbau von Ställen angeregt. Finanzieren sollten ihn Verbraucher, etwa über eine Umlage auf tierische Produkte. Auch hinter diesem Bericht steht ein breiter, mühsam gefundener Konsens, auch er verschwand in den Schubladen des Ministeriums - und taucht im Koalitionsvertrag nur in Umrissen auf. Wenn Cem Özdemir demnächst sein neues Büro an der Berliner Wilhelmstraße bezieht, werden die Schränke jedenfalls nicht leer sein.
Und Freunde hat er auf Anhieb reichlich, mit dem neuen Minister will sich keiner schlecht stellen. Bauernpräsident Joachim Rukwied bemüht gleich die Landsmannschaft, sein Eberstädter Hof liegt in Özdemirs Heimat Baden-Württemberg. Es mache auch nichts, dass dem Grünen der "Stallgeruch" fehle: "Ein wacher Geist arbeitet sich schnell ein." Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, die inhaltlich den Grünen nahesteht, nennt den Personalvorschlag eine "interessante Herausforderung", schwärmt aber gleichzeitig von der politischen Erfahrung des designierten Ministers. Und die Freien Bauern, eine der jungen Splittergruppen in der Landwirtschaft, richtet eine Botschaft der Toleranz an den Neuen. Özdemir, der Vegetarier ist, müsse mit den Bauern ja kein Schnitzel essen. "Aber wir würden Ihnen gern erklären, warum eine vegetarische oder vegane Landwirtschaft nicht funktioniert." Das wird bestimmt lustig.