Süddeutsche Zeitung

Cem Özdemir:Kreuzberger Mächte

Wie der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir an seinem Wohnsitz in Berlin den Unterschied zwischen Theorie und Praxis in der Drogenpolitik erleben kann.

Daniel Brössler, Berlin

Am Haus um die Ecke kleben Einladungen zu einem "internationalistischen Abend". Es soll da um Solidarität gehen mit den Anarchisten aus Israel. Gegenüber im türkischen Café kostet der Börek noch 1,70 Euro, und die Sofagarnituren unten im Einrichtungsladen stammen aus der Zeit vor Ikea. "Heartland Kreuzberg" nennt Cem Özdemir die Gegend, es ist sein Zuhause.

"Wir sind da bewusst hingezogen. Wir fühlen uns da wohl und wohnen gerne da", sagt der Grünen-Vorsitzende. Seit 2007 wohnt Özdemir mit seiner Frau, einer Journalistin, und seiner kleinen Tochter in einem Haus in der Nähe des Kottbusser Tors, das ziemlich bekannt ist im Kiez. Es ist ein "linkes Haus", war einmal besetzt, wurde dann legalisiert. Es ist ein Haus, in das man nicht einfach einzieht. Wer hier rein will, muss den Hausrat erst einmal überzeugen, dass er links genug ist und das Zeug hat zum richtigen Kreuzberger.

Es ist dies eine Welt, in der man damit rechnen muss, dass das Private politisch wird, weshalb sich Özdemir über eine Schlagzeile in der Berliner Boulevardzeitung B.Z. ärgern, aber nicht wirklich wundern konnte. "Fixerstube im Haus von Grünen-Chef", war da zu lesen. Ausgerechnet im Wohnhaus des Parteichefs plane Bezirksbürgermeister Franz Schulz einen Raum für Drogenabhängige.

Ein Revolverblatt äußert Mitgefühl

Die Hausgemeinschaft sei "schwarz vor Wut". Im Text schreibt das Blatt mitfühlend über den Grünen: "Wenn er heimkommt, muss er sehen, wie sich Drogensüchtige in seinem Haus den Schuss setzen, sich erbrechen, um Stoff betteln." Die Bedenken des Parteichefs seien da verständlich. Ein Revolverblatt äußert Mitgefühl, weil er Ärger mit Junkies habe - für einen Grünen-Chef kann es eigentlich nicht viel schlimmer kommen.

Eine polemische Kurzzusammenfassung könnte lauten: So sind sie, die Grünen, fordern Hilfe für die Süchtigen - aber bitte nicht vor der eigenen Wohnungstür. Das Ganze auch noch in Kreuzberg, jenem Ort in Deutschland, wo sie nun wirklich die Macht haben.

Hier gibt es einen grünen Bezirksbürgermeister, und im Bundestag sitzt der Kreuzberger Hans-Christian Ströbele, der einzige Grüne mit einem Direktmandat. "Wir gehen davon aus, dass die überwiegende Mehrheit der Kreuzbergerinnen und Kreuzberger ein tolerantes Verhältnis zu Drogenkranken hat", sagt Bezirksbürgermeister Schulz.

Am Kottbusser Tor freilich trifft Politik auf Wirklichkeit, die Toleranz vieler Anwohner ist strapaziert. Sie haben eine Bürgerinitiative gegründet, weil sie sich alleingelassen fühlen mit der Drogenszene am "Kotti". Sie haben eine Demonstration veranstaltet und skandiert: "Wir wollen ein dealerfreies Kreuzberg!" Die Grünen haben eine Antwort auf solche Sorgen, sie steht in Programmen und Konzepten.

"Es gibt eine grüne Drogenpolitik. Dazu gehört ganz essentiell die Einrichtung von Druckräumen", sagt der Abgeordnete Ströbele. Es gehe darum, "die Leute von der Straße zu holen und ihnen zu helfen. Wenn man vermeiden will, dass die in Hauseingänge gehen und da Spritzen rumliegen, muss man solche Druckräume einrichten." Der grüne Bürgermeister Schulz spricht etwas bürokratischer von "Drogenkonsumräumen", er meint aber dasselbe. Allein die Suche nach solchen Räumlichkeiten ist mühselig - auch in Kreuzberg. "Wir haben viele Eigentümer angesprochen. Im Moment haben wir noch keine erfolgversprechende Zusage", klagt Schulz.

"Rationale Drogenpolitik"

So ist aus der Lokalgeschichte überhaupt erst ein Fall geworden, der den Bundespolitiker Özdemir tangiert. Während der Demo am Kottbusser Tor nämlich hatte Schulz die Frage aufgeworfen, ob ein neuer Drogenkonsumraum nicht dort einziehen könne, wo demnächst eine kurdische Moschee ausziehe. Das ist das Haus, in dem Özdemir lebt. Die Idee kam in die Zeitung, aus der dann Özdemir und seine Nachbarn von ihr erfuhren. Das sei "keine kluge Methode, Leute zu überzeugen", sagt Özdemir.

"Wir wohnen in Kreuzberg. Hier kommt es besonders schlecht an, wenn etwas par ordre du mufti gemacht werden soll." Das wäre auch gar nicht möglich. Der fragliche Gewerberaum ist im Besitz der Eigentümergesellschaft, der Özdemir freilich nicht angehört. Ein Nachmieter soll ohnehin längst gefunden sein.

Der Grüne weiß allerdings auch, dass die Sache politisch nicht so einfach zu begraben ist, dass tief in Kreuzberg eine Glaubwürdigkeitsfalle lauert. "Weil ich bewusst in Kreuzberg lebe, ist klar, dass ich nicht wegschaue, wenn da etwas falschläuft. Auf der einen Seite steht die Bürgerinitiative, auf der anderen Seite stehen die Drogenkranken. Ich hatte den Eindruck, dass da zwei Züge aufeinander zurasen", sagt er. Özdemir sieht sich nun in einer Art Vermittlerrolle, hat vor türkischen Eltern und Alt-Autonomen eine Diskussion moderiert, an der auch Ströbele und Schulz teilnahmen.

"Ich habe den Anspruch, dass das, was wir in die Programme schreiben, sich nicht von der Lebensrealität entfernen darf", sagt der Parteichef und glaubt sich seiner Devise treu: "Es hat nicht eine einzige Äußerung von mir gegeben, dass ich gegen den Druckraum bin. Ich sage aber: Man muss mit den Leuten reden. Meine Position in dieser Frage ist klar." Im Wahlprogramm, das Özdemir am Freitag mit Ko-Parteichefin Claudia Roth präsentiert hat, geht es auf Seite 29 um "rationale Drogenpolitik". Sie stehe, ist dort zu lesen, in einem "schwierigen Spannungsverhältnis".

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Quelle:
SZ vom 07.03.2009
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