Süddeutsche Zeitung

Grüne:Plötzlich Kandidaten

Die Bewerbung von Kirsten Kappert-Gonther und Cem Özdemir für den Fraktionsvorsitz löst bei den Grünen keine Begeisterung aus. Im Gegenteil: Viele fühlen sich überrumpelt.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Die Grünen am Montag nach der Bewerbung, das ist ein ziemlich unruhiger Haufen. Schaffen die das? Muss das sein? Welche Chancen haben Cem Özdemir und Kirsten Kappert-Gonther, wenn sie in zwei Wochen nach dem Fraktionsvorsitz im Bundestag greifen? Und wäre es nicht auch mal Zeit für frische Luft an der Spitze der Grünen-Fraktion?

Solche Fragen stellten sich Bundestagsabgeordnete und Parteiobere der Grünen am Montag zuhauf, beantworten mochte sie vorläufig keiner, schon gar nicht öffentlich. Nachdem der frühere Grünen-Chef Özdemir am Samstag angekündigt hatte, zusammen mit der Bremer Abgeordneten Kirsten Kappert-Gonther für den Fraktionsvorsitz im Bundestag zu kandidieren, wirkten viele Parteifreunde zunächst überrumpelt. Vor allem im linken Spektrum der Partei löste die Ankündigung wenig Begeisterung aus. Aber auch bei den grünen Realos war zunächst kein Jubel zu hören, sie wollten sich am Montagabend erst einmal beim Strömungstreffen beraten. Garstige Töne oder gar ein grüner Flügelstreit sollen unbedingt vermieden werden.

"Erst mal ist es ein Wettbewerb, und das ist gut", sagte betont unbekümmert die Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt am Montag im Bundestag. Und ja, sie sei "überrascht" worden von der Ankündigung, dass Cem Özdemir und Kirsten Kappert-Gonther sich um den Fraktionsvorsitz bewerben. Özdemir, einst Parteivorsitzender, hatte sich nach den Jamaika-Sondierungen in die zweite Reihe der Grünen zurückgezogen. Dass er ein Comeback anstrebte, war keine Überraschung. Allerdings fehlte dem Schwaben lange eine Frau vom linken Flügel, die für eine grüne Doppelspitze unerlässlich ist. Die Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger stammt wie Özdemir aus Baden-Württemberg und schied schon deshalb aus, soll aber auch nicht interessiert gewesen sein. Die Wirtschaftspolitikerin Katharina Dröge, auch sie eine Parteilinke, gilt als Anhängerin von Fraktionschef Anton Hofreiter. Özdemir soll sie gar nicht erst gefragt haben.

Die Wiederwahl von Göring-Eckardt und Hofreiter 217 war kein Triumphzug

Nun also hat der 53-Jährige die Medizinerin und Drogenexpertin Kirsten Kappert-Gonther für eine Kandidatur an seiner Seite gewonnen. Die Bremerin hat bei der letzten Bundestagswahl der Grünen-Gründerin Marieluise Beck das Mandat abgejagt. Sympathisch, klug, aber in der Fraktion noch unauffällig, war am Montag bei den Grünen über die Überraschungskandidatin zu hören. Ihre Bewerbung habe "bisher keinerlei positives Feedback" ausgelöst, hieß es aus dem linken Parteiflügel. Und: "Eine so unerfahrene Person geht neben Cem Özdemir unter." Kappert-Gonther soll das anders sehen, und auch die aktuellen Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter demonstrieren Gelassenheit. Sie habe immer deutlich gemacht, "dass die Fraktion die inhaltliche Arbeit für die Partei voranbringen muss, mit der Partei", betonte Göring-Eckardt. Bloß keine Experimente, ist da die Botschaft, und bloß kein Rückfall in die Zeit, als Partei- und Fraktionsspitze einander beharkten.

Unanfechtbar allerdings sind Göring-Eckardt und Hofreiter nicht. Sechs Jahre stehen die beiden an der Spitze der Bundestagsfraktion, ihre Wiederwahl 2017 war kein Triumphzug. Beide gelten als effektive Pragmatiker, die im Tagesgeschäft vieles wegschaffen, rhetorisch eher keine Funken schlagen - aber eben auch kein Problem damit haben, den Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck die große Bühnenshow zu überlassen. Die Parteispitze ist das Kraftzentrum der Grünen, die Fraktion gilt als ruhiges Arbeitsdeck. Damit könnten viele in der Fraktion ganz gut leben, gab eine Reala aus dem Bundestag am Montag zu verstehen. Auch die Parteilinke Katja Dörner mag im stillen Werkeln der Fraktionschefs keinen Nachteil sehen: "Dass die Fraktionsvorsitzenden nicht automatisch so im Licht stehen wie früher, ist ein Preis für dieses Team-Play. Ich finde das nicht kritikwürdig, sondern gut und im Sinne des Ganzen."

Andere wiederum betonten, Cem Özdemir erreiche ganz andere, eher konservative Milieus als die beiden Amtsinhaber. Auch das gelte es zu bedenken. Von der Parteispitze kam am Montag nur Ausweichendes zur Personalie Özdemir und Kappert-Gonther: Man warte die weise Entscheidung der Fraktion ab. Nun ist es kein Geheimnis, dass Robert Habeck und Cem Özdemir im Wettlauf um grüne Spitzenposten harte Rivalen waren. Dass die Chemie längst wieder stimmt, mag nicht jeder glauben. Auf die Frage nach Özdemir sagte Bundesgeschäftsführer Michael Kellner nur: "Ich führe jetzt keine Debatte über einzelne Personen." Entscheidend für den Erfolg einer Partei sei die "Frage von Geschlossenheit". Es hat schon lauteren Zuspruch gegeben. Wenn am 24. September abgestimmt wird, treten die weiblichen Bewerberinnen als erste an. Sollte Göring-Eckardt gegen Kappert-Gonther gewinnen, wolle Letztere nicht für den zweiten Platz an der Fraktionsspitze kandidieren, hieß es in der Fraktion. Eine weibliche Doppelspitze wird es demnach nicht geben. Als nächstes tritt dann mutmaßlich Özdemir gegen Hofreiter an - wenn nicht noch weitere Bewerber auftauchen.

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Quelle:
SZ vom 10.09.2019
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