Cem Özdemir:Heimspiel eines Schwaben

Die Politik blickt in den Südwesten, und sie blickt auf Cem Özdemir. Als Chef der Grünen ist das ewige Talent mit der "frechen Gosch" bisher blass geblieben, doch im Streit um das Großprojekt Stuttgart 21 gewinnt er an Profil.

Nico Fried

Manchmal hilft einem sogar eine große Dummheit weiter. Nach dem massiven Vorgehen der Polizei gegen Gegner des Bahnhofsprojektes "Stuttgart 21" hielt Cem Özdemir dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten vor: "Mappus wollte Blut sehen." Später nahm der Vorsitzende der Grünen diese Äußerung zurück - "vollständig", wie er sagte. Gleichwohl verschafften der verbale Angriff und die Entschuldigung Özdemir zwei Tage lang eine beachtliche mediale Präsenz. Bald darauf war der Grünen-Chef dann Gast in der ARD-Talkshow Hart aber fair. Da konnte er zeigen, dass er durchaus auch in der Lage ist, sachlich zu argumentieren.

Stuttgart 21 - Cem Özdemir besucht Demonstranten

Besuch bei den Protestierenden: Cem Özdemir in Stuttgart, seinem "gefühlten Wahlkreis".

(Foto: dpa)

Überhaupt ist die Debatte um Stuttgart 21 ein Glücksfall für den 44-jährigen Cem Özdemir. Nicht nur, weil er zusammen mit Claudia Roth der Partei vorsitzt, die politisch offenbar am stärksten von dem Streit um das Großprojekt profitiert, sondern auch für ihn persönlich: Im Berliner Alltag stehlen die Fraktionschefs Renate Künast und Jürgen Trittin den anderen Führungsgrünen die Schau. Für Özdemir, der nicht im Bundestag sitzt, ist die Hauptstadt wie ein dauerndes Auswärtsspiel. Das hat dazu geführt, dass er in den fast zwei Jahren seit seiner Wahl zum Grünen-Chef bundespolitisch wenig zur Geltung kam, als "zu blass" beschrieben wurde, als "ewiges Talent".

Jetzt aber ist es andersrum: Die Politik blickt in den Südwesten, Stuttgart 21 ist ein bundespolitisches Thema geworden. Und Cem Özdemir, der Schwabe, geboren in Bad Urach, findet sich plötzlich in einer Art Gastgeberrolle wieder. Zu verdanken hat er das unter anderem der Bundeskanzlerin, die aus dem Bau des unterirdischen Bahnhofs eine nationale Frage gemacht und noch dazu die Grünen faktisch zum derzeit härtesten Gegner ihrer CDU erklärt hat.

Özdemir lebt wegen des Parteivorsitzes mit seiner Familie in Berlin, aber seine politische Heimat ist Stuttgart, sein "gefühlter Wahlkreis", wie er es sagt. Landespolitisch ist bei den Grünen Wilfried Kretschmann die unumstrittene Nummer eins, der Fraktionschef im Landtag und Gegenspieler von Stefan Mappus.

Kretschmann, 62, strahlt selbst für manche Konservative das seriöse Bildungsbürgerliche aus, das sie zum Beispiel an ihrem früheren Ministerpräsidenten Erwin Teufel schätzten. Was Kretschmann fehlt, ist jedoch die überregionale Bekanntheit und die freche Gosch', wie der Schwabe sagt - deshalb ist Özdemir eine hilfreiche Ergänzung. "Wir stimmen uns sehr eng ab, telefonieren mehrmals in der Woche", sagt Özdemir. Keine andere Partei kann im Konflikt um Stuttgart 21 ein solches Tandem vorweisen.

"Die Grünen haben Recht"

So könnte man sagen: Der Vorsitzende der Grünen wird nun endlich einmal in einer Weise von seiner Partei gebraucht, dass auch die Öffentlichkeit etwas davon merkt. Das war bislang nur am Anfang seiner Zeit als Grünen-Chef so. Nach dem Abschied Reinhard Bütikofers rettete Cem Özdemir den realpolitischen Flügel der Partei nach einigem Hin und Her vor der Verlegenheit, keinen Kandidaten für die Nachfolge zu haben. Die baden- württembergischen Grünen aber verweigerten ihm einen sicheren Listenplatz für die Bundestagswahl. Als Direktkandidat in Stuttgart erzielte Özdemir zwar ein respektables Ergebnis von rund 30 Prozent, aber trotzdem nur den zweiten Platz hinter dem Kandidaten der CDU.

Die erfolgreichsten Grünen, die es je gab

Özdemir ist Co-Vorsitzender der erfolgreichsten Grünen, die es in den 30 Jahren ihres Bestehens je gab: Rekordergebnis bei der Bundestagswahl, Rekordergebnisse in den Umfragen. Nur wird dieser Aufschwung selten ausdrücklich mit ihm in Verbindung gebracht. Er selbst entgegnet stets, dass er sehr wohl manches bewirkt habe, vor allem in der Partei: Die Öffnung der Grünen für neue Koalitionen und neue Wählerschichten trage auch seine Handschrift. Und wenn einer Partei insgesamt ein geschlossenes Auftreten attestiert werde, dann habe dies sicherlich nicht zuletzt etwas mit der Arbeit des Bundesvorstands zu tun.

Für ein breiteres Publikum blieb der erste Deutsch-Türke an der Spitze einer Partei trotzdem vor allem auf das Thema Migration festgelegt - umso erstaunlicher war es, dass er jüngst in der von Thilo Sarrazin losgetretenen Debatte am auffallend unauffälligen Gesamteindruck der Grünen nichts ändern konnte.

Özdemir gilt prinzipiell als durchaus offen für schwarz-grüne Koalitionen. Zudem bewegt er sich problemlos in Wirtschaftskreisen, die längst die Berührungsängste überwunden haben. "Es gibt Themen, bei denen Leute in der Wirtschaft, die früher näher bei der CDU standen, inzwischen sagen: Die Grünen haben recht", behauptet Özdemir selbstbewusst. Gerade deshalb mutet es aber auch ein wenig paradox an, dass er nun gerade im Konflikt mit der CDU und als Gegner eines von der lokalen und regionalen Wirtschaft mehrheitlich befürworteten Projekts an Profil gewinnen kann. Özdemir, der einer Generation und einer politischen Richtung der Grünen angehört, die sich selbst zeitweilig weit weg von den Gründern verortete, ist nun wieder da, wo die Alten angefangen haben: auf der Straße. Jedenfalls bis zur nächsten Wahl.

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