Celle:Prozess gegen Safia S. - Die herangezüchtete Attentäterin

Lesezeit: 3 min

  • Die 16-jährige Safia S. steht wegen versuchten Mordes und Unterstützung der Terrormiliz Islamischer Staat in Celle vor Gericht.
  • Das Mädchen hat eine lange "Karriere" in der Salafistenszene hinter sich: Bereits mit sieben Jahren betete sie neben dem Hassprediger Pierre Vogel, wurde von ihm zum Kopftuchtragen gedrängt.
  • Ein Psychiater hält sie für voll schuldfähig.

Von Annette Ramelsberger, München

Safia S. ist eine Jugendliche, fast noch ein Kind. Sie war 15, als sie am 24. Februar dieses Jahres einem jungen Polizisten in den Hals stach, mit einem Gemüsemesser. Weil sie so jung ist, wird der Prozess wegen versuchten Mordes gegen sie weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden - um sie und ihre Identität zu schützen. Denn der Prozess gegen eine Jugendliche soll weniger der Strafe, denn der Erziehung des Mädchens dienen. Und auch die Haft, die sie danach erwartet, soll ihr nur helfen, in die Gesellschaft zurückzukehren.

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Doch was kann ein Prozess mit zwei Dutzend Verhandlungstagen ausrichten gegen das, was diesem Mädchen seit ihrer Kindheit eingetrichtert worden ist? Safia S. wird zwar nicht im Bild gezeigt, ihr Name abgekürzt, ihr Gesicht verpixelt und die Öffentlichkeit von ihrem Prozess ausgesperrt - doch sie ist seit ihrer Kindheit bekannt in der Islamistenszene. Sie ist der Kinderstar der Salafisten, ein Mädchen, das schon als Siebenjährige benutzt wurde, um für den radikalen Islam zu werben.

Hassprediger Pierre Vogel über Safias Kopftuch: "Cooles Outfit"

Auf Videos mit dem Hassprediger Pierre Vogel wird das Kind ausgestellt wie eine Ikone der Rechtgläubigkeit. Schon als Siebenjährige trägt sie ein Kopftuch, das ihr Gesicht umschließt, und zitiert Koranverse. Ein kleines Mädchen mit großen Augen und einem weichen, runden Gesicht. Als Neunjährige dann hat sie sich ein noch größeres, schwarzes Kopftuch übergeworfen, es reicht ihr bis zur Hüfte. "Cooles Outfit hast du heute an", lobt Prediger Vogel. Es sind verstörende Videos, die man noch jetzt bei Youtube abrufen kann. Da wird ein Kind wie ein Papagei abgerichtet, um Koransuren vorzubeten, und Vogel lobt sie väterlich: "Die ist ja besser als ich."

Safia S. ist in Hannover aufgewachsen, ihr Vater ist ein deutscher Messebauer, der zum Islam konvertiert ist, ihre Mutter eine strenggläubige Marokkanerin. Die beiden bekamen drei Kinder, neben Safia noch zwei Söhne. Die Ehe wurde geschieden, Safia lebte bei der Mutter. Und sie wuchs in eine Salafisten-Gemeinde hinein.

Ihre Mutter ging mit den Kindern in die Moschee des Deutschsprachigen Islamkreises in Hannover, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, weil dort viele Radikale verkehren. Die Mutter ließ die Tochter auch mit Pierre Vogel auftreten. Und man kann sehr genau erkennen, wie die Indoktrination läuft: Vogel suggeriert schon dem siebenjährigen Kind, dass es doch sicher ein Kopftuch tragen wolle in der Schule. Er redet auf das Mädchen ein, meistens machten ja die Lehrer Theater wegen des Kopftuchs. Sie schüttelt den Kopf, lächelt, sagt deutlich "Nein." Aber Vogel äfft eine Lehrerin nach: "Das arme Mädchen, das wird sicher gezwungen." Und er wendet sich an Safia und sagt: "Vielleicht kannst du das ja ändern. Dann bist du die Erste in deiner Klasse, die mit Kopftuch in die Schule geht." Vogel predigt den Seinen sodann, dass schon zweijährige Mädchen zu einer keuschen Frau erzogen und angehalten werden müssten, Kopftuch zu tragen. Die Kinder dürften sich erst gar nicht mit dem westlichen Kleidungsstil identifizieren. Safia, lobt er, sei die neue Muslim-Generation. Das Mädchen kichert ein bisschen beschämt, ein bisschen stolz. Das Gift wirkt.

Safia schwärmt für Justin Bieber, ist Klassensprecherin, macht Selfies

Safia S. ist nicht schlecht in der Schule, sie geht aufs Gymnasium, einige Jahre ist sie sogar Klassensprecherin. Sie schwärmt wie viele Mädchen ihres Alters für Justin Bieber, macht Selfies vor dem Spiegel im Kinderzimmer und vor dem Eiffelturm in Paris. Doch dann fühlt sie sich ausgegrenzt und wird immer schlechter. Zu Hause schaut die Mutter Videos des "Islamischen Staates", so berichtet die Tochter Freunden und wundert sich, warum die Mutter sie dann nicht auch nach Syrien begleiten will.

Schulkameraden beschreiben Safia als zurückhaltend, freundlich, doch im Herbst 2015 wenden sich Lehrer und Großmutter an die Behörden, das Mädchen sei so verändert. Nicht mal zu Hause bei der Großmutter nehme sie noch das Kopftuch ab, heißt es. Im November 2015 redet sie in Chats davon, dass der 13. November 2015, der Tag der Attentate von Paris, ihr "Lieblingstag" sei. Und die Terroristen, die dort mehr als 100 Menschen erschossen, seien "Löwen".

Das Mädchen taucht immer mehr ein in die Welt der Kopf-ab-Videos, in denen schwarz verschleierte Frauen Kalaschnikows tragen. Am Ende beschließt sie, nach Syrien zu gehen. Als ihr das nicht gelingt, will sie zumindest zu Hause etwas für den IS tun. Sie nimmt zwei Messer mit zum Bahnhof Hannover, sie pirscht sich an zwei Polizisten heran. Sie stellt sich drei Meter neben sie an die Balustrade neben den Rolltreppen. Dann starrt sie die beiden Polizisten an. Lange, fünf Minuten, sechs Minuten, sieben, acht. Bis den Polizisten das Mädchen komisch vorkommt. Sie verlangen ihren Ausweis. Da sticht sie zu.

Vor dem Haftrichter gibt sie wieder das nette Mädchen

Bei der Vernehmung sagt sie, sie habe sich provoziert gefühlt. Sie finde, sie habe sich genug gefallen lassen, überall diese Islamfeindlichkeit. Als sie dem Haftrichter vorgeführt wird, ist sie dann wieder das nette Mädchen. Der Psychiater hält sie für voll schuldfähig. Die Anklage spricht von einer verfestigten radikal-islamischen Haltung. Man könnte auch sagen: ein missbrauchtes Kind, eine Attentäterin, die über Jahre herangezüchtet wurde.

© SZ vom 20.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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