Süddeutsche Zeitung

"Werkstattgespräch" zur Flüchtlingspolitik:Vom Versuch, die Union zu befrieden

  • Zum Auftakt des "Werkstattgesprächs" zur Flüchtlingspolitik hatte Annegret Kramp-Karrenbauer vier Experten zu einem moderierten Diskussion geladen.
  • Durch dieses Setting wurde inhaltlich debattiert - und nicht personalisiert nach dem Motto: "Wer hatte recht, Angela Merkel oder Horst Seehofer?"
  • An diesem Montag sollen die Teilnehmer selbst ausführlich und ganz konkret bilanzieren, was in den vergangenen Jahren gut gelaufen ist - und was schlecht.

Von Robert Roßmann, Berlin

Am Ende war die neue CDU-Chefin zufrieden, obwohl alles mit einem Lapsus begonnen hatte. Zum Auftakt des "Werkstattgesprächs" zur Flüchtlingspolitik hatte Annegret Kramp-Karrenbauer am Sonntagabend angekündigt, man wolle vor allem darüber reden, wie es zu der Situation im September 2015 habe kommen können, was seitdem verändert worden sei - und ob das ausreiche, um "so etwas wie 2015" auch in der Zukunft zu verhindern, denn das sei das Ziel der CDU. So weit, so gut.

Doch dann sagte sie: "Ich freue mich insbesondere, dass wir dies nicht nur als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten heute Abend hier unter uns tun, sondern dass wir dies gemeinsam mit Freundinnen und Freunden der CSU tun." Im Publikum brach Gelächter aus, Kramp-Karrenbauer brauchte einen Moment, um zu realisieren, warum. Sie korrigierte sich zwar gleich. Doch dass Spott folgen würde, war schon in diesem Moment klar. "Liebe AKK - kleiner Tipp für Zukunft: Das heißt 'Liebe Genossinnen und Genossen!' - Solidarische Grüße", twitterte etwa SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil.

Dass der Abend für Kramp-Karrenbauer trotzdem ziemlich erbaulich ausging, lag an den folgenden zwei Stunden. Die CDU-Chefin hatte vier Experten zu einem moderierten Fachgespräch geladen, Thema: "Deutsche und europäische Asyl- und Migrationspolitik - eine Bestandsaufnahme". Es entspann sich ein, zumindest phasenweise, interessantes und lehrreiches Streitgespräch.

Die Professoren Christian Hillgruber, Daniel Thym und Egbert Jahn sowie der Vorsitzende der Europäischen Stabilitätsinitiative, Gerald Knaus, bildeten dabei ziemlich gut all die Positionen ab, die es in der Union in den vergangenen Jahren gab. Durch dieses Setting wurde inhaltlich debattiert - und nicht personalisiert nach dem Motto: "Wer hatte recht, Angela Merkel oder Horst Seehofer?"

Anschließend durften die anderen Teilnehmer des "Werkstattgesprächs" - gut 100 ausgewählte Minister, Kommunalpolitiker, Fachpolitiker, Praktiker und externe Experten - Fragen stellen. Auch dabei kam es zu keinen Zuspitzungen, das Gespräch blieb ein sachlicher Austausch. Als es um 21 Uhr zu Ende ging, bilanzierte Kramp-Karrenbauer deshalb, das CDU-"Werkstattgespräch" sei doch spannender gewesen als die Formate, die es im Fernsehen gebe.

Merkel nimmt an dem "Werkstattgespräch" nicht teil

In dieser Einschätzung der CDU-Chefin dürfte allerdings auch Erleichterung mitgeschwungen haben. Denn mit dem "Werkstattgespräch" ist Kramp-Karrenbauer ein Risiko eingegangen. Sie hat zu dem Gespräch geladen, um die Partei zu befrieden. Die Aufarbeitung der Flüchtlingspolitik werde der Union guttun, hatte Kramp-Karrenbauer erklärt. Wohin es führe, wenn man grundsätzliche Konflikte nicht miteinander ausspreche, könne man ja an der SPD sehen, die seit mehr als einem Jahrzehnt über Hartz IV streite. Aber was macht Kramp-Karrenbauer, wenn die Partei jetzt anfängt, tribunalhaft über Angela Merkels Flüchtlingspolitik zu richten?

Manche in der CDU erwarteten, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema zu einer "Art Tribunal" werde, andere wollten dies genau nicht, sagte Kramp-Karrenbauer am Sonntagabend. Für sie gehe es dagegen vor allem darum, die richtigen Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen. Die Migration bestimme derzeit die Schlagzeilen zwar nicht mehr so wie vor zwei oder drei Jahren. Aber das Thema sei nach wie vor da, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa.

Kramp-Karrenbauer warnte davor, mit nationalen Maßnahmen die europäische Einheit zu gefährden. Es sei immer Aufgabe der CDU gewesen, national Sicherheit zu garantieren und funktionierende Lösungen zu finden. Dadurch dürfe aber der zweite "Schutzmantel, den wir brauchen, nämlich ein starkes und funktionierendes Europa", nicht aufgegeben oder gefährdet werden. Dieser Spagat müsse auch in Zukunft gewährleistet werden.

An diesem Montag beginnt für Kramp-Karrenbauer allerdings erst die eigentliche Herausforderung. Denn am zweiten und letzten Tag des "Werkstattgesprächs" findet nicht nur eine Podiumsdiskussion mit einigen Publikumsfragen statt. Dann sollen die Teilnehmer selbst ausführlich und ganz konkret bilanzieren, was in den vergangenen Jahren gut gelaufen ist - und was schlecht.

Dabei soll es in vier Gruppen um die Themen "Europäischer Außengrenzenschutz und europäisches Asylsystem", "Ordnung und Steuerung der Migration in und nach Deutschland", "Innere Sicherheit und Abschiebepraxis" sowie um "Integration vor Ort" gehen. Wenn die Gruppen am Nachmittag ihre Ergebnisse vorlegen, wird man sehen, wie weit die Partei sich von der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin entfernt hat. Angela Merkel nimmt an dem "Werkstattgespräch" übrigens nicht teil.

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