CDU-Wahlkampf in NRW:Merkel, Rüttgers und die Spielzeugpistolen

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Szenen eines Wahlkampfs: Mehrere Demonstranten werden festgenommen - und die Union schickt Liebesgrüße an die Grünen.

Michael König, Wuppertal

Es ist eine Materialschlacht. Sie wickeln sich Mullbinden um den Kopf, um gegen die Einführung der Kopfpauschale zu demonstrieren. Sie knoten rote und grüne Luftballons aneinander und lassen sie auf einen Schlag in den Wuppertaler Abendhimmel steigen. Sie halten Plakate hoch, sie singen, sie schreien, sie lassen Sirenen heulen. Sie heizen die Stimmung an - dabei sind sie nur Zaungäste.

Bundeskanzlerin Angela Merkel reist zur Unterstützung aus Berlin an und macht damit Wuppertal für einen Abend zum Zentrum des nordrhein-westfälischen Wahlkampfes. (Foto: Foto: dpa)

Eigentlich hat die CDU zur Kundgebung in die Innenstadt eingeladen. 3000 Menschen sind gekommen. Viele haben sich von der Gästeliste anlocken lassen, die Wuppertal für einen Abend ins Zentrum des nordrhein-westfälischen Wahlkampfes rückt: Bundeskanzlerin Angela Merkel ist aus Berlin angereist. Auf der Bühne wird sie von Hamburgs Erstem Bürgermeister Ole von Beust und dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch flankiert.

Gemeinsam wollen sie heute den 100-Stunden-Endspurt einläuten, mit dem auch der letzte potentielle CDU-Wähler motiviert werden soll, am kommenden Sonntag sein Kreuz an der richtigen Stelle zu machen. Der Krawall der ungebetenen Gäste am Rande des Johannes-Rau-Platzes in Wuppertal kommt ihnen entgegen.

Es sind etwa 80, vielleicht auch 100 vornehmlich junge Menschen, die dort stehen und protestieren. Viele sind nach der Bildungs-Demo in Düsseldorf am Mittag hierher gekommen, um die vermeintlich für die Bildungsmisere Verantwortlichen niederzubrüllen. Anhänger der Jusos und der Piratenpartei geben sich zu erkennen. Eine einzelne Fahne der Grünen Jugend weht im Wind. Die Linke ist mit zahlreichen Plakaten und Bannern vertreten.

Auch in einigen Häusern rund um den Platz hängen Plakate. "Eure Bildung kotzt uns an", ist auf einem grünen Spruchband zu lesen. Einige Anwohner treiben es offenbar zu bunt: Gegen 22 Uhr werden mehrere Personen beim Verlassen ihrer Wohnung verhaftet. Sie leisten keinen Widerstand. Die Polizei soll von Zeugen auf einen "verdächtige Gegenstand" am Fenster hingewiesen worden sein. Die Beamten finden Spielzeugpistolen in der Wohnung. Die Kanzlerin hat die Veranstaltung zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen.

Der lautstarke Protest während der Kundgebung fügt sich gut in das Bild, das die NRW-CDU seit Wochen vom politischen Gegner zeichnet: Die rot-rote Gefahr, die Nordrhein-Westfalen spaltet und herunterwirtschaftet. Bislang war diese Gefahr eher abstrakter Natur, weil weder SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft noch ihr Pendant bei den Grünen, Sylvia Löhrmann, sich zu einer Zusammenarbeit mit der Linken bekannt haben. Jetzt aber kämpfen in Wuppertal jugendliche Anhänger der drei Parteien Seit' an Seit' - und Andreas Krautscheid fühlt sich bestätigt.

Der Generalsekretär der CDU tritt ans Mikrofon und betont, heute zeige sich, wie wichtig die Wahl sei. Er zeigt mit dem Finger auf die Demonstranten und ruft: "Es geht darum, ob die SPD mit Hilfe solcher Fußtruppen an die Macht kommt. Das muss verhindert werden!"

Hessens Ministerpräsident Roland Koch wird besonders heftig ausgepfiffen. Er wendet sich an die "verehrten Kehlkopf-Indianer" und sagt, er sei gewissermaßen als "Sachverständiger in Sachen Ypsilanti" in NRW zu Gast. Die SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti hatte vergeblich versucht, sich in Hessen mit Stimmen der Linken zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen. "Wenn Kraft die Mehrheit bekommt, wird sie sie nutzen", sagt Koch.

Der Mann, über dessen Schicksal am 9. Mai entschieden wird, gibt sich besonders kämpferisch. Jürgen Rüttgers schlägt mit der Faust auf das Rednerpult, während er die Linken als "Chaoten" und "Radikale" bezeichnet. "Seit Adenauers Zeiten ist klar, dass Radikale bei uns nichts zu suchen haben", sagt Rüttgers und fügt hinzu: "Diese Leute haben schon einmal einen deutschen Staat ruiniert."

Als die Demonstranten während Rüttgers' Rede einen ganzen Schwung rot-grüner Luftballons in den Abendhimmel aufsteigen lassen, überschlägt sich die Stimme des Ministerpräsidenten: "In dieser Wahl entscheiden Sie darüber, ob es in Nordrhein-Westfalen weiter aufwärts geht - oder ob in Zukunft heiße Luft die Bälle nach oben treibt!"

Rüttgers' bisheriger Koalitionspartner im Land, die FDP, wird von keinem der Redner auch nur ein einziges Mal erwähnt. Die CDU tut so, als habe es das bürgerlich-liberale Lager nie gegeben. In aktuellen Wahlumfragen scheint Schwarz-Gelb keine Chance zu haben, weitere fünf Jahre zu regieren. Eine Mehrheit hätte demnach lediglich eine große Koalition, ein rot-rot-grünes Bündnis - oder Schwarz-Grün.

Mit etwas Wohlwollen ist zu erkennen, dass die CDU mit letzterer Option liebäugelt. So ist Rüttgers' Einladung an Ole von Beust, in Wuppertal zu sprechen, vielleicht nur ein Zeichen gegenseitiger Sympathie. Andererseits hat von Beust in Hamburg vorgemacht, dass die CDU ein schwarz-grünes Bündnis auf Länderebene eingehen kann. Angela Merkel wird zu den Befürwortern eines solchen Experiments gezählt - spätestens, seit ihr Umweltminister Norbert Röttgen sich öffentlich für eine Abkehr von der Atomenergie ausgesprochen hat.

Auch zwei weitere Details geben Grund zu der Annahme, dass sich die CDU auf Schwarz-Grün vorbereitet: Da wäre zum einen Jürgen Rüttgers' Wahlkampf-Terminkalender, der am Samstagnachmittag mit einer Fahrradtour endet - ausgerechnet durch den Rhein-Sieg-Kreis, der seit elf Jahren von einer CDU/Grünen-Koalition regiert wird.

Und dann ist da noch Angela Merkels Garderobe an diesem Mittwochabend in Wuppertal: Die Kanzlerin trägt eine schwarze Hose. Der dazugehörige Blazer strahlt in einem satten Grün.

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