Süddeutsche Zeitung

CDU-Vorstandsklausur:Keine Obergrenze für Merkels Gelassenheit

  • Angela Merkel bleibt nach der CDU-Vorstandsklausur dabei: Es soll keine Flüchtlings-Obergrenze geben.
  • Dafür will die Kanzlerin Sicherheitsarchitektur in Deutschland vereinheitlichen.
  • Unionsfraktionschef Kauder ist offen für einen Untersuchungsausschuss zum Fall Amri.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Es fehlt nur noch das Achselzucken, als Angela Merkel sagt: "Was die Frage der Obergrenze anbelangt, haben wir gesagt, dass wir einen Dissens haben, dass ich aber der Meinung bin, dass man mit einem solchen Dissens leben kann." CSU-Chef Horst Seehofer wird es gehört haben.

Es ist Mittag an diesem Samstag in Perl, einem 7300-Einwohner-Örtchen im Dreiländereck Deutschland-Frankreich-Luxemburg. Die CDU hat hier gerade die Jahresauftakt-Klausur ihres Bundesvorstands abgeschlossen. Im Saarland wird demnächst gewählt, die Aufmerksamkeit soll helfen.

Herausgekommen ist bei der Klausur eine achtseitige "Saarländische Erklärung". Offenkundig hat sie so wenig zu bieten, dass die Kanzlerin und CDU-Bundesvorsitzende sich nicht mal die Mühe macht, sie inhaltlich genauer vorzustellen. Jedenfalls enthält die Erklärung nicht das Wort "Obergrenze". Es ist im vor sich hin gärenden Streit zwischen CDU und CSU derart aufgeladen, dass CSU-Chef Seehofer ohne eine solche Obergrenze für Flüchtlinge womöglich auf einen gemeinsamen Bundestagswahlkampf mit der CDU pfeifen könnte. Was auch bedeuten würde, dass beiden Parteien erstmals ohne gemeinsamen Kandidaten für das Bundeskanzleramt ins Rennen gehen würden.

Anfang Februar soll es deshalb zu einer Versöhnungsklausur der Spitzen von CDU und CSU kommen. Aber wenn Seehofer richtig interpretiert wird, dann wird auch daraus nichts werden, solange er nicht seine Obergrenze bekommt. Merkel bleibt dennoch die Ruhe selbst. Die CDU habe sich den Termin "vorgemerkt", und gehe "einfach davon aus, dass er stattfinden wird", sagt sie. Oder anders: Lieber Horst, pass auf, dass Du Dich nicht lächerlich machst. Unionsfraktionschef Volker Kauder sagt es so: Er rate dazu, "die Diskussion über eine Obergrenze nicht fortzusetzen. Das bringt uns nicht weiter. Die Bürger bewegen in diesen Tagen schon wieder andere Fragen und Sorgen".

Manche hoffen, Seehofer möge endlich zur Vernunft kommen

Selbst in Seehofers eigenen Reihen hoffen manche inständig, der Chef möge bald zur Vernunft kommen. Eine feste Grenze sei verfassungsrechtlich ohnehin schwierig. Politiker wie die mächtige CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt haben versucht, Seehofer eine "atmende" Obergrenze schmackhaft zu machen, die eher einem Richtwert gleichkäme. Doch da ist nix zu machen.

Merkel will das Thema lieber hinter sich lassen. Darum nennt sie das avisierte Versöhnungstreffen ein "Zukunftstreffen". Auf dem soll dann die Obergrenze im besten Fall ausgeklammert werden.

Die CDU konzentriert sich lieber auf das hier und jetzt. Das bedeutet: Nach dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt will sie die Sicherheitsarchitektur überprüfen. Innenminister Thomas de Maizière hat dazu zusammen mit SPD-Justizminister Heiko Maas einige Vorschläge gemacht. Diese werden in einer eigenen Erklärung des CDU-Bundesvorstands zur Sicherheitspolitik begrüßt. Dazu gehören mehr Videoüberwachung, leichtere Abschiebung und elektronische Fußfesseln für sogenannte Gefährder. Zu denen hatte auch Anis Amir gehört, der Attentäter von Berlin.

Außerdem will die CDU mehr Einheitlichkeit in Sachen Sicherheit. "Wenn wir in einer gemeinsamen Bundesrepublik Deutschland leben, dann müssen wir auch gleiche Sicherheitsstandards in den Ländern haben", sagte Merkel. Dahinter steckt vor allem die Idee, die umstrittene Schleierfahndung auszudehnen, also verdachtsunabhängige Personenkontrollen in den Grenzregionen.

In Nordrhein-Westfalen wird die Schleierfahndung derzeit nicht eingesetzt. Es gebe in Deutschland "Zonen unterschiedlicher Sicherheit", heißt es in der Erklärung. "Überall in Deutschland haben die Menschen das Recht, so sicher zu leben wie in einem unionsregierten Land." Wahlkampfrhetorik. Auch in NRW gehen die Bürger im Frühjahr wählen.

Untersuchungsausschuss zum Fall Amri wird wahrscheinlicher

Ob Schleierfahndung im Fall Amir geholfen hätte, darf bezweifelt werden. Aber es gibt auch so einiges an Ungereimtheiten. Zum Beispiel, wie ein unter Dauerbeobachtung stehender Gefährder unbehelligt einen Anschlag verüben kann. De Maizière und Maas haben jetzt gemeinsam der Kanzlerin einen Brief geschrieben, in dem sie die Abläufe angeblich detailliert darlegen. In der kommenden Woche soll darüber der Bundestag informiert werden.

Dort steht jetzt ein eigener Untersuchungsausschuss zum Terroranschlag von Berlin zur Debatte. Der wurde bisher lediglich von der Linken gefordert. Unionsfraktionschef Volker Kauder scheint aber nicht abgeneigt. "Wenn man der Meinung ist, da muss noch mehr gemacht werden, bin ich für einen Untersuchungsausschuss offen", sagte er Rande der Klausur. Allerdings wird die Zeit knapp. Bis so ein Untersuchungsausschuss eingesetzt und arbeitsfähig ist, vergehen Wochen. Eine Handvoll Sitzungen, mehr wird kaum noch drin sein. Dann ist Bundestagswahl.

Aber vielleicht ist bis dahin ja auch geklärt, wie CDU und CSU mit der Obergrenze umgehen. Wenn nicht, dann könnte es womöglich erstmals Sondierungsgespräche zwischen den beiden Parteien geben. Undenkbar sowas? Kann sein. Aber das Jahr 2016 hat gelehrt, dass selbst das Undenkbare nicht unmöglich ist.

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