Am Anfang, in den allerersten Sekunden, muss sich Annegret Kramp-Karrenbauer noch an alles gewöhnen. An den regen Betrieb und die Unruhe, die so was immer begleiten. Rappelvoll ist es in der saarländischen Landesvertretung. Wie zuletzt beim Konkurrenten Friedrich Merz drängeln sich auch bei ihr viele Fotografen, Kameraleute und Journalisten um die besten Plätze. Alle wollen den Start ihrer Kampagne miterleben. Als die Fotografen einfach nicht aufhören mit dem Knipsen, greift die CDU-Generalsekretärin ein: "Nur die Ruhe. Nur die Ruhe."
Zwei kurze Sätze sind das, die vielleicht auch ihr selbst gelten. Kramp-Karrenbauer weiß genau, dass für sie mit diesem Tag eine neue Zeit anbricht. Gleich wird sie von einem "besonderen Tag" und einem "besonderen Ort" sprechen. Dabei zeigt sich, dass auch die coole Saarländerin einen solchen Aufbruch nicht mit links macht.
Es geht um die Zeit nach Angela Merkel; es geht um die Macht in der Volkspartei CDU. Und es geht um die Frage, ob es nach 18 Jahren mit einer Frau an der Spitze gleich noch mal eine Frau ganz nach oben schafft. Manche haben das im Vorfeld der jetzigen Umwälzungen als Problem ausgemacht. Also unternimmt Kramp-Karrenbauer binnen Minuten alles, um derartige Zweifel aus dem Raum zu bugsieren. Zu schwach, zu Merkel-nah, zu wenig Neues - mit derlei Attributen will sie ganz offensichtlich aufräumen.
AKKs Spagat
Schnell und früh spricht Kramp-Karrenbauer von dem Ende einer Ära und vom Aufschlagen eines neuen Kapitels. Sie lässt dabei erkennen, dass ihr, der sogenannten Merkel-Vertrauten, nicht bange ist vor dem Spagat, der sich für sie damit verbindet. Wie viel Altes nimmt man mit und wie viel Neues ist bitter nötig? Das sind die Fragen, vor denen die CDU bis zum Parteitag im Dezember steht.
Die gebürtige Völklingerin dürfte sich damit in den vergangenen Tagen beschäftigt haben. An diesem Mittwochmittag aber will sie sich nicht lähmen lassen. Mindestens so selbstbewusst wie in der Vorwoche Friedrich Merz spricht sie von den eigenen Stärken, warnt vor einem vergifteten Wettstreit und hat gleichwohl manchen Seitenhieb im Gepäck, der deutlich macht, mit welchem Selbstverständnis sie diesen Wettbewerb angeht.
"Ich will, ich kann, ich werde" - sie muss diesen Satz vom letzten Parteitag gar nicht mehr wiederholen, um deutlich zu machen, dass sie sehr entschlossen um den Sieg kämpft. Mag der Ort, die saarländische Landesvertretung, Teil ihrer alten Heimat sein - heute will sie zu neuen Ufern aufbrechen.
Entsprechend deutlich spricht sie über Merkel und die vergangene Zeit. Zunächst erinnert sie an "sehr viele persönliche Erlebnisse mit Angela Merkel", beschreibt die Bedeutung ihrer Ära, redet davon, dass die Zeit der bisherigen CDU-Vorsitzenden die Partei und das Land sehr verändert habe. Dabei sei klar, "dass wir Angela Merkel für sehr vieles zu danken haben".
Kramp-Karrenbauer lässt also keinen Zweifel daran, wie eng sie Merkel begleitet hat - und wie sehr die Kanzlerin sie geprägt hat. Und sagt dann: "Eine solche Ära kann man nicht beliebig verlängern, aber man kann sie auch nicht einfach rückgängig machen." Das klingt wie ein Lob und ist doch eine erste Warnung: Lieber Herr Merz, lieber Herr Spahn, glaubt ja nicht, ihr könntet Derartiges durchsetzen.
Nur wenige Sekunden später spricht Kramp-Karrenbauer das zurückliegende Jahr an - und verwendet Vokabeln, die selbst der ihr zugewandten Merkel wehtun dürften. Von der "bleiernen Zeit" spricht Kramp-Karrenbauer und meint damit nicht die siebziger Jahre, sondern die vergangenen Monate. Und sie verwendet das Motiv nicht nur einmal, sondern zweimal, um dann hinzuzufügen, dass es jetzt höchste Zeit für die CDU sei, "ein neues Kapitel" zu starten.
Viel zu häufig nämlich habe es zuletzt Entscheidungen gegeben, die auf Regierungsebene getroffen und von der Partei nur noch abgenickt worden seien. "Diesen Prozess müssen wir umdrehen", sagt Kramp-Karrenbauer. "Positionsbestimmungen erst in der Partei, dann in der Regierung" - das sei die dringend nötige neue Reihenfolge. Alles andere passe nicht mehr in die neue Zeit, deshalb "werden wir das in aller Konsequenz umsetzen".
Das Beispiel mag banal klingen. Tatsächlich aber ist es für Kramp-Karrenbauer die Schlüsselbotschaft zur Wiederbelebung der Christdemokraten. Schon möglich, dass den beiden Herren das noch zum Nachteil werden könnte.
Wie ihre Mitbewerber lobt sie den Wettstreit als demokratische Chance - und zeigt anschließend, welche Trümpfe sie in diesem Rennen ausspielen wird. Ausführlich erzählt sie, wie sie Anfang des Jahres "sehr lange und sehr intensiv" nachgedacht habe, bis sie das Amt der Ministerpräsidentin abgegeben habe, um Generalsekretärin zu werden. "Um sich in den Dienst der CDU zu stellen", wie sie es ausdrückt. Man kann das als bloße Beschreibung des eigenen Lebenswegs empfinden. Politisch ist es mehr: Es klingt wie eine kleine Ohrfeige an die beiden Hauptkonkurrenten. Verzicht? Dienst an der Partei? Sowohl Friedrich Merz als auch Jens Spahn werden damit in den kommenden Wochen kaum aufwarten können.
Und nicht nur das: Kramp-Karrenbauer verweist außerdem darauf, wie viele Erfahrungen sie mitbringt, als Oppositionspolitikerin und spätere Innenministerin im Saarland, und als Ministerpräsidentin, die ihr Amt auch gegen alle Prognosen und Trends verteidigt hat. "Ich weiß, wie man Macht erobert und wie man sie verteidigt", sagt Kramp-Karrenbauer. Sie weiß auch, dass das ein großer Vorteil ist im Duell mit den anderen.
Im Übrigen habe sie in den vergangenen Monaten mehr als 40 Besuche in den Kreis- und Landesverbänden hinter sich gebracht. "Zuhör-Tour" hießen diese Veranstaltungen. Dabei hat AKK, wie alle sie längst nennen, sehr vieles mitbekommen von den Sorgen, den Enttäuschungen, den Hoffnungen der Christdemokraten. Wieder muss sie es gar nicht aussprechen, es wird auch so klar: Keiner hat die Partei zuletzt so intensiv kennengelernt wie die Frau, die Angela Merkel nachfolgen möchte.
Und weil wirklich niemand an ihrem Selbstbewusstsein zweifeln soll, verkündet Kramp-Karrenbauer für manchen überraschend, dass ihre Karriere als Generalsekretärin auf dem Parteitag in Hamburg auf alle Fälle enden werde. "So oder so", sagt die Noch-Generalsekretärin dazu und signalisiert auf diese Weise unmissverständlich, dass sie einem anderen Sieger nicht zur Verfügung stehen würde.
Außerdem fügt sie noch an, was sie sich im Falle eines eigenen Sieges vom Konkurrenten Merz erhoffen würde: dass er sich als Steuerexperte neu einbringen werde. "Wenn wir es dann schaffen, den Bierdeckel beiseitezulegen" und es stattdessen gelinge, eine Steuerreform für das Zeitalter der Digitalisierung zu entwerfen, dann "wäre das ein großes Angebot an die CDU".
Zunächst betont die Saarländerin, dass die CDU großartig und stark sei, also keineswegs erst wieder großartig und stark gemacht werden müsste. Dann listet sie vier Themen auf, die sie im Falle eines Erfolges angehen möchte. Das Wichtigste davon ist für sie, wie auch im digitalen Zeitalter die soziale Marktwirtschaft ihre ausgleichende und wohlstandssichernde Wirkung behalte.
Noch einmal spricht sie von der "bleiernen Zeit" und der Aufgabe der CDU, kritisch zu hinterfragen, was heute Freiheit, was Kreativität, was Dynamik behindere. Hinzu kommt für sie, dass die Menschen sich wieder in einem umfassenden Sinne sicher fühlen können müssen. Dabei würden schöne Statistiken nichts helfen, das habe sie als Innenministerin im Saarland gelernt. Deshalb sei die zentrale Frage: "Wie schaffen wir Sicherheit? Wie schaffen wir wieder Vertrauen in diesen Staat?"
Eng damit verbunden, will Kramp-Karrenbauer der Frage nachgehen, wie es gelingen kann, dass sich wieder viele Menschen in Deutschland zu Hause fühlen. Das Land sei vielfältiger geworden, umso wichtiger sei es, wieder integrierend zu wirken. An der Stelle erinnert sie noch einmal an ihre Besuche an der Basis. Da nämlich habe sie gemerkt, dass die Christdemokraten niemanden wollten, der die Welt in schwarz und weiß trenne. Im Gegenteil sei es die Aufgabe eines neuen Vorsitzenden, zusammenzuführen.
Aus diesem Grund seien auch alle Versuche falsch, beim Thema Migration immer noch und immer wieder die Frage zu stellen, ob die Aufnahme vieler Flüchtlinge von 2015 an richtig gewesen sei. Was passiert sei, sei "ein Fakt und kann nicht mehr rückabgewickelt werden". Jetzt gehe es darum, erkennbar alles zu unternehmen, um eine Wiederholung auszuschließen. "Vertrauen in innere Sicherheit gewinnt man nicht mit schrillen Tönen; Vertrauen gewinnt man nur mit konkreten Taten."
20 Minuten Rede, 20 Minuten Nachfragen - und eines ist klar: Diese Frau wird im Wettstreit um Angela Merkels Nachfolge nicht klein beigeben.