Doch mit dieser Strategie wird die CDU-Spitze vermutlich nicht mehr durchkommen - schon wegen des Widerstands in den eigenen Reihen. Denn in der CDU ist in diesem Jahr die Kakofonie ausgebrochen.
Im Januar unterschrieben führende Unionsfrauen die Berliner Erklärung für eine starre Quote. Im März meldeten sich 23 Abgeordnete zu Wort, die das Betreuungsgeld verhindern wollten. Im August verfassten 13 Abgeordnete einen Appell für die Gleichstellung der Homo-Ehe. Dann veröffentlichten junge Abgeordnete der Unionsfraktion eine Abrechnung mit den Rentenplänen der Arbeitsministerin. Anfang November präsentierte der konservative Berliner Kreis seine Kritik am Kurs der Parteispitze. Und vor zwei Wochen legten dann auch noch Großstadt-Abgeordnete einen umfangreichen Aufruf zur totalen Modernisierung der CDU vor. 2012 ist bei den Christdemokraten das Jahr des Schreibens. Bald gibt es keinen Bundestagsabgeordneten mehr, der sich nicht mit einer kleinen Revolte hervorgetan hat.
Für die CDU ist das zunächst einmal ein Problem. Fraktionschef Kauder kommt mit der Brandbekämpfung kaum noch hinterher. Erst diese Woche musste er eine Initiative für Putzhilfen-Gutscheine einfangen. Merkel hat nicht nur im Wahlkampf 2009 gegen die SPD auf Demobilisierung gesetzt, sie dimmt auch alle Konflikte in der eigenen Partei herunter. Jetzt beginnen diese Konflikte aber an immer mehr Stellen durchzubrechen.
Es klingt paradox: Aber für die CDU könnte die neue ungewollte Vielstimmigkeit im Wahlkampfjahr sogar ein Vorteil sein. Merkel hat die CDU zu einer aalglatten, kaum noch greifbaren Partei werden lassen. Der einzige Programm-Inhalt scheint die Vorsitzende selbst zu sein.
Eine Volkspartei braucht aber viele Facetten, um ihr ganzes Reservoir ausschöpfen zu können. Selbst innerhalb der Großstädte sind die Milieus ja nicht homogen. Das zeigt schon ein Blick nach Frankfurt. Den Wahlkreis I hat dort der Wortführer der schwarz-grün angehauchten Großstadt-Gruppe für die CDU gewonnen. Den Wahlkreis II holte sich die erzkonservative Erika Steinbach. Die CSU feiert mit einer solch breiten Aufstellung seit Jahrzehnten Erfolge. Die CDU müsste jetzt nur noch den Mut haben, die neue Vielstimmigkeit auch zuzulassen.
Bisher gelingt der CDU dieser Spagat nur in zwei Bereichen. In der Wirtschaftspolitik hat die Partei Ursula von der Leyen für die sozialdemokratische Flanke. Die andere Seite bedienen harte Marktwirtschaftler wie Michael Fuchs und Josef Schlarmann. Und in der Familien- und Gesellschaftspolitik decken Kristina Schröder und von der Leyen alle Facetten ab. Kein Wunder, dass die SPD bisher in beiden Politikfeldern kaum punkten kann.
Die aalglatten Wahlkämpfer in der Parteispitze sollten sich außerdem an das Jahr 1969 erinnern. Damals setzte die CDU zum letzten Mal auf den Slogan: "Auf den Kanzler kommt es an". Am Ende zog zum ersten Mal ein Sozialdemokrat ins Kanzleramt ein.