CDU und FDP nach der Gauck-Kür:Rösler tänzelt zwischen Prahlerei und Provokation

Das Duo Kanzlerin und Vizekanzler galt bislang als stabiler und verlässlicher Kern der Regierung. Mit der Harmonie ist es nun aber vorbei, denn Philipp Rösler testet nicht nur mit der Entscheidung für Gauck vehement Grenzen aus. Und Merkel? Sie schweigt.

Nico Fried

Der Unterschied am Aschermittwoch war nicht zu übersehen: Philipp Rösler, der FDP-Vorsitzende, witzelte sich wie aufgekratzt durch die Veranstaltung der Liberalen in Dingolfing. Der Triumph bei der Benennung von Joachim Gauck zum Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten animierte Rösler zu einigen Anspielungen, nicht zuletzt auf seinen Widerstand gegen die Kanzlerin. Seine Frau habe ihm Ratschläge für die Kandidatensuche gegeben, erzählte der FDP-Chef. "Auf meine Frau höre ich übrigens", fügte Rösler hinzu.

Motivwagen mit Merkel und Rösler für Kölner Rosenmontagszug

Herrin und Hund: FDP-Chef Rösler möchte nicht an der Leine von Kanzlerin Merkel laufen, wie seine Karikatur auf einem Wagen des Kölner Rosenmontagszugs.

(Foto: dpa)

Die Kanzlerin hingegen schwieg zu ihrer Niederlage. Angela Merkel beschäftigte sich ein paar Stunden später in ihrer traditionellen Aschermittwochsrede in Demmin vor allem mit dem Euro. Zu Gauck oder Rösler kein Wort. In einem Interview hat Merkel im April 2007 gesagt, an Heinrich Bölls Satire Dr. Murkes gesammeltes Schweigen fasziniere sie, "dass Schweigen eine Form der Kommunikation ist und dass man, wenn man phantasievoll mit Schweigen umgeht, viel hineininterpretieren kann".

Kohl hatte drei, Schröder einen Vizekanzler, Merkel bereits den vierten.

Na, dann mal los: Allzu viel Phantasie braucht es ohnehin nicht, um das Schweigen Merkels als Indiz dafür zu interpretieren, dass ihr persönliches Verhältnis zu Philipp Rösler am Wochenende der Kandidatenkür gelitten hat. Und in den Tagen danach erst recht. Das ist nicht unbedeutend für eine ohnehin angeschlagene Koalition. Denn beim Verhältnis von Kanzlerin zu Vizekanzler, zumal wenn beide auch die Vorsitzenden ihrer Parteien sind, handelt es sich um das wichtigste Scharnier einer Regierung.

Angela Merkel hatte in sechs Jahren schon mehr Vizekanzler als Gerhard Schröder in sieben Jahren (einen) und Helmut Kohl in 16 Jahren (drei). Für die Kanzlerin ist Rösler nach Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier aus der großen Koalition mit der SPD und Guido Westerwelle (FDP) der vierte Stellvertreter und Partner Nummer eins. Trotz der hohen Fluktuation und mannigfaltiger Meinungsunterschiede galten alle Duos bislang als verlässlicher Kern der jeweiligen Regierung, selbst dann noch, als Steinmeier 2009 Herausforderer Merkels bei der Bundestagswahl geworden war. Als Sinnbild für die Stabilität galt bei Schwarz-Rot wie Schwarz-Gelb das wöchentliche Treffen vor der Kabinettssitzung, aus dem bis heute selten etwas nach draußen dringt, und der gemeinsame Gang in den Kabinettssaal.

Merkel schätzte, ja mochte diesen jungen Mann von Anfang an, den ihr der damalige FDP-Chef Guido Westerwelle 2009 überraschend als Gesundheitsminister mitgebracht hatte. Rösler hatte alsbald Respekt, ja fast Bewunderung für die Kanzlerin - was keine geeignete Haltung mehr sein konnte, nachdem er im Mai 2011 selbst zum Parteichef geworden war. Röslers Überlegungen zu einer geordneten Insolvenz Griechenlands im September sorgten für eine erste öffentlich wahrnehmbare Differenz mit Merkel, wobei die Kanzlerin ihn umgehend von Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier und Generalsekretär Hermann Gröhe in die Schranken verweisen ließ. Für Rösler war das eine Lektion, wie blitzartig man auch von Merkel in die Ecke gedrängt werden kann.

Umso leichter fiel es Merkel, zwei Wochen später die Rösler-Biografie des Journalisten Michael Bröcker vorzustellen. Gut gelaunt sprach sie vom gegenseitigen Vertrauen, das sie und Rösler gefunden hätten. Auch der Vizekanzler selbst scherzte später einmal, dass er nur einen einzigen Grund habe, sich über Merkel zu beschweren: Die Kanzlerin hatte zum Leidwesen des Familienvaters auf einer Kabinettssitzung drei Tage vor Weihnachten bestanden.

In Wahrheit knirschte es zwischendurch immer mal wieder, auch weil Rösler seine Grenzen gerne mal austestet. Ende Oktober 2011 zum Beispiel kam es zu einem Streit in der Koalition, weil Rösler als Wirtschaftsminister mit Finanzminister Wolfgang Schäuble gegen den Willen von CSU-Chef Horst Seehofer per Pressekonferenz eine Steuersenkung verkündete. Aus der folgenden Koalitionsrunde berichtete Rösler zur Verblüffung der Kanzlerin, sie habe "die Missverständnisse in der Abstimmung mit Horst Seehofer auf ihre Kappe genommen". Merkel ließ das dementieren.

Seit dem Wochenende nun ist es noch deutlicher erkennbar erstmal vorbei mit der Harmonie. Der Vize hat der Kanzlerin eine Niederlage beigebracht. Mit ihren Argumenten gegen Gauck drang sie nicht durch, und Rösler inszenierte den Showdown geschickt genug, um nach außen zu verdecken, dass die FDP, die 2010 ebenfalls mit großer Mehrheit Christian Wulff gewählt hatte, am Sonntag nur "zwei Stunden früher umgefallen" war als Merkel, wie es die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast am Aschermittwoch treffend beschrieb.

Auf dem schmalen Grat zwischen Prahlerei und Provokation

Das eigentliche Problem im Umgang mit der Kanzlerin könnte für ihren Vize freilich nicht aus dem Triumph an sich entstehen, sondern daraus, dass er sich so sehr darüber freut. "Verschwiegenheit ist ein Teil des Verfahrens", hat Merkel 2007 über die Zusammenarbeit in einer Koalition gesagt. Ein anderer Teil sei die Offenheit im vertraulichen Gespräch. "Diese Offenheit kann nur gewährleistet werden, wenn nicht hinterher alles instrumentalisiert wird."

Nach der Kür Gaucks machten Berichte über einen Wutanfall Merkels im Ringen mit Rösler die Runde. Am Dienstag berichtete der Vizekanzler per Interview über die Debatten mit der Union und sprach von einer "scharfen Reaktion" der Kanzlerin auf die Ankündigung der FDP, Gauck zu wählen. Am Aschermittwoch warnte er: "Wenn man uns droht, lassen wir uns davon nicht einschüchtern, sondern wir werden nur noch größer." Der Vizekanzler tänzelt auf dem schmalen Grat zwischen Prahlerei und Provokation. Und Merkel schweigt.

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