Süddeutsche Zeitung

Streit in der Union:Szenen einer kaputten Ehe

  • Die Spitzen von CDU und CSU überhäufen sich derzeit nahezu täglich mit Vorwürfen. Für Streit sorgt unter anderem die Reform der Erbschaftsteuer, auch in der Flüchtlingsfrage haben CDU und CSU unterschiedliche Ansätze.
  • Horst Seehofer verkündete nun jedoch in der Bild am Sonntag: "Die Kanzlerin und ich haben jetzt wieder ein Fundament des Vertrauens gelegt, auf das man aufbauen kann."
  • Eine weitere Spitze konnte der CSU-Chef sich jedoch nicht verkneifen: Die Annäherung sollte nicht immer von Leuten aus der zweiten und dritten Reihe kommentiert werden, die noch nie eine Wahl gewonnen hätten, fügte der bayerische Ministerpräsident hinzu.

Kommentar von Heribert Prantl

CDU und CSU sind ein seltsames Paar; sie nennen sich Schwesterparteien. Aber zwei Schwestern sind einem bei dieser Politkombination noch nie eingefallen; eher schon klassische Männerpaare, zu deren Zauber und Fluch es gehört, dass man sie sich nur zu zweit und in vitalisierender Rivalität denken kann: Denkt man an Laurel, denkt man an Hardy. Ähnlich bei Schiller und Goethe, Max und Moritz, Romulus und Remus, Asterix und Obelix. Tritt einem der eine vors Auge, ist der andere schon da.

So war das lange Zeit auch mit CDU und CSU; darin bestand das Reizvolle und Erfolgreiche an dieser Parteiengemeinschaft. Die Geschichte dieses Reizes, der oft polit-folkloristischer Art war, zieht sich durch die Geschichte der Republik: Adenauer, Kohl und Merkel auf der einen Seite, Strauß, Stoiber & Seehofer auf der anderen.

Das war so. Heute funktioniert es nicht mehr; aus Folklore wurde Ernst; und das liegt nicht einfach nur daran, dass an der Spitze der CDU eine Frau steht. Angela Merkel steht da ja schon seit 16 Jahren - aber erst in jüngerer Zeit ist ein Zustand eingetreten, der sich nicht mehr als neckisch-produktiver Antagonismus, nicht als bloßes Zerwürfnis, sondern als Zerrüttung beschreiben lässt. Bei klassischen Ehen denkt man bei diesem Wort an Scheidung. Zerrüttung heißt: Das Gefühl der inneren Bindung ist verloren gegangen.

Die Attacken werden frontaler, sie spielen sich auf offener Bühne ab

In einem solchen Fall gibt es im Familienrecht Möglichkeiten, die eine Scheidung auch ohne vorherige Einhaltung einer Trennungszeit ermöglichen: bei "Unvereinbarkeit der Charaktere", "dauerhafter Lieblosigkeit" und bei "Misshandlungen". All das lässt sich derzeit im Verhältnis von CSU und CDU und in den Dauerattacken von Seehofer gegen Merkel finden. Man mag sich für einen Augenblick überlegen, ob das nicht alsbald anders wäre, wenn auch an der CSU-Spitze eine Frau stünde.

Nun sind Attacken der CSU gegen die CDU nicht neu. Die Angriffe des CSU-Chefs Strauß gegen den CDU-Chef Kohl, dem er, bevor dieser dann für 16 Jahre Kanzler wurde, in wütend-sarkastischer Rede jede Eignung für die Kanzlerschaft absprach, sind legendär. Diese Angriffe endeten auch nicht, als Kohl Kanzler wurde. 1986, da war der Pfälzer schon seit vier Jahren Kanzler, giftete der Bayer über Kohls Regierungszentrale: "Auf der Ölspur der eigenen Dummheit fahren die da Karussell." Anlass für den CSU-Zorn damals waren Erfolge der "Republikaner", die freilich nur bei ein paar Prozent lagen, weit entfernt von denen der heutigen AfD. Deswegen kündigte Strauß an, mit einem eigenen Programm in den Bundestagswahlkampf ziehen zu wollen; die CSU sollte weiter rechts, die CDU mehr in der Mitte agieren.

Nichts Neues also? Doch. Neu ist die von Ironie oder Spott nicht mehr ummantelte Schärfe der Angriffe, die auch nicht mehr, wie damals, nur in der Klausur von Kreuth gemacht und dann Journalisten zugesteckt werden. Aus internen Attacken sind externe geworden: frontal, und nicht nur, wie früher, gegen den Generalsekretär und die zweite Reihe. Die Anwürfe heute geschehen auf offener Bühne; ihnen fehlt auch die rabiate Raffinesse, die den Leuten früher was zu lachen gab. Es gibt nichts zu lachen mehr, wenn Stoiber heute der Kanzlerin vorwirft, sie mache mit ihrer Politik Europa kaputt. Es gibt nichts zu lachen, wenn Seehofer die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin auf dem CSU-Parteitag abwatscht. Es gibt nichts zu lachen, wenn er der Kerndevise der Kanzlerin vom ersten Tag an widerspricht und stets wiederholt, dass "das mit den Flüchtlingen" nicht zu schaffen sei.

Strauß hielt sich für den weit Klügeren, er konkurrierte mit Kohl und war beleidigt, weil der andere das war, was er selbst sein wollte; all das tut Seehofer nicht. Aber es gab damals eine gefühlte weitgehende Einigkeit von CSU und CDU im Grundsätzlichen, eine von Ausnahmen gewürzte Geschlossenheit, die heute von der CSU unspezifiziert, aber vehement geleugnet wird. Die CSU wirft der CDU vor, sie gerate zu einer Variante von Rot-Grün und müsse wieder auf gemeinsame bürgerliche Werte verpflichtet werden. Außer in der Flüchtlingspolitik bleibt das aber inhaltlich völlig unkonkret. Was will die CSU? Zurück zur alten Familienpolitik? Weniger Rechte für Homosexuelle? Mehr Nationalismus? Weniger Europa? Sie sagt es nicht.

In der Flüchtlingspolitik liegt der wesentliche Unterschied zwischen CSU und CDU mittlerweile nur noch in der Rhetorik, bei der sich die CSU nicht an Papst Franziskus, sondern sehr an Viktor Orbán orientiert. Früher war es bei der CSU so, dass ihre Rhetorik vor dem alljährlichen Januar-Treffen in Kreuth polternd kulminierte, um so bundesweit Aufmerksamkeit zu generieren. Mittlerweile ist es so, dass das ganze Jahr Kreuth ist. Das hält ein Bündnis nicht aus. Man fragt sich, ob es Seehofer noch gelingt, seine Parteifreunde wieder von den Bäumen zu holen, auf die er sie getrieben hat.

Die Angriffspolitik der CSU gegen die CDU ist ein Erfolg der AfD, weil damit zwar in den Umfragen nicht die CSU, aber sehr wohl die Union insgesamt geschwächt wird. Die Art und Weise, wie sich alle Parteien an der AfD abarbeiten, führt dazu, dass diese hochgearbeitet wird. Die AfD ist zur fragwürdigen Referenzgröße deutscher Politik geworden; das ist zu viel der Reverenz. Besonders heikel ist es, wenn die CSU in Reaktion auf die AfD (und um die CDU zu trietzen) ihre Überlegungen zur bundesweiten Ausdehnung der CSU wieder auspackt. Strauß hat seinerzeit die Sezessionsstrategie wieder eingepackt, weil ihm klar wurde, dass der Schaden für die CSU größer wäre als jeder Nutzen; würde die CDU nämlich auch in Bayern antreten, wäre es mit einer absoluten Mehrheit der CSU auf immer vorbei.

Bayern ist ein Nationalstaat. Die Ausdehnungsgelüste der CSU sind das, was bei einem Nationalstaat ansonsten territoriale Expansionsgelüste sind. Auch diese Ausdehnungsgelüste sind gefährlich. Weil es eine Bundes-CSU aus den beschriebenen Gründen nicht geben wird, kann es passieren (wenn die CSU damit weiter kokettiert und AfD-mäßig daherredet), dass die AfD in den anderen Bundesländern als CSU-Ersatz wahrgenommen und gewählt wird. Das wäre ein GAU für die Union.

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SZ vom 04.06.2016
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