Süddeutsche Zeitung

CDU:Triumph in aller Stille

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Endlich ist Friedrich Merz da, wo er sich wohl selbst seit Langem gesehen hat: an der Spitze der Partei. Aber nach dem Votum der Basis tut er etwas, was man von ihm nicht recht kennt.

Von Boris Herrmann und Robert Roßmann

Als die drei Kandidaten die Bühne betreten, kennen sie das Ergebnis schon. Eine Viertelstunde vorher ist es ihnen weiter oben in der CDU-Zentrale mitgeteilt worden, unten im Foyer konnte man lautes Klatschen hören. Lässt sich davon in den Gesichtszügen der jetzt auftretenden Protagonisten irgendetwas ablesen? Vielleicht eine überraschende Stichwahlbeteiligung oder ein Durchmarsch im ersten Wahlgang?

Helge Braun, dem die Buchmacher nicht einmal Außenseiterchancen eingeräumt hatten, geht voran. Aber Friedrich Merz überholt ihn, um sich schnell die mittlere Position auf der Bühne zu sichern. Er weiß ja schon, dass er dort richtig stehen wird. Norbert Röttgen, dem selbst ernannten Kandidaten der Mitte, bleibt nur der Platz am Rand. Wie ein großer Gewinner schaut er jedenfalls nicht aus, er versucht aber zumindest, sich nichts anmerken zu lassen.

Dasselbe gilt für Merz, bloß umgekehrt. Nur keine verfrühte Siegesfreude jetzt, die ihm garantiert wieder irgendjemand als Arroganz auslegen würde. Ernst, betont ernst, blickt der nächste CDU-Vorsitzende in die Kameras, während Generalsekretär Paul Ziemiak das Publikum noch mit den neuesten Zahlen über die Wahlbeteiligung auf die Folter spannt. Die zuletzt von notorischen Durchstechereien geplagte Partei hält diesmal dicht - immerhin für diese letzten Augenblicke bis zum großen Showdown.

Als dann auf der Anzeigetafel aber die Balken in die Höhe wachsen, genehmigt sich auch Merz ein erstes Lächeln. Der Braun-Balken bleibt bei 12,1 Prozent erwartungsgemäß als erster hängen. Dass aber der von Röttgen nicht über 25,8 Prozent hinauskommt, ist eine Überraschung. Das heißt: Für Merz sind stolze 62,1 Prozent der abgegebenen Stimmen übrig. Es ist ein in dieser Deutlichkeit nicht erwarteter Sieg im ersten Durchgang der ersten Mitgliederbefragung der CDU über den Parteivorsitz. Jetzt hat Merz es also schriftlich: Er ist tatsächlich der Mann der Basis.

Offenbar ist Merz aber auch jemand, der aus den vergangenen Niederlagen gelernt hat. Seine erste Ansprache als designierter CDU-Chef beginnt er nicht bei sich - sondern bei allen anderen. Er rühmt zunächst die hohe Wahlbeteiligung der Mitglieder. "Das ist ein beeindruckendes und tolles Ergebnis einer Partei, die lebt und die mitgestalten will", sagt Merz. Als nächstes bedankt er sich bei den beiden anderen Bewerbern für "ein gutes Miteinander". Dann sind die Mitarbeiter des Konrad-Adenauer-Hauses an der Reihe: "Diese Parteizentrale steht seit drei Jahren im Ausnahmezustand", sagt Merz. Wie zum Beweis fällt an dieser Stelle für einen Moment das Mikrofon aus.

Irgendwer müsste diesen selbstlosen Mann jetzt mal daran erinnern, dass es ihn ja auch noch gibt. Und tatsächlich: Als Merz gefragt wird, wie er sich gefühlt habe in dem Moment der Bekanntgabe des Ergebnisses, berichtet er: "Ich habe im Stillen 'Wow' gesagt. Aber nur ganz still. Triumphgesänge sind mir fremd."

Hat er sich wirklich so radikal verändert - oder hat sich die Welt bislang so radikal in ihm getäuscht? Das werden die kommenden Monate oder Jahre erweisen. Er werde jedenfalls "für die ganze Breite der Partei stehen", verspricht Merz. Die Annahme, dass er jemals woanders gestanden hätte, beispielsweise am kantig-konservativen Rand der Christdemokraten, bezeichnet er als "Zerrbild".

Friedrich Merz ist bereits zum dritten Mal angetreten, um die Führung der CDU zu übernehmen. Zweimal unterlag er in einer Stichwahl, Ende 2018 gegen Annegret Kramp-Karrenbauer, Anfang 2021 gegen Armin Laschet. Auf den dritten Versuch ließ er sich nur unter der Bedingung einer Mitgliederbefragung ein. Er wollte nicht noch einmal auf einem Parteitag verlieren, aber selbstverständlich bereitstehen, falls der Ruf der Basis nach ihm erklingen sollte.

Aber dass der Ruf dann in dieser Überlautstärke ertönte, macht jetzt endgültig alle Aussichten auf ein geruhsames Rentnerdasein zunichte, auf das er mit 66 Jahren durchaus Anspruch hätte. "Ich weiß, was das für mich persönlich bedeutet, aber ich nehme diese Nominierung der Mitglieder an", sagt er. Und er freue sich jetzt "auf gute Zusammenarbeit mit wirklich allen, fügt er artig hinzu.

Von dieser Freude ist bei Röttgen derweil wenig zu spüren. Der Außenpolitiker hatte sich mindestens den Einzug in eine Stichwahl gegen Merz erhofft. Daraus wird jetzt nichts. "Ich möchte dir, Friedrich, ganz herzlich gratulieren", sagt Röttgen. Deutschland brauche die CDU, deshalb wünsche er ihm jetzt Erfolg.

Röttgen, 56, hatte sich zum zweiten Mal um den Posten beworben. Seine heiligste Pflicht war und ist erklärtermaßen, die CDU als Volkspartei zu erhalten und sie in der Mitte der Gesellschaft zu verankern. Bei der Vorstellung seiner Kandidatur Mitte November erzählte Röttgen, dass es bei seiner ersten Bewerbung gar nicht vordringlich darum gegangen sei zu gewinnen. Was er mit der Partei vorhabe, schaffe man ohnehin nicht in einem Anlauf. In zwei Anläufen aber anscheinend auch nicht, muss er jetzt feststellen.

Und Braun? Der 49-Jährige hatte sich als Überraschungskandidat ins Bewerberfeld geschoben. Als ehemaliger Kanzleramtsminister verkörperte er wie kein anderer die Kontinuität der Merkel-Ära. Er hatte aber mit Serap Güler auch als einziger eine überregional bekannte Frau als Generalsekretärin vorgeschlagen. Zu Brauns zentralen Wahlkampfversprechen gehörte es, als neuer Chef der Partei auch andere neben sich strahlen zu lassen. Jetzt strahlen andere ohne ihn. Und Generalsekretär wird jetzt der von Merz vorgeschlagene Mario Czaja, ein ehemaliger Berliner Gesundheitssenator.

Erste Zweifel an Brauns Siegeszuversicht waren bereits aufgekommen, als er sich in der vergangenen Woche den Vorsitz im einflussreichen Haushaltsausschuss des Bundestags sicherte. Die Abgeordneten Merz und Röttgen hatten sich um keine Ämter im Parlament bemüht. Sie konzentrierten sich offensichtlich auf den Hauptpreis, den Parteivorsitz. Die 12,1 Prozent für Braun zeigen, dass er sich gerade noch rechtzeitig nach einem anderen Job umgesehen hat. Die Wahlkampfzeit für den CDU-Vorsitz sei sehr kurz gewesen, rechtfertigt sich Braun. Das habe ihn als Neuen unter den Kandidaten besonders herausgefordert.

Das Ergebnis der Bundestagswahl war für die CDU ein Desaster. Nur aus der Not heraus entschied sich die CDU-Spitze zu einer Mitgliederbefragung über den nächsten Parteivorsitzenden. Und jetzt scheint ausgerechnet diese ungeliebte Befragung das erste Erfolgserlebnis der Partei auf ihrem Weg der politischen Genesung zu sein. Gut 66 Prozent Wahlbeteiligung, damit hatten selbst die größten Optimisten nicht gerechnet. Bei vergleichbaren Abstimmungen bei SPD und Grünen lag die Beteiligung deutlich niedriger.

Ganz nebenbei haben die Mitglieder der Partei auch noch weitere Kosten und eine lange Hängepartie erspart. Mit mehr als 1,5 Millionen Euro schlug die Befragung zu Buche. Wenn sich die Mitglieder nicht deutlich für Merz ausgesprochen und dadurch eine Stichwahl vermieden hätten, hätte die CDU noch einmal 1,5 Millionen Euro ausgeben müssen. Und der nächste Vorsitzende wäre erst Mitte Januar fest gestanden. So viel Zeit kann sich eine Partei, die sich gegen eine startende Ampel-Koalition behaupten muss, nicht leisten.

Aber wo ist eigentlich Armin Laschet? Der Mann, der den CDU-Vorsitz an Merz abtreten wird, taucht bei der Veranstaltung gar nicht auf. Das Desinteresse beruht offenbar auf Gegenseitigkeit. Laschet wird bei der Veranstaltung kein einziges Mal erwähnt.

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SZ vom 26.11.2021
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