Süddeutsche Zeitung

CDU in Thüringen:Abschied vom Wetterhahn

Nach Mike Mohrings Rückzug steht die CDU in Thüringen vor einer Richtungsentscheidung: Es geht um eine neue Führung - und darum, ob sie den Linken Bodo Ramelow zum Regierungschef wählt.

Von Ulrike Nimz und Antonie Rietzschel, Leipzig

Am Aschermittwoch ist alles vorbei, heißt es. Aber so richtig scheint Mike Mohring noch nicht daran zu glauben, dass das auch für ihn gilt. Er steht auf der Bühne in der Festhalle der Vereinsbrauerei Apolda, betupft die Stirn mit einem Taschentuch. "Ich bin froh, dass ich das für Schweiß brauche und nicht für Tränen." Eine halbe Stunde lang hat Mohring zu 1500 Gästen gesprochen, über die "schwierigen Wasser", in denen seine Partei manövriert. Über die aktuelle Regierungskrise, in der es an Zutrauen aus Berlin gefehlt habe. Er hat die Fäuste geschwungen und sich ans Herz gefasst: Geschlossenheit, Verantwortungsbewusstsein, das sei nun nötig.

Die Leute applaudieren, einer schwingt eine Kuhglocke. Am politischen Aschermittwoch geht es seiner Partei auch um Selbstvergewisserung. Ein bisschen Schenkelklopfen, ein bisschen Schulterklopfen - nie hatten die Christdemokraten es nötiger, nie gab es weniger Anlass.

Die CDU hat in Thüringen nicht nur die Landtagswahl verloren, sondern auch sich selbst. Nach Monaten erfolglosen Sondierens wählte die Fraktion Anfang Februar den Chef einer Fünf-Prozent-Partei zum Ministerpräsidenten - gemeinsam mit der AfD. Ein politischer Sündenfall, der einen Richtungsstreit in der Partei entfachte, die CDU-Bundesvorsitzende ihren Posten kostete und auch der Karriere Mike Mohrings ein unfreiwilliges Ende setzte: An diesem Montag wird der Fraktions- und Landeschef seine Ämter abgeben, auf Druck aus den eigenen Reihen.

Wenn Mohring noch Freunde in der Politik hat, dann in Apolda, seiner Heimatstadt. Hier ist er vor 48 Jahren geboren worden, hier wohnt er noch immer. Wer sich an diesem Abend mit Gästen unterhält, bekommt mehr als einmal zu hören, dass die Wahl Thomas Kemmerichs (FDP) die richtige Entscheidung gewesen sei, man die AfD nicht ewig ausgrenzen könne. Einer sagt: "Der Linksextremismus ist für mich fast schlimmer als der Rechtsextremismus." Eine Woche nach Hanau. Journalisten, die Mohrings Agieren in der Vergangenheit kritisch kommentierten, bekommen es mit aufgebrachten Anhängern zu tun. Sie bauen sich vor den Pressetischen auf: Von "medialer Hinrichtung" ist die Rede und von Verantwortungslosigkeit, ausgerechnet.

Dabei war es Mohring, der seiner Partei zuletzt vorstand wie ein Wetterhahn: Sobald es Gegenwind gab, drehte er sich. Hatte er noch vor Kurzem den Unvereinbarkeitsbeschluss gerügt und angesichts komplizierter politischer Realitäten im Osten für mehr Autonomie der Landesverbände geworben, begründete er später seinen ohnehin besiegelten Rücktritt mit dem Kompromiss, den vier seiner Parteikollegen ausgehandelt hatten. Dieser "Stabilitätsmechanismus" soll auf gar keinen Fall als Duldung oder Tolerierung verstanden werden, funktioniert aber ähnlich: als befristete, projektbasierte Kooperation zwischen CDU und rot-rot-grüner Minderheitsregierung. Bis im April 2021 ein neuer Landtag gewählt werden soll, will man einen Haushalt aufstellen in Thüringen - und die AfD bei der Umsetzung politischer Ziele außen vor lassen.

Ein Favorit als neuer Parteichef ist der von Merkel geschasste Ostbeauftragte Christian Hirte

Damit das alles wie verabredet funktioniert, ist es nicht unwichtig, wer an diesem Montag an die Spitze der CDU-Landtagsfraktion gewählt wird. Die besten Chancen werden Generalsekretär Raymond Walk und Mario Voigt, Landesvize und Intimfeind Mohrings, eingeräumt. Beide sind maßgeblich an den Verhandlungen mit Linke, SPD und Grünen beteiligt gewesen.

Entscheidende Hürde bleibt die Ministerpräsidentenwahl am kommenden Mittwoch und das, was man das Thüringen-Paradox nennen könnte: CDU und FDP haben Stimmen für den Kandidaten Bodo Ramelow (Linke) ausgeschlossen, aber alle gehen davon aus, dass er am Ende gewählt sein wird, Kooperationsverbot hin oder her. Schließlich ist in der Wahlkabine jeder Abgeordnete nur seinem Gewissen verpflichtet. Vier Stimmen fehlen Rot-Rot-Grün und Ramelow zur absoluten Mehrheit. Thüringens Ex-Regierungschef ist zuversichtlich, dass er diese schon im ersten Wahlgang bekommt.

Sollten Dammbrüche, Beben und sonstige Katastrophen diesmal ausbleiben, steht der Thüringer CDU eine weitere Richtungsentscheidung bevor. Mitte April will sich der Landesvorstand auf einem Parteitag erneuern. Als Favorit gilt Mohrings bisheriger Stellvertreter, der geschasste Ostbeauftragte Christian Hirte. Nach der Ministerpräsidentenwahl gratulierte er Thomas Kemmerich öffentlichkeitswirksam, woraufhin die Kanzlerin ein Machtwort sprach. Seine Wahl wäre erneut eine deutliche Botschaft in Richtung Berlin: Ihr könnt uns nicht reinreden und gernhaben sowieso. Aber die Thüringer CDU wäre nicht die Thüringer CDU, gäbe es nicht längst Gerüchte, Mohring habe Hirtes Abgang mindestens beschleunigt. Der Verdächtigte dementiert in Apolda: "Wenn ich so viel Einfluss hätte, würde ich die Kanzlerin anrufen und ihr noch ein paar Namen nennen, die ausgetauscht werden sollen." Und mehr muss man wohl gar nicht wissen über den Stand der Einheit in der CDU.

Wie aber tickt die Partei abseits des politischen Epizentrums? Ausflug in den östlichen Zipfel Thüringens, nach Altenburg, 113 Kilometer von Erfurt entfernt. Im Rathaus sitzt André Neumann in einem knarzenden Sessel; er hat ihn von seinem SPD-Vorgänger geerbt. Im Bilderrahmen auf dem Schreibtisch klemmt nicht etwa ein Familienfoto, sondern eine Karte, auf der steht: "Was moralisch falsch ist, kann nicht politisch richtig sein."

Die CDU stellt in Thüringen zwei Oberbürgermeister, Neumann ist einer davon, seit 20 Jahren Christdemokrat. Auch er spricht von Verantwortung, aber anders als viele seiner Kollegen: "Schon nach der verlorenen Wahl hätte sich die CDU-Führung eingestehen müssen, dass sie Fehler gemacht hat. Stattdessen sind alle anderen schuld. Das zieht sich bis heute durch."

Anfang Februar, kurz vor der Ministerpräsidentenwahl, appellierte Neumann via Twitter an die CDU-Fraktion, sich durch Stimmenthaltung von der AfD abzugrenzen. "Unterstützen wir R2G! Für Thüringen!", schrieb er. In einem Radio-Interview teilte Neumann jüngst seine Fassungslosigkeit über die Wahl Thomas Kemmerichs. Danach habe ihn in Altenburg eine ältere Dame umarmt, mitten auf der Straße: "Bleiben Sie so klar."

Nun sind die politischen Verhältnisse im Altenburger Stadtrat andere als im Erfurter Landtag. Die CDU ist stärkste Fraktion, die AfD bei der letzten Wahl gar nicht erst angetreten. Neumann tippt auf das Skizzenblatt vor sich: Das Residenzschloss ist eingezeichnet, ein Springbrunnen, Skateboardrampen. Es ist der Zehnjahresplan für Altenburg. Die Stadt soll einen Mehrgenerationenpark bekommen, mehr Mülleimer, einen Bürgerwald. Neumann träumt von der Landesgartenschau. Es seien vor allem rot-rot-grüne Minister und Staatssekretäre gewesen, die ihm beim Anschieben der Vorhaben geholfen hätten, sagt er. "Es war einfacher, mit denen einen Termin zu vereinbaren, als bei meinem eigenen Fraktionsvorstand."

André Neumann zieht sein Handy aus der Tasche, zeigt ein Foto: Der Oberbürgermeister und ein Stadtrat der Linken spielen Tischfußball - miteinander, nicht gegeneinander. "Den soll ich jetzt als Mauermörder, als Linksextremisten bezeichnen?", fragt Neumann. "Der will keinen Sozialismus - der will das gleiche wie ich." Zum Beispiel, dass endlich wieder regiert wird in Erfurt.

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SZ vom 02.03.2020
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