Nach Nahles-Rücktritt:Wie die CDU Wege aus der Krise sucht

Christian Democrat Union Leader Annegret Kramp-Karrenbauer News Conference

Annegret Kramp-Karrenbauer am Montag bei einer Pressekonferenz.

(Foto: Bloomberg)
  • Die CDU müht sich am Montag so viel Stabilität wie möglich zu suggerieren.
  • Doch auch in der Union haben sie erkannt, dass die SPD nicht mehr wackelt, sondern wankt.
  • Aus diesem Grund verspricht Parteichefin Kramp-Karrenbauer einen Neuanfang - und unter anderem eine CDU-Digital-Charta.

Von Stefan Braun, Berlin

Bei der CDU ist am Montagmittag viel vom "Wählerauftrag" die Rede. Und von "Vertragstreue". Und überhaupt davon, dass man jetzt seine "Hausaufgaben erledigen" müsse. Die Koalition steckt in der schwersten Krise. Da kann die CDU gar nicht anders, als mit solchen Worten so viel Stabilität wie möglich zu suggerieren.

Sie will eine bürgerliche Partei sein und bleiben; da darf sie nicht verantwortungslos erscheinen. Vorne weg gilt das für die Parteichefin. Annegret Kramp-Karrenbauer erklärt gleich zur Begrüßung, die CDU sei entschlossen und bereit, weiterhin Verantwortung zu übernehmen und den vollen Regierungsauftrag zu erfüllen. "Deutschland muss handlungsfähig bleiben", das ist ihr Credo. Zumal dann, wenn ringsum alle nur noch von Krise und "Regierungsbeben" berichten.

Das passt zur Sicht der Christdemokraten auf sich selber. Alles andere würde bald 14 Jahre Merkel'sches Regieren konterkarieren. Immer pragmatisch, unaufgeregt, Stabilität garantierend.

Doch die Krise, die jetzt in Berlin ausgebrochen ist, ist keine normale mehr, und kann deshalb auch mit normalen Vokabeln kaum mehr eingehegt werden. Mit Appellen an die Vernunft zum Beispiel, mit dem Beschwören des Verantwortungsgefühls - und der Pflicht, sich jetzt endlich zusammenzureißen. Auch in der Union haben sie erkannt, dass die SPD nicht mehr wackelt, sondern wankt. Sie spüren, dass es mit ein paar freundlichen Worten nicht mehr getan ist. Sie spüren, wie schwer alles geworden ist. Und wie gefährlich.

Einer, der dabei schon länger immer vorne dran steht, ist Carsten Linnemann, Fraktionsvize und Hauptvertreter des Mittelstandes. Als er im Konrad-Adenauer-Haus vor eine Kamera tritt, kann man studieren, wie sehr Vernunft und Sehnsucht bei einem wie ihm gerade miteinander streiten. Zunächst erklärt Linnemann, dass die Union natürlich in dieser Koalition weiter machen müsse. Wie wichtig es sei, gerade jetzt mit dieser Kanzlerin die Arbeit fortzusetzen. Das sei man dem Wähler schuldig.

Dann aber, auf Nachfrage, erklärt Linnemann genauso leidenschaftlich, dass man nun neue Gesichter, neue Ideen, neue Konzepte brauche. Linnemann meint das ernst, er ruft danach seit langem. Ob er spürt, wie er sich dabei im Kreise dreht, kann man nicht sagen. Es ist ein gar nicht so schlechtes Bild, will man verstehen, was da gerade vor sich geht.

Zumal: Was soll er auch machen. Auf Dauer will und muss er jene Debatte fortsetzen, die vor dem großen SPD-Chaos-Wochenende auch Norbert Röttgen schon eröffnet hatte. Keine Strategien, keine Zukunftskonzepte, keine überzeugende Linie bei den wichtigsten Zukunftsfragen - das war Röttgens Analyse der Lage gewesen. Er hatte das der eigenen Partei in mehreren Auftritten aufgetischt, er ist ja nicht mehr Mitglied der CDU-Führung.

Kramp-Karrenbauer weiß das auch, so viel ist sicher. Sie weiß um die Notwendigkeit der CDU, sich selbst neu aufzustellen. Unabhängig von der Tatsache, dass auch sie in den letzten Stunden eher dem Bedürfnis anhing, der Koalition alle denkbare Stabilität zu geben. Den Auftritt am Montag nutzt sie gleichwohl auch zur Bilanz in eigener Sache. Spricht vom Versäumnis, in den vergangenen Monaten nicht so entschlossen wie geplant neue Themen und Ziele vorangetrieben zu haben. Vor allem aber präsentiert sie eine ganze Liste dessen, was sie in den kommenden Monaten vorhat.

"Die CDU muss und wird sich wieder stärker an den Fragen der Gestaltung der Zukunft orientieren", verspricht sie ein wenig verschwurbelt. "Wie wollen wir in zehn bis zwanzig Jahren leben und wovon wollen wir in zehn bis zwanzig Jahren leben" - das seien die beiden wichtigsten Überschriften.

Was das konkret heißen soll, deutet sie immerhin an. Eine CDU-Digital-Charta will sie bis Herbst fürs eigene Selbstverständnis schreiben lassen. Was die technische Ausstattung mit Breitband und 5G-Netzen genauso beinhaltet soll wie das Bedürfnis, die eigene Kommunikation an die neue Zeit anzupassen.

Hinzu kommen zwei weitere Schwerpunkte, einmal zum Thema Klima und einmal zum Thema Heimat.So betonte Kramp-Karrenbauer, dass die CDU fest zum Kohle-Ausstieg und dem dazugehörigen Kompromiss stehe; dass die Partei außerdem bis Ende Juni ein eigenes Konzept zum Großthema Mobilität vorlegen werde und dass man bis zum Herbst ein neues Gesamtkonzept für Energiesteuern, -abgaben und -Umlagen entwerfen werde. Inzwischen sei da vieles unsystematisch, kaum noch wirksam und wirtschaftlich belastend geworden. Das wolle man mit einem großen Wurf beenden.

Außerdem wollen die Christdemokraten den Beweis antreten, dass sie sich auch mit den Ängsten der Menschen vor Heimatverlust und Existenzsorgen auseinandersetzen. "In einer Welt, in der Tür und Tor für vieles weit offen stehen", so die CDU-Chefin, "wächst bei dieser Offenheit auch das Bedürfnis nach Anker und Orientierung".

Kramp-Karrenbauer dürfte damit vor allem die Menschen gemeint haben, die sich ob der Geschwindigkeit der Globalisierung und Digitalisierung Sorgen machen. Die Sehnsucht nach Anker und Orientierung passt derzeit freilich auch für ihre eigenen Truppen. "Wir brauchen jetzt Mut und Selbstbewusstsein", sagt am Rande des Auftritts eine stellvertretende Parteichefin. Und ein Kollege aus dem Vorstand ergänzt, man wolle endlich wieder selber gestalten und nicht mehr gestaltet werden. Um dieses Bedürfnis geht es vielen Christdemokraten. Das gilt besonders für jene, die schon auf die nächsten Wahlen schauen. Die im Herbst in Ostdeutschland, und die im Bund, wann auch immer sie kommen werden.

Und die Parteichefin selbst? Sie berichtet, dass sie auf dieser Klausur "Rückenwind und Rückendeckung" erfahren habe. Sie sagt das so, dass jeder spüren konnte, wie sehr sie das nach den vermaledeiten letzten Wochen gebraucht hat.

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