Süddeutsche Zeitung

Berlin:Kai, Franziska, Mehmet und Michael

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Um in Berlin für die SPD koalitionsfähig zu werden, bekennt sich CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner nunmehr zur "Stadt der Vielfalt". Doch die Vorbehalte sind groß.

Von Miriam Dahlinger, Berlin

Bevor vergangenen Donnerstag CDU und SPD Verhandlungen über eine mögliche schwarz-rote Koalition aufnahmen, waren von CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner ungewohnte Worte zu hören: "Es geht nicht darum, wie ein Vorname lautet", schrieb der vielleicht nächste Regierende Bürgermeister von Berlin: "Zu Berlin gehört Mehmet genauso wie Michael." Wohlgemerkt derselbe Kai Wegner, dessen Landesverband nach den Ausschreitungen in der Silvesternacht in Neukölln die Vornamen der deutschen Tatverdächtigen abgefragt hatte, um herauszufinden, ob es arabische Namen waren. Und der 2019 noch Seenotretter als "Schlepperhelfer" und ihre Hilfsaktionen als "Taxidienste" bezeichnet hatte. Oder 2017 eine Frauenquote bei der Einreise von Geflüchteten gefordert hatte.

Kritiker machten Wegner und den Christdemokraten den Vorwurf, nach Stimmen am rechten Rand gefischt zu haben. Einen Eindruck, den die CDU nach der Wahl offenbar schnell widerlegen wollte. Der Berliner CDU-Generalsekretär Stefan Evers twitterte Anfang März etwa, dass die CDU Nachwahlbefragungen zufolge auch bei Wählern mit Migrationsgeschichte vorn gelegen habe. Das können die Meinungsforschungsinstitute Infratest Dimap und Forschungsgruppe Wahlen, die in Berlin Nachwahlbefragungen durchführten, auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung allerdings nicht bestätigen. Man habe keine Daten zur Migrationsgeschichte erhoben. Auch aus dem Büro des Landeswahlleiters heißt es: keine Abfrage von Daten zur Migrationsgeschichte. Richtig ist jedoch, dass die wahlberechtigten Berliner Muslime laut Nachwahlbefragung der Forschungsgruppe Wahlen mehrheitlich CDU wählten.

Auch in migrantisch geprägten Stadtteilen gewinnt die CDU hinzu

Der Leiter des Meinungsforschungsinstituts, Matthias Jung, gab auf Anfrage der SZ jedoch zu bedenken, dass es sich dabei um eine vergleichsweise kleine Erhebungsgruppe handele: Unter den 17 002 zufällig ausgewählten Wählerinnen und Wähler hätten lediglich 286 als Religion muslimisch genannt. Zwar hätten mit 28 Prozent die meisten von ihnen angegeben, CDU gewählt zu haben, insgesamt sei das "linke Lager" mit 25 Prozent für die SPD, 15 Prozent für die Linke und acht Prozent für die Grünen bei den Muslimen aber deutlich in der Mehrheit gewesen. Zudem lasse sich im Vergleich mit anderen Konfessionsgruppen genauso berechtigt formulieren, dass die CDU ihre schlechtesten Ergebnisse bei Konfessionslosen und Muslimen erzielte.

Aber: Auch in migrantisch geprägten Stadtteilen wie Mitte, Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg machte die CDU Zugewinne, darunter bei der Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung, für die auch EU-Ausländer stimmberechtigt waren. Ausgerechnet in Neukölln wurde die CDU stärkste Kraft, offenbar nicht trotz sondern wegen Wegners Aussagen nach der Silvesternacht. In der SPD heißt es, man habe im Wahlkampf beobachten können, dass sich viele Menschen mit Migrationsgeschichte vom Law- und Order-Ansatz der CDU abgeholt fühlten. Man selbst habe hier Stimmen eher konservativer Menschen mit Migrationsgeschichte an die Union verloren.

Nichtsdestotrotz sei es in den Sondierungen gerade in diesem Punkt "sehr laut" geworden, hieß es aus dem Berliner SPD-Parteivorstand."Die Kampagne war rassistisch, auch mich hat das persönlich getroffen", sagte die stellvertretende Landesvorsitzende Cansel Kiziltepe auf der Landesdelegiertenkonferenz der Jusos. Die SPD habe Forderungen aufgestellt, die erfüllt sein müssen. Im schwarz-roten Sondierungspapier kündigten SPD und CDU etwa an, sich gegen Diskriminierung, Rechtsextremismus und Rassismus einsetzen zu wollen. Details sollten in der Arbeitsgruppe "Stadt der Vielfalt" ausgehandelt werden, die am Mittwoch zum ersten Mal tagt.

Zwei SPD-Ortsverbände stimmten bereits gegen eine Koalition mit der CDU

Zwar verhandelte die SPD bereits bei der Wahl 2021 in einer ähnlichen Arbeitsgruppe, damals noch mit Grünen und Linken, neu ist aber, dass Co-Chef Raed Saleh die AG auf Seiten der Sozialdemokraten zur Chefsache erklärt hat. Und auch Franziska Giffey hob das Thema vor Beginn der Koalitionsgespräche im Interview mit der SZ hervor: "Die Vornamensdebatte nach den Ausschreitungen an Silvester, das war unsäglich und darf nie wieder vorkommen."

Das Bekenntnis zur "Stadt der Vielfalt" ist für die CDU in Berlin also auch wichtig, um für die SPD koalitionsfähig zu werden. Insbesondere in der Parteilinken versuchen dort eine wachsende Gruppe an Mitgliedern, eine Koalition mit den Christdemokraten noch zu verhindern. Zwei Ortsverbände stimmten bereits gegen eine Koalition mit der CDU, am Wochenende starteten die Berliner Jusos eine breitangelegte "No GroKo"-Kampagne. Bei der Landesdelegiertenkonferenz der Jugendorganisation war die Stimmung im vollbesetzten Hans-Jochen-Vogel-Saal im Willy-Brandt-Haus anklagend. Die Vorsitzende des Jugendverbands, Taşan-Funke, sprach vor einer "Koalition mit Reaktionären", ihr Co-Vorsitzender Peter Maaß von einer "ehrenlosen CDU", einige Mitglieder nannten den CDU-Wahlkampf "rassistisch".

Aus Verhandlungskreisen der SPD heißt es, die Christdemokraten seien sich sehr bewusst, dass es innerhalb der SPD in Bezug auf Migrations- und Integrationspolitik, aber auch queere Themen und Fragen der Gleichstellung die meisten Vorbehalte gegenüber der CDU gebe. Zwischen dem 8. und 21. April will die SPD ihre Mitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen lassen. Ein positives Ergebnis ist auch für die Christdemokraten wichtig.

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