CDU: Sonderzug zur Macht:Angela Adenauer auf großer Reise

Bundeskanzlerin Merkel setzt auf nostalgische Gefühle. Weil CDU-Häuptling Konrad Adenauer einst Deutschland faszinierte, fährt die Wahlkämpferin in dessen Rheingold-Express durch die Lande. Dabei hat sie mit dem großen "Alten" wenig gemein.

Michael König, Berlin

Eigentlich sei Konrad Adenauer viel lieber geflogen als Zug gefahren, erzählt einer, der es wissen muss. Konrad Kraske war 1957 stellvertretender Bundesgeschäftsführer der CDU, als Adenauer im Wahlkampf einen Zug einsetzte - den luxuriösen Rheingold-Express. Damit fuhr er kreuz und quer durchs Land. "Anders als im Flugzeug konnte er an jedem Bahnhof aussteigen, eine Rede halten und gleich weiterfahren", erzählt Kraske.

Damals war das innovativ - und erfolgreich: Die Union erreichte bei der Bundestagswahl das beste Ergebnis aller Zeiten: 50,2 Prozent.

60 Jahre nach der ersten Wahl Adenauers zum Bundeskanzler steht die Union in Wahlumfragen bei 35 Prozent. Und erneut kommt der Zug zum Einsatz: Von morgens bis abends fährt Bundeskanzlerin Angela Merkel an diesem Dienstag, den die CDU zum "Deutschland-Tag" erklärt hat, im Rheingold-Express quer durch die Republik. Die Route liest sich wie ein Best-of-Album der christdemokratischen Politik: von Adenauers Wohnort Rhöndorf über Bonn, Frankfurt und Leipzig nach Berlin.

Mittendrin im rollenden Spektakel: die Kanzlerin im osterlila Blazer, Getreue wie Generalsekretär Ronald Pofalla oder den sich verteidigenden Minister Franz Josef Jung neben sich.

Die Gründung der BRD, die Westbindung, die soziale Marktwirtschaft, die deutsche Einheit - die Stationen des Rheingold-Expresses erinnern an wichtige Ereignisse der Geschichte, die von CDU-Kanzlern beeinflusst wurden. Die Finanzkrise ist nur eine weitere Herausforderung in dieser Reihe - und Angela Merkel wird sie bewältigen, natürlich, weil sie in der Tradition Adenauers steht. Das ist jedenfalls die Botschaft dieser Dienstagsreise, wie sie die CDU verstanden wissen will.

Dass sie das Erbe Adenauers bewahren will, vergaß Merkel bislang in keiner Wahlkampfrede zu erwähnen. Ein Kokoschka-Porträt des Altkanzlers hängt in ihrem Büro. Dass sie nun im Zug des "Alten" reist, sogar in Begleitung einiger Mitglieder der Adenauer-Familie, ist dennoch ein eigenwilliges Manöver.

In Zeiten des Internets erscheint die Tour im Retro-Zug als Maßnahme von vorgestern. Bislang bestand die CDU-Wahlkampftaktik daraus, keinen Wahlkampf zuzulassen - nun stellt sich Merkel selbst ins Rampenlicht. Und auch der Vergleich Adenauer/Merkel, den die Wahlkampfstrategen der Union mit der Reise bemühen, hinkt.

Konrad Adenauer nutzte seine Auftritte in Bahnhofshallen und auf Bahnhofsplätzen, um im Falle eines Wahlsieges der SPD den "Untergang" Deutschlands zu prognostizieren. Von "Erdrutsch- und Untergangsfloskeln", schrieb damals die liberale Presse und warf Adenauer vor, damit "das Klima der Innenpolitik ruiniert" zu haben. Aktuell könnte das Klima hingegen besser nicht sein: Merkel behandelt die Sozialdemokraten durchweg pfleglich - weshalb FDP-Politiker ihr vorwerfen, die große Koalition fortsetzen zu wollen.

Die Adenauer-Reise war ein mehrwöchiges, von Skandalen umwittertes Schauspiel, dem der Spiegel eine Titelgeschichte widmete. Hans Ulrich Kempski von der Süddeutschen Zeitung deckte damals auf, dass Adenauer von einem Arzt begleitet wurde - woraufhin der damals 81 Jahre alte Kanzler energisch bestritt, Medikamente oder Spritzen zu bekommen. Das einzige Skandälchen, das die Merkel-Reise vorzubringen hat, ist die Abwesenheit Horst Seehofers - der CSU-Vorsitzende verzichtete "aus Termingründen", wie eine Sprecherin sagte. Er ist für Quelle in Fürth im Einsatz.

"Untypisch, aber gelungen"

In keiner Weise könne man den Politikstil Adenauers mit dem der Merkel vergleichen, sagt Konrad Kraske, der 1958 Bundesgeschäftsführer der CDU wurde und es bis 1970 blieb. Und auch ein Enkel Adenauers hält die Gemeinsamkeiten für überschaubar.

Als der Bundeskanzler 1967 starb, war Sven-Georg Adenauer sieben Jahre alt. Heute ist er 49 und CDU-Landrat im Kreis Gütersloh. Er sei "sehr stolz darauf", dass Angela Merkel mit der Reise im Rheingold-Express ihre "Verbundenheit" zur Familie Adenauer ausdrücke, sagt der Enkel des "Alten", der aufgrund eines anderweitigen Termins nicht an der Zugfahrt teilnimmt. Merkel habe mit seinem Großvater die Standhaftigkeit und die Liebe zur sozialen Marktwirtschaft gemein. Die Unterschiede seien jedoch groß: "So wie mein Großvater damals auf den Tisch haute und seine Minister antanzen ließ, kann man heute gar nicht mehr Politik machen."

Die Kanzlerin ist dafür bekannt, ihre Minister lieber per SMS zu kontaktieren. Gewalt gegen Tischplatten, das ist nicht ihre Art. Im Vergleich zu Adenauer könnte sie deshalb schlecht abschneiden, betulich oder gar schwächlich wirken.

Der Merkel-Biograph Gerd Langguth hält die Zugreise dennoch für ein "untypisches, aber gelungenes Manöver". Er sagt, es komme in der politischen Kommunikation auf "Großsymbole" an - und die "gute, alte Adenauerzeit", sei so ein großes Symbol. Merkel könne sich als Vorsitzende der "Grand Old Party Deutschlands" präsentieren und eine Sehnsucht der Bevölkerung nach Nostalgie stillen. Zugleich sei die Reise ein Symbol für die deutsche Einheit.

Die bisherige Vermeidungsstrategie der CDU sieht Langguth nicht gefährdet: "Eine Zugreise ist an sich ja ein unpolitisches Ereignis." Die Aufmerksamkeit der Medien sei ein Zeichen dafür, dass der Rheingold-Express seine Wirkung nicht verfehle.

Die Opposition sieht das naturgemäß anders: Die SPD spottet schon seit Wochen, Merkel wolle "im Schlafwagen an die Macht". Und pünktlich zum Beginn der Reise haben die Wahlkampfstrategen im Willy-Brandt-Haus auch das passende Lied dazu gefunden: Christian Anders mit dem Titel "Es fährt ein Zug nach Nirgendwo."

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