Süddeutsche Zeitung

CDU Sachsen und Russland-Politik:War da was?

Nahezu geräuschlos räumt die sächsische CDU den Konflikt um die Russland-Positionen von Michael Kretschmer ab. Kritik gibt es auf dem Parteitag trotzdem - an Ampel und Bürgergeld.

Von Iris Mayer, Schkeuditz

Vielleicht ist es am auffälligsten, was es alles nicht gibt auf diesem Parteitag. Keine Rede des im Osten so herbeigesehnten CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz. Keinen Streit über die Frage, ob der Krieg in der Ukraine eingefroren werden soll. Keine Debatte, welche Waffen Deutschland an Kiew liefert oder ob es nicht doch Möglichkeiten gäbe, weiter russisches Gas zu beziehen. Außerdem hat das Tagungspräsidium keine Leipziger Lerchen mehr abbekommen, die der Konditor Jürgen Kleinert für alle Delegierten der sächsischen Union backen ließ. "Ein Versäumnis", findet der Ministerpräsident und Landesvorsitzende Michael Kretschmer. Es wird das Einzige bleiben, das er an diesem Tag beklagen muss.

Offene Kritik an Kretschmer, eine Distanzierung von seinen Russland-Positionen gar, wie es die Junge Union noch Anfang Oktober gefordert hatte, davon ist der Parteitag im Schkeuditzer Messe- und Conference-Center bei Leipzig weit entfernt. Stattdessen tritt unter dem Beifall der Delegierten ein Ministerpräsident und Landesvorsitzender auf, der sich seiner Sache zwar weiter sicher, in Wortwahl und Ton aber doch erkennbar diplomatischer geworden ist.

"Dieser Angriffskrieg Russlands ist ein großes völkerrechtliches Verbrechen. Es gibt keinen Grund, der diesen Angriff rechtfertigt", sagt Kretschmer in seiner Rede und bekommt das erste Mal Applaus. Spätestens an dieser Stelle folgte in den vergangenen Wochen von ihm ein rhetorisches "Aber" und der Hinweis darauf, dass man sich trotzdem irgendwie mit Russland arrangieren müsse, den Konflikt einfrieren, darauf schauen müsse, dass nicht Deutschland und Europa stärker unter den Sanktionen gegen Moskau leiden als Putin selbst.

"Wir stehen an der Seite der Menschen, die angegriffen wurden"

Am Samstag klingt das anders. Putin versuche, die Europäische Union zu spalten, sagt Kretschmer, "aber wir stehen fester zusammen als je zuvor". Und er fügt an: "Es ist ein völkerrechtswidriger Krieg, er muss enden. Wir stehen an der Seite der Menschen, die angegriffen wurden. Es ist keine Frage des Ob, sondern eine des Wie."

Man tritt Kretschmer nicht zu nahe, wenn man feststellt, dass an seinem Ob in den vergangenen Monaten durchaus Zweifel aufkamen. Dass Friedrich Merz öffentlich sagte, Kretschmer vertrete nicht die Position der Union und sei auch im Kreis der ostdeutschen Regierungschefs isoliert. Dass der frühere Ostbeauftragte und sächsische CDU-Abgeordnete Marco Wanderwitz ihn einen "Geisterfahrer" nannte und ihm "unselige Putin-Versteherei" vorwarf. Wanderwitz ist dem Parteitag genauso ferngeblieben wie Merz. Stattdessen spricht Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst. Der findet viele warme Worte, für Sachsen im Allgemeinen und Kretschmer im Besonderen. "Du bist ein Riesentyp und ein feiner Kerl" zum Beispiel. Putins Kalkül sei es, Deutschlands Wirtschaft zu schwächen, sagt Wüst, um die Solidarität mit der Ukraine bröckeln zu lassen: "Aber wir lassen nicht zu, dass aus Sorge Angst wird, die unsere Gesellschaft spaltet." Da hat Kretschmer das Jackett ausgezogen und applaudiert energisch.

Zuvor hat er erkennen lassen, dass der Widerspruch, den er für seine Russland-Haltung bekam, nicht spurlos an ihm vorbeiging. "Ich habe sehr unter der Verengung der Diskussion gelitten", sagt der 47-Jährige und weist darauf hin, dass um viele gesellschaftlich entscheidende Fragen heftig gerungen wurde. Deshalb müsse es doch auch möglich sein, "in Fragen von Krieg und Frieden offen miteinander zu diskutieren". Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass der Saal halb leer ist, als Carsten Körber, Vorsitzender der CDU-Landesgruppe Sachsen im Bundestag, von seinem Besuch in der Ukraine berichtet. Von Gräueltaten an der Bevölkerung, vergewaltigten und verschleppten Menschen. Körber hatte Kretschmer im Frühjahr öffentlich widersprochen, als es um die Frage von Waffenlieferungen an die Ukraine ging. Er stimmte - wie die gesamte Unionsfraktion, inklusive der sächsischen Landesgruppe - im Bundestag dafür, Kretschmer unterstützte einen offenen Brief von Intellektuellen, die sich gegen die Lieferung schwerer Waffen aussprachen. Am Samstag versendet sich Körbers Plädoyer "Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen" im allgemeinen Saalgeraune.

Kein Wort mehr vom Einfrieren

Im Leitantrag, den die Delegierten später fast einstimmig beschließen, heißt das: "Es braucht intensive diplomatische Anstrengungen der Europäischen Union, der USA und der Weltgemeinschaft, um Russland zum Einlenken zu bewegen." Zugleich müsse man neue Schlüsse aus der Situation ziehen. Für die sächsische Union ist klar: Atomkraftwerke weiterlaufen lassen, heimische Gasvorräte fördern und Erneuerbare Energien ausbauen. Das Wort Einfrieren findet sich nicht im Leitantrag. Stattdessen: "Die Annexionen der kriegerisch besetzten Regionen sind illegal und müssen rückgängig gemacht werden."

Deutliche Kritik übt Kretschmer - genau wie Wüst - am geplanten Bürgergeld: "Das passt überhaupt nicht in die Zeit." Kretschmer wendet sich gegen eine "Subventionsmentalität" und kündigt an, dass Sachsen dem Vorhaben im Bundesrat nicht zustimmen werde. Zum 1. Januar soll das Bürgergeld die bisherige Grundsicherung nach Hartz IV ersetzen und von 449 auf 502 Euro steigen. Auch die von der Ampel geplante Cannabis-Freigabe lehnte der Parteitag ab. Dass man sich als CDU auch unbequemen Diskussionen im Land stellen müsse, sei unumgänglich. Dies dürfe man nicht den Rändern überlassen. "Wir müssen reden, reden, reden", sagt Kretschmer, "niemandem aus dem Weg gehen, auch wenn es weh tut."

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