Süddeutsche Zeitung

CDU-Vorsitz:Der Wettlauf um Merkels Nachfolge beginnt

Jetzt wird es ernst für die Kandidaten: Heute beginnen in Lübeck die Regionalkonferenzen. Kramp-Karrenbauer, Spahn und Merz stehen auf dem Prüfstand.

Von Stefan Braun, Berlin

Für die Kandidaten wird es ernst - und fürs Publikum spannend. Wenn am Abend in Lübeck die erste Regionalkonferenz beginnt, müssen Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz und Jens Spahn zeigen, was sie draufhaben.

Die CDU hat sich zwar nicht zu einem Mitgliederentscheid durchgerungen; Derartiges hätte ihre Satzung auch nicht hergegeben. Gleichwohl startet in der Kulturwerft Gollan in Lübeck ein zweiwöchiges Schaulaufen, ein Kampf um die Herzen der Mitglieder. Tausende werden beobachten können, wie sich die drei Kandidaten in insgesamt acht Regionalkonferenzen präsentieren.

Sie haben sich früh besondere Fairness versprochen. Doch schon vor Beginn wird sichtbar, dass sich nicht alle dran halten werden. Jens Spahn ist der Erste, der die Linie aufgegeben hat. Unmittelbar vor dem ersten Wettstreit attackierte er seine beiden Gegner. Offensichtlich setzt der mit Abstand Jüngste der Duellanten vor allem auf Angriff.

AKK, wie alle Kramp-Karrenbauer längst nennen, und Friedrich Merz haben es dagegen bisher vorgezogen, über die Kontrahenten kein schlechtes Wort zu verlieren. Anders als Spahn haben sie auch nicht versucht, das zu untermauern, was man von ihnen kennt. Stattdessen hat sich der konservative Merz betont liberal gegeben und die Grünen als möglichen Bündnispartner beschrieben - und Kramp-Karrenbauer hat darauf gesetzt, im Umgang mit straffälligen und gewaltbereiten Asylbewerbern besonders hart aufzutreten.

Die Folge ist interessant: Der komplizierte Balanceakt zwischen dem Lob für Erreichtes und dem Bedarf nach Neuem wird zum prägenden Element der Auseinandersetzung. Doch was oft als Profillosigkeit beschrieben wird, führt bislang vor allem bei AKK zu einer stärkeren Konturierung.

Ab Donnerstagabend gilt es; dann wird jedes Wort, jede Botschaft, jede Attacke und jede Verteidigung Teil der Erzählung - und über Sieg und Niederlage entscheiden.

Das Format

Was den Christdemokraten jetzt wieder bevorsteht, entsprang einst der größten Krise der CDU, hat sich aber bewährt. Als die Partei Helmut Kohls im Spendenskandal zu versinken drohte und nach Widersprüchen um eine 100 000-Mark-Spende auch Wolfgang Schäuble zurücktreten musste, war es der scheidende Partei- und Fraktionschef, der den Weg vorgab.

Schäuble schlug zur Bestimmung seiner Nachfolge große Parteitreffen an der Basis vor. So weckte er die an sich selbst zweifelnde, in sich verstörte CDU wieder auf. Das gelang mit großem Erfolg. Die Regionalkonferenzen im Vorfeld des berühmten Essener Parteitags im Jahr 2000 wurden nicht nur sehr gut besucht, sondern ließen die CDU spüren, wofür sie existierte.

Und so wiederholt sich in diesem Herbst 2018 ein Procedere, das Angela Merkel vor 18 Jahren an die Macht führte. Auch wenn am Ende die 1001 Delegierten auf dem Essener Bundesparteitag über ihre Wahl zur Parteichefin entschieden - die Begegnungen mit den Mitgliedern hatten die Pro-Merkel-Stimmung entscheidend vorgegeben. Nach dem Zulauf für die damalige Generalsekretärin hätte der Parteitag gar nicht mehr anders abstimmen können: Er musste sie wählen.

Heute stellen sich wieder dieselben Fragen: Wem hören die Leute zu? Wer hat die positive Energie auf seiner Seite? Wer punktet mit Eloquenz? Und wem gelingt der große Spagat am besten, zwischen dem Lob des Geleisteten und der Botschaft eines Neuanfangs?

Mit diesen Fragen werden sich Mitglieder und Beobachter von heute an beschäftigen. Sie werden genau darauf achten, wie viel Beifall Kramp-Karrenbauer, Merz und Spahn erhalten werden.

Als Angela Merkel am 29. Oktober im obersten Führungsgremium der CDU, dem Präsidium, ihren Rückzug vom Parteivorsitz ankündigte, wusste ihre Generalsekretärin gerade mal ein paar Minuten von der neuen Lage. Und kaum war Merkels Botschaft nach draußen gedrungen, meldete sich Friedrich Merz via Bild-Zeitung mit der Botschaft, er stünde zur Verfügung, wenn die CDU daran Interesse habe.

Noch war es keine offizielle Kandidatur, geschweige denn eine, bei der Merz von vornherein die Bereitschaft zum Wettstreit erklärte. Aber weil sein Interesse die allermeisten in der Partei und in den Medien überraschte, gehörte Merz die erste Phase des Wettstreits.

Aber: Er ist bislang kaum aus der Schublade rausgekommen, in die ihn viele packten: Merkel-Feind, Vertreter der Großfinanz, Gegner eines großzügigen Sozialstaates. Bislang beherrschen die alten Bilder den Blick auf diesen Kandidaten.

Dabei ging beinahe unter, dass er in einem ersten kurzen Auftritt in Berlin versuchte, vor allem neue Akzente zu setzen. Mehr Frauen in die Politik, mehr junge Leute, dazu mehr Leidenschaft für Europa und für eine gute Umwelt.

Seine Bemühungen, die alten Bilder durch neue zu ersetzen, gelangen nur teilweise. Er sei kein Anti-Merkel, er sei nicht mehr der Merz des Jahres 2002, er kämpfe für mehr Solidarität in Europa - all das kündigte er an und doch blieb es noch nicht wirklich haften. Zu stark wirken die Bilder nach, die nach seinem Abgang von ihm eingefroren wurden.

Aus diesem Grund werden für ihn die acht Regionalkonferenzen entscheidend sein. Gelingt es ihm dort nicht, ein glaubwürdiges Bild vom Friedrich Merz des Jahres 2018 zu zeichnen, mit Altem und Neuem, mit konservativen Überzeugungen und modernen neuen Ansätzen, dann dürfte er es schwer haben. Denn trotz seines Überraschungsstarts haben sich die Verhältnisse verschoben.

Und das hat viel mit der zweiten Phase des Wettbewerbs zu tun. Die bisherige Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer wurde zunächst von Merkels Schritt ebenso überrascht wie von Merz' schneller Ankündigung. Doch als sie sich berappelt hatte, legte sie eine selbstbewusste Präsentation in Berlin hin - und lässt kaum einen Tag ohne neues Interview und neue Botschaft vergehen.

Fehlte ihr anfangs die Energie, so hat sie sich diese zurückgeholt. Dabei setzt sie teilweise auf sehr harsche, konservative Positionen im Umgang mit straffälligen Asylbewerbern, die man einem Horst Seehofer wahrscheinlich nicht ohne Kritik durchgehen lassen würde.

Lebenslanges Einreiseverbot, dazu Abschiebungen ins Bürgerkriegsland Syrien - wüsste man nicht, dass es um den CDU-Vorsitz geht, dann könnte man Kramp-Karrenbauers Performance wie eine Bewerbung fürs Innenministerium lesen. Die CDU-Politikerin hat sich in den Umfragen nach Rückständen gegenüber Merz nun einen leichten Vorteil erarbeitet.

Von Jens Spahn, dem Dritten im Bunde, lässt sich das bislang nicht sagen. Er rangiert in allen Umfragen an dritter Stelle, und zwar mit deutlichem Abstand. Gleichwohl hat sich der Jüngste in der Bewerbertruppe noch lange nicht aufgegeben, sondern glaubt, seine Rolle in der des jungen konservativen Rebellen gefunden zu haben.

Ob das wirklich zu mehr reichen wird, ist offen. Aber je länger der Wettbewerb läuft, desto deutlicher wird, dass er darauf setzt, die derzeitige Bühne auch zur Stärkung seiner Position in der Zeit nach der Wahl zu nutzen.

Aus diesem Grund wird er nicht vorab aufgeben. Jedenfalls nicht vor dem Parteitag in Hamburg - und vielleicht auch nicht vor dem ersten Wahlgang. Dahinter dürfte auch sein Kalkül stecken, dass er nur dann zu einer Art Zünglein an der Waage werden könnte.

Dass er sich dabei zur Attacke auf die beiden anderen Kandidaten entschieden hat, schärft zwar sein Profil, ist aber nicht ohne Risiko. Die CDU setzt sehr auf einen spannenden Wettbewerb, Abwertungen der Konkurrenten aber kann sie in der Regel gar nicht leiden. Merz sei zu beliebig und Kramp-Karrenbauer habe ihn mit ihrer Ablehnung der gleichgeschlechtlichen Ehe persönlich verletzt - das sind Wertungen, mit denen er das Risiko eingeht, das Fairness-Gelübde aufzugeben.

Wenn sich die Basis der CDU in den kommenden Wochen treffen wird, dann dürften neben allen Profilierungsversuchen der Kandidaten ein paar zentrale Fragen und Sorgen der Menschen im Zentrum stehen. Zuvorderst die Frage der Migration und der Integration. Kein Thema hat die Union so erschüttert, bei keinem anderen Thema wünschen sich Mitglieder und Funktionäre eine klare Antwort.

Dabei geht es nicht nur um die Frage, welche Entscheidung im Sommer 2015 richtig war und welche falsch. Viel wichtiger wird sein, wie die Kandidaten die Aufgabe der Integration lösen wollen; wie sie die Migrationsfrage insgesamt einschätzen und wie sie - besonders wichtig - mit straffälligen, gewalttätigen Asylbewerbern umgehen möchten.

Ein zweites Großthema ist die Frage, wie sich die Kandidaten eine moderne christdemokratische Sozialpolitik vorstellen. Welche Antworten haben sie auf die Not Alleinerziehender? Welche Pläne haben sie zur Entlastung der Mittelschicht? Wie stehen sie zur Zukunft von Hartz IV?

Eng damit verknüpft, stellt sich eine dritte Frage: Wie wollen sie es schaffen, dass die Menschen wieder Vertrauen in die Lösungskompetenz von Parteien und Regierungen fassen? Muss der Staat vor größeren Steuerentlastungen erst mal wieder gestärkt werden und also liefern - zum Beispiel in den Schulen, bei der Ausstattung der Polizei, bei der Stärkung von Gerichten, Justiz und Rechtsstaat?

Und schließlich: Wie wollen die Kandidaten Europa tatsächlich zu dem machen, was es nach Sonntagsreden der Christdemokraten sein soll: "Unsere Zukunft"? Wer hat Ideen, wer hat Leidenschaft?

Dazu gesellt sich ganz selbstverständlich die letzte große Frage: Welche Rolle soll Deutschland in der Welt der Trumps, Putin, Erdogans einnehmen? Und welchen Preis ist man dafür zu zahlen bereit, finanziell und politisch?

Bislang zeichnet sich ein absolut offenes Rennen zwischen Friedrich Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer ab. Ob Jens Spahn noch eine echte Chance bekommt, hängt maßgeblich davon ab, ob die Konkurrenz noch schwächelt.

Festlegungen gibt es bislang kaum. Jedenfalls öffentlich haben sich viele Landesverbände und Vereinigungen darauf verständigt, vor den Regionalkonferenzen nichts zu sagen, um die Debatten an der Basis nicht zu belasten.

Ausnahmen gibt es, dabei handelt es sich nahezu ausschließlich um Unterstützungen für Annegret Kramp-Karrenbauer. Der saarländische Landesverband hat sich komplett hinter ihre Kandidatur gestellt und hilft ihr auch logistisch.

Nicht viel anders liegen die Dinge bei der Frauen-Union. Auch diese unterstützt komplett die Saarländerin. Über AKK ist zur Zeit in Berlin ohnehin zu hören, sie zeige in internen Gesprächen durchaus deutlich, wie sehr sie zum Kämpfen bereit sei. Ihre Botschaft sei, so berichten es Gesprächspartner, dass man sich nach der Merkel-Zeit jetzt nicht die Butter vom Brot nehmen lasse.

Das deutet immerhin an, dass der Wettstreit um die CDU-Spitze im Jahr 2018 am Ende nicht nur über Inhalte, Leidenschaft und Glaubwürdigkeit der Bewerber entschieden wird, sondern über die Geschlechterfrage. Dabei ist zu hören, dass im Augenblick die Frauen in der CDU besonders gut organisiert sind.

Für die Kandidaten wird das in den kommenden Wochen anstrengend und herausfordernd. Der CDU aber bietet es die Chance, als Partei mit ihren Kandidaten, ihren Positionen, ihrer Suche nach dem richtigen Kurs wieder fürs Publikum erkennbar zu werden.

Endet die Sache nicht im Streit, sondern in der Klärung zentraler Positionen, dann könnten die Wochen bis zum Parteitag wie ein Jungbrunnen wirken. Gelingt es gar, den seit drei Jahren schwelenden Streit um die Flüchtlingspolitik durch eine neue Führung zu befrieden, steigen die Chancen, der AfD mit einer neuen Geschlossenheit und Leidenschaft entgegenzutreten.

Das, so heißt es überall in der Partei, wäre ein besonders gutes Ergebnis des Wettstreits. Und so sucht die CDU nun also diejenige oder denjenigen, der dafür die besten Chancen bietet.

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