CDU-Regionalkonferenz in Lübeck:Drei bewerben sich und die Siegerin heißt Angela Merkel

  • Bei der ersten von acht Regionalkonferenzen der CDU zeigen die potenziellen Merkel-Nachfolger Kontur.
  • Kramp-Karrenbauer wirkt etwas vorsichtiger als in den vergangenen Tagen, Merz will die AfD halbieren, Spahn sammelt in Lübeck am ehesten Punkte.
  • Siegerin des Tages ist allerdings die Kanzlerin. Denn nach den verheerenden Verlusten der CDU in Hessen musste sie mit Kritik an ihrer Person und Politik rechnen.

Von Stefan Braun, Lübeck

Am Ende gibt es Applaus für alle. Ganz so, als sei der Schaukampf nicht der Auftakt zu einem großen Wettbewerb, sondern eine einzige große Familienfeier. So zufrieden, diskussionshungrig und leidenschaftlich hat man die CDU schon lange nicht mehr erlebt. Wer wissen will, welche Energien ein demokratischer Wettstreit freisetzt, konnte das am Donnerstagabend bei den Christdemokraten sehr gut studieren.

Im Wettbewerb um das Amt der oder des Parteivorsitzenden sammelt in Lübeck am ehesten Jens Spahn Punkte. Nicht, dass der mit Abstand Jüngste im Feld nun als großer Favorit in die kommenden Tage gehen wird. Aber der 38-jährige Bundesgesundheitsminister hat es geschafft, sich den Status eines ebenbürtigen Konkurrenten zu erkämpfen. Der Auftritt dürfte ihn darin bestärken, bis zum Parteitag im Rennen zu bleiben.

Wie aber haben sich die bisherigen Favoriten Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz geschlagen? Wo haben die drei Kontrahenten gepunktet - und wo womöglich enttäuscht? Ein Überblick zur Einordnung.

Annegret Kramp-Karrenbauer

Gesamteindruck: Die Noch-CDU-Generalsekretärin tritt sehr leidenschaftlich auf. Gemessen daran, dass sie in den vergangenen Tagen in mehreren Interviews ein wahres Feuerwerk an Plänen und Vorschlägen präsentierte, wirkt sie in Lübeck aber vor allem wie eine, die sich vor Fehlern schützt und immer wieder an ihre schon bisher geleistete Arbeit für die Partei erinnert.

Bester Moment: Ist der, als sie über den inneren Zusammenhalt in der Gesellschaft redet und dabei allzu billige Angriffe auf Flüchtlinge und Migranten abwehrt. Eine Christdemokratin zu sein, heiße für sie, die Menschen nicht danach zu beurteilen, woher sie kämen, wie sie aussehen würden oder an was sie glaubten. "Wir beurteilen Menschen danach, was sie für diese Gemeinschaft einbringen." Der Satz bringt ihr viel Beifall. Und das, obwohl viele im Publikum später auch applaudieren, als Rufe nach einem strengen Umgang mit straffälligen Asylbewerbern laut werden.

Schwerster Augenblick: Kommt ganz zum Schluss, als Jens Spahn noch einmal daran erinnert, dass Kramp-Karrenbauer die gleichgeschlechtliche Ehe nicht nur kritisiert, sondern in ihrer Begründung sogar einen Zusammenhang zum Inzest hergestellt hatte. Kramp-Karrenbauer steht zu der Kritik. Aber in diesem Moment wird deutlich, wie konkret ihre Worte einen Homosexuellen wie Spahn verletzen können. Der von ihr benutzte Vergleich wirkt so kalt und ist so schwer verständlich, dass er ihr noch schaden könnte.

Zentrale Botschaften: Mit Blick auf die rasante Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft spricht die Generalsekretärin nicht nur über die große Dynamik und die Sorge, dass die Politik zu langsam agiere. Sie will vor allem eine Antwort auf die Frage geben, ob Digitalisierung wirklich in jedem Einzelfall immer gut ist. "Digitalisierung ist kein Selbstzweck", mahnt Kramp-Karrenbauer. "Sie ist gut, wenn sie was für die Menschen bringt." Sie erzählt, dass sie junge Internet-Unternehmer immer wieder mit der Frage nerve, was ihre Geschäftsidee denn nun leiste. Kramp-Karrenbauer will bewusst machen, dass mit dem vermeintlich großen Fortschritt auch Unnützes einhergeht.

Ein zweiter zentraler Punkt, den die CDU-Politikerin hervorhebt: Sie mahnt die Partei eindrücklich, sich mehr für Frauen zu öffnen. Andernfalls würden sich Wählerinnen abwenden. 50 Prozent der Bevölkerung seien Frauen, trotzdem stellten Frauen nur 26 Prozent der Mitglieder und 20 Prozent der Unions-Abgeordneten im Bundestag. "Hier muss was passieren, sonst bekommen wir das zu spüren."

Und schließlich wirbt Kramp-Karrenbauer noch einmal für ihren Vorschlag, ein verpflichtendes Dienstjahr für alle einzuführen. Dies sei nötig, "damit deutlich wird, dass ein Staatsbürger nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten hat".

Was hat gefehlt? Eine klare und leidenschaftliche Aussage zur Zukunft Europas. Natürlich sagt auch Kramp-Karrenbauer, dass die EU und die Einigkeit Europas wichtig seien. Aber dass das auch was kostet, dass das einen "großen Beitrag" (Merz) abverlangen wird, ist bei Kramp-Karrenbauer nicht vorgekommen.

Mit welchem Gefühl wird sie nach Hause gehen? Dass sie eine gute Chance hat, aber noch lange nicht als Siegerin vom Platz geht.

Friedrich Merz

Gesamteindruck: Der ehemalige Fraktionschef ist vor allem am Anfang nicht so locker und leicht und lässig, wie er gerne sein würde. Außerdem gibt er sich viel Mühe, nicht wie ein Gegner der Kanzlerin zu erscheinen. Das führt zu dem fast schon absurden Eindruck, dass er unter den dreien der vehementeste Verteidiger von Angela Merkel geworden ist. Gleichwohl spürt man, dass er den innerparteilichen Wettbewerb genießt - und sich tatsächlich gerne in die Parteiarbeit stürzen würde. Besonders spektakuläre Vorschläge gibt's bislang aber auch von ihm nicht.

Bester Moment: Kommt, als Merz davor warnt, dem Publikum in Lübeck im Überschwang alles gleichzeitig zu versprechen: eine Abschaffung des Soli, eine massive Stärkung der Bundeswehr, und dazu auch noch ein Mehr für Schulen, Digitalisierung, Investition. "Da müssen wir jetzt mal die Kirche im Dorf lassen."

Merz' Versuch besonderer Ehrlichkeit wird zum Eigentor

Schwerster Augenblick: Überfällt ihn gleich am Anfang. Quasi zur Begrüßung möchte Merz hervorheben, wie schön es für ihn sei, wieder mitzumachen. Doch weil einige im Publikum in diesem Moment mitleidig raunen, wird der Versuch besonderer Ehrlichkeit zum Eigentor. Ohne es zu bezwecken, erinnert Merz selbst an die vielleicht größte Achillesferse seiner Kandidatur: dass er so lange weg war.

Zentrale Botschaften: Merz will zuallererst eines: die AfD klein bekommen. Mehr als einmal betont er das, verbunden mit der immer wiederkehrenden These, dass es mit einem Neustart und einer neuen Diskussionskultur in der CDU gelingen werde, mehr Menschen für die Partei zu mobilisieren, die CDU so wieder auf bundesweit 40 Prozent zu hieven und die AfD auf diesem Weg zu halbieren. "Ich bin fest entschlossen", so Merz an den Saal gerichtet, "ich bin fest davon überzeugt, das mit Ihnen auf den Weg zu bringen."

CDU-Regionalkonferenz in L¸beck

Eine Gefahr gibt es im Rennen um den Parteivorsitz: Die drei Kandidaten könnten sich mit fortlaufendem Wettbewerb zu ähnlich werden.

(Foto: dpa)

Eng damit verbunden ist seine Vorstellung, wie das angeschlagene Vertrauen in die Sicherheitsbehörden und den Rechtsstaat wieder gestärkt werden könnte. "Wir sind eine offene freiheitliche Gesellschaft", so der frühere Fraktionschef. "Es hat in der Bundesrepublik Deutschland niemand das Recht, eine eigene Rechtsordnung parallel zu der, die wir haben, zu entwickeln oder durchzusetzen."

Und schließlich äußert sich Merz zum Umgang mit Trump und der aktuellen amerikanischen Regierung. Amerikaner, so Merz, würden einen nur ernst nehmen, wenn man selbstbewusst auftrete. "Die Amerikaner verachten eine devote Haltung. Sie respektieren uns, wenn wir klar und deutlich unsere Position einnehmen." Merz will gerade mit der Außenpolitik punkten. Detaillierte Pläne hat er allerdings nicht in der Schublade.

Was hat gefehlt? Eine Antwort auf die Frage, wie er es schaffen will, die Partei tatsächlich weiblicher zu machen. Zur Einführung einer Quote sagt Merz, es sei für die eigene Glaubwürdigkeit wichtig, in dieser Frage nicht nur auf die Aufsichtsräte in Unternehmen zu zeigen, sondern erst mal in der öffentlichen Verwaltung anzufangen - sei es in Behörden oder öffentlichen Unternehmen. Ob Merz damit das Versprechen abgibt, genau das im Falle eines Erfolges anzustreben und durchzusetzen, bleibt unbeantwortet. Offen ausgesprochen hat er das so jedenfalls nicht.

Mit welchem Gefühl wird er nach Hause gehen? Dass er mittendrin ist im Wettbewerb, dass er eine reelle Chance hat und dass er spätestens mit den Regionalkonferenzen kein Außenstehender mehr ist. Gewonnen aber hat er das Rennen noch lange nicht. Und wenn er gedacht haben sollte, dass Spahn irgendwann aufgibt, dann war dieser Abend eine Enttäuschung für ihn.

Jens Spahn

Gesamteindruck: Spahn tritt selbstbewusst und kämpferisch auf und läuft dabei manchmal Gefahr, ein bisschen zu laut, ein bisschen zu besserwisserisch und ein bisschen zu väterlich zu erscheinen. So zufrieden er mit sich selbst gewesen sein dürfte - so spannend dürfte es werden, ob er sich an der Stelle überhaupt ändern kann.

Bester Moment: Ist der, in dem er persönlich wird. Spahn erzählt, wie ihn seine Mutter am vergangenen Wochenende gefragt habe, warum er das mit dem Wettbewerb überhaupt auf sich nehme. Daraufhin habe er seine Mutter an die Zeit vor zwanzig Jahren erinnert. Eine Zeit, in der das Land bei Weitem nicht so liberal und frei und tolerant gewesen sei, auch und gerade für einen Schwulen. Um diese Freiheit und Toleranz zu erkämpfen und zu verteidigen, so habe er es seiner Mutter erklärt, sei er in die Politik gegangen.

Schwerster Augenblick: Als er über einen "klugen Kurs" in der Umweltpolitik spricht - und im nächsten Atemzug von Öko-Diktatoren in anderen Parteien redet. Das klingt besonders entschlossen und trotzdem hebt kaum einer die Hand zum Applaus, als Spahn diese Vokabel raushaut. Obwohl hier mancher auf klare Worte wartet - solche Begriffe passen dann doch nicht zu den Christdemokraten.

Zentrale Botschaften: Spahn will beim Thema Digitalisierung nicht angstbesetzt agieren, sondern mutig. Deshalb kontert er Kramp-Karrenbauers Bedenken beim autonomen Fahren mit einem trockenen: "Es wird sowieso kommen." Es sei falsch, allzu viel zu zweifeln - und umso wichtiger, sich endlich an die Spitze der Bewegung zu stellen. "Wir müssen da ganz vorne sein, wir müssen Digitalweltmeister sein, sonst können wir in zehn Jahren unsere Renten nicht mehr bezahlen."

In diesem Zusammenhang erinnert er daran, dass zuletzt 1,6 Millionen Arbeitsplätze durch Digitalisierungsprozesse weggefallen seien, gleichzeitig aber 2,3 Millionen Jobs neu geschaffen wurden. Das sei Grund für Optimismus - bedeute aber nicht, dass man die Ängste der Betroffenen ignorieren dürfe. Es brauche vielmehr neue Ansätze, um beispielsweise die Bundesagentur für Arbeit für eine frühzeitige Qualifizierung einzusetzen.

Und dann sind da noch die geplanten Steuersenkungen. Spahn erinnert nicht nur daran, dass das im Grundsatz alle auf dem Podium ankündigen. Er betont für sich alleine, dass er den Solidaritätszuschlag gänzlich streichen und die Wohnungsnot unter anderem mit einer Streichung der Grunderwerbsteuer bekämpfen möchte - jedenfalls bei der ersten eigenen Wohnung, die sich eine Familie kauft.

Was hat gefehlt? Ein Satz der Nachdenklichkeit und der Bescheidenheit. Wer so selbstbewusst auftritt, braucht zwischendurch ein Gegengewicht, sonst wirkt er nicht mehr klug und reflektiert, sondern besserwisserisch.

Mit welchem Gefühl wird er nach Hause gehen? Dass er eine Chance hat. Die ist nicht riesig, aber groß genug, um ihn wie einen wirklichen Kandidaten erscheinen zu lassen. Nach allen Umfragen musste er um diesen Status fürchten. Nach Lübeck ist das fürs Erste Geschichte.

Ausblick

Die CDU kann erst mal froh sein. Die Entscheidung von Angela Merkel, den Parteivorsitz abzugeben, hat sie nicht ins Chaos gestürzt und auch keinen Streit ausgelöst. Sondern der Partei im Kampf um die Nachfolge neue Leidenschaft verliehen. Das ist deutlich mehr, als die meisten noch vor wenigen Wochen für möglich hielten.

Allerdings steckt in dem Wettstreit, so wie er in Lübeck gelaufen ist, eine Gefahr: die Gefahr, dass sich die drei zu einig sind und anfängliche Konturen verschwimmen. Das könnte das Rennen um den CDU-Vorsitz alsbald langweilig erscheinen lassen. Und es könnte auf dem Parteitag einen überzeugenden Sieg fast unmöglich machen.

Eine Siegerin freilich gibt es jetzt schon. Und die heißt Angela Merkel. Nach den verheerenden Verlusten der CDU in Hessen am 28. Oktober musste sie noch ein großes Scherbengericht über ihre Politik der vergangenen zwölf Monate befürchten. Lübeck hat nun gezeigt, dass das keiner der drei Kandidaten anstrebt. Der Kanzlerin dürfte das an diesem Abend besonders gefallen haben.

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