Das Zitat kann deutlicher kaum sein. "Hör mal, Du Hosenscheißer, Du Rotzlöffel, geh erst einmal 45 Jahre Deiner Arbeit nach, um dann evtl. Deine große Schnauze aufmachen zu können. Wir Rentner haben Deutschland mit den Händen wieder aufgebaut und Du hast Dich mit Deiner großen Fresse nur ins gemachte Nest gesetzt."
Das Zitat stammt aus einem Brief. Jemand lässt seiner Wut freien Lauf, mit Aggressionen und unflätigen persönlichen Angriffen. Volkszorn könnte man so etwas nennen.
Für Jens Spahn gehört ein solcher Brief zum Alltag. Seit zwei Wochen landen derlei Botschaften täglich zu Dutzenden auf seinem Schreibtisch. Spahns Schreibtisch steht in Berlin, der 27-Jährige ist Bundestagsabgeordneter, seine Partei ist die CDU.
Der junge Abgeordnete hat Mitte März auf seine ganze eigene Weise Furore gemacht. Als die große Koalition für viele überraschend die Rentenreform aussetzte und eine größere Rentenerhöhung beschloss, wurde Spahn auf dem falschen Fuß erwischt. Damit hatte er nicht gerechnet - widersprach die Entscheidung aus seiner Sicht doch allem, was bisher von seiner Partei angekündigt worden war.
"Ein Dankeschön wird es dafür nicht geben"
Also wandte er sich voller Überzeugung dagegen. In mehreren Zeitungsinterviews erklärte Spahn, er sehe keinen Grund, der Sache zuzustimmen. Seine Begründung: Mühsam sei die Rentenreform beschlossen worden, nötig sei jetzt, diesen Beschluss nicht wieder aufzuweichen. Nur so werde das Rentensystem auf Dauer einigermaßen stabil bleiben. Zumal da der so genannte Rentenfaktor gerade erst zu wirken begonnen habe: "Ich sehe nicht ein, warum man das ausgerechnet jetzt wieder beenden soll."
Und mehr noch: Spahn bezweifelte sogar, dass die große Mehrheit der Rentner den Beschluss politisch belohnen würde. Seine Einschätzung am 14. März: "Ob sie die Rente um 0,5 oder um ein Prozent erhöhen - ein Dankeschön wird es dafür nicht geben." Ursache seines Zweifels waren Begegnungen mit Älteren, zumeist auf eigenen Parteiveranstaltungen. Die meisten Rentner, so Spahns Interpretation des Erlebten, wären erst mit deutlich mehr Geld wirklich zufrieden. Deshalb warnte er seine CDU davor, nicht gegen die Linkspartei in einen Wettbewerb sozialer Wohltaten einzutreten.
Die Reaktion auf Spahns Worte ließ nicht lange auf sich warten. Über den CDU-Abgeordneten brach eine Welle des Protests herein. Zahlreiche Rentner griffen ihn mit einem Furor an, wie er es so noch nicht erlebt hatte. In Anrufen, in getippten oder von Hand geschriebenen Briefen, in Emails sowieso. "Wer war eigentlich so dumm, Sie für den Bundestag zu nominieren", heißt es an einer Stelle. Ein anderer aufgebrachter Rentner schreibt an Spahn: "Sie sollten sich als Christ, was ich annehme, wenn sie in der Partei mit dem "C" sind, schämen!"
Auch Spahns Mitarbeiter wurden nicht verschont. Sicher, berichten sie, es gebe auch nachdenklich-kritische, hie und da sogar aufmunternde Anrufe. Daneben aber gebe es viele Attacken. "Wissen Sie eigentlich, dass Sie ein Arschloch sind", hieß es neulich am anderen Ende der Leitung. "Von Ihnen lasse ich mir gar nichts sagen, Sie Schmarotzer." Volkes Stimme kann hart sein, gerade wenn sie sich gegen Volkes Vertreter richtet.
Kein Generationenkrieger
Lachen kann Spahn darüber noch nicht. "So was muss man erstmal verdauen." Aber jetzt, da der Sturm langsam nachlässt, sitzt er wieder ruhiger in seinem Büro. Die Pinnwand zieren viele Fotos, dazu Spaßkarten mit Sprüchen wie "Arbeitszeit ist Leistungszeit" oder "Die Partei hat immer recht". Auf seinem Dienstfernseher thront ein kleiner weißer Loriot, an der Tür klebt eine Karikatur von Karl Marx, darunter die Worte: "Tut mir leid Jungs, war halt nur so 'ne Idee von mir..."
Nur so 'ne Idee sind Spahns Äußerungen nicht gewesen. "Ich bin doch kein Generationenkrieger, ich will keine künstlichen Konflikte provozieren." Er wolle im Gegenteil ehrlich ausspreche, was er denke. "Ich mache genau das, was man sonst von uns Politikern fordert - ich sage, was ich denke, ehrlich und offen. Und was passiert: Sie hauen auf einen ein."
Als die Wutwelle ihn das erste Mal erwischte, sei er vor Schreck mental "in die Knie gegangen". Zu unerwartet, zu brutal habe die Kritik ihn getroffen. Einknicken aber will Jens Spahn nicht und aufgeben auch nicht. "Was ich gesagt habe, ist nicht falsch gewesen." Allerdings will er den guten Rat beherzigen, den ihm sein Vater gegeben hat: "Wenn Du vorher nur sagen würdest: 'Ich habe großes Verständnis für die Sorgen der Rentner, aber...', dann würden Dich viel mehr Menschen verstehen."
"Undankbare Rentner"
Vaters Worte wirken, ein bisschen konzilianter möchte Spahn schon werden. Zugleich aber erinnert er daran, wie schnell Politiker verkürzt und verzerrt wiedergegeben würden. In seinen Stellungnahmen habe er stets gesagt, die Rentenerhöhung würde "uns politisch eh nicht gedankt werden". Gemacht worden sei daraus ein: Die Rentner seien ohnehin undankbar. "Das hat die Angriffe noch schärfer werden lassen."
Spahn sitzt seit 2002 im Bundestag, zweimal hat er seinen Wahlkreis direkt gewonnen. Er hat Abitur gemacht, danach eine Banklehre und ein Jahr im Job absolviert. Mittlerweile studiert er an der Fernuni Hagen Politik und Jura.
Warum ist er in die Politik gegangen? "Mit 14, 15 sagte mir mein Bauchgefühl: Du willst Politiker werden." Also sei er in die Junge Union, später in die CDU eingetreten. "Und da haben mich alle mit offenen Armen aufgenommen." Solange sich daran nichts ändert, wird er weitermachen. Auch harsche Briefe können das nicht ändern. Briefe, adressiert wie dieser: "CDU-Schmarotzer Spahn, Platz der Republik, Berlin."