Süddeutsche Zeitung

CDU-Parteitag:Neuanfang unter Schmerzen

  • Erst nach anderthalbstündiger Rede macht Annegret Kramp-Karrenbauer die Debatten um ihre Person zum Thema auf dem CDU-Bundesparteitag.
  • Friedrich Merz gibt sich loyal und sagt, Beschlüsse werde es erst in einem Jahr geben.
  • Angela Merkel, die vor genau 14 Jahren erstmals zur Kanzlerin gewählt wurde, blickt auf das zurück, was die Regierungen unter ihr geleistet haben.

Von Stefan Braun, Leipzig

Die entscheidende Passage kommt nach 85 Minuten. Fast anderthalb Stunden hat Annegret Kramp-Karrenbauer jetzt geredet. Sie hat sich gemüht und quasi jedes Thema angesprochen, von der Schule über die Bundeswehr und die Grundrente bis zur Digitalisierung. Nur eine Frage, die hat sie bis dahin offen gelassen: Wie sie ihre eigene Lage bewertet. Eine Lage, die ziemlich schlecht geworden ist, mit Umfragen, die für die CDU schon alles andere als bequem sind und für ihre Parteivorsitzende noch unbequemer.

Und dann sagt Annegret Kramp-Karrenbauer: "Ich mache euch nichts vor. Aber wenn Ihr der Meinung seid, dass der Weg, den ich vorschlage, nicht der richtige ist, dann lasst uns das heute ansprechen und hier heute beenden." Man konnte es nicht wissen, und die allermeisten hier haben es wahrscheinlich auch nicht mehr erwartet. Aber nach anderthalb Stunden sagt AKK den eigenen Leuten: Hier bin ich und kann nicht anders, und wenn ihr das nicht haben wollt, dann müssen wir das heute klären.

Diese Botschaft, dieses "All In" aus dem Pokerspiel, nutzt sie nicht zum ersten Mal. Genau das Gleiche machte vor einem Jahr den großen Unterschied, als sie alles in die Waagschale warf und ihr Kontrahent Friedrich Merz im Vergleich dazu zögerlich wirkte. Zack, setzt sie das in Leipzig noch einmal ein. Es ist eine donnernde Botschaft am Ende einer langen Rede.

Zuvor ist es über weite Strecken eher mühsam, auch weil der Applaus nicht selten ein bisschen mau ausfällt. Kramp-Karrenbauer zählt so gut wie jedes Politikfeld auf, sie wirbt für die Grundrente, sie verteidigt ihren Einsatz für mehr Verteidigungsausgaben, sie will über "die Chancen von morgen" reden und will die Digitalisierung gestalten. Sie spricht über Quantencomputer und Künstliche Intelligenz und dass sie bei all diesen Bereichen Deutschland nach vorne bringen möchte. Daran ist wenig falsch, aber vieles eher unkonkret. Umso schärfer wirkt das Ende.

"Diese Ära wird enden"

Nur an einer Stelle noch wird sie sehr konkret: Beim nahenden Abschied von Angela Merkel. Als Kramp-Karrenbauer die Kanzlerin zu Beginn begrüßt, fängt der Beifall zwar langsam an, wird dann aber immer stabiler. Die Leute stehen auf, Merkel erhebt sich auch, aber nur für gefühlt eine Sekunde. Es ist viel Wehmut im Spiel beim langsamen Abschied. Kramp-Karrenbauer aber zieht später in ihrer Rede eine härtere Linie.

Sie sagt zwar, die vierzehn Jahre mit der Kanzlerin seien sehr gute Jahre gewesen. Auf diese Jahre "können wir alle miteinander stolz sein". Aus diesem Grund sei es taktischer Unsinn und keine erfolgreiche Wahlkampfstrategie, jetzt alles an diesen 14 Jahren schlecht zu machen. Dann aber fährt sie fort und schaut der Kanzlerin in die Augen. Ja, das sei eine Ära gewesen. Aber: "Diese Ära wird enden." Denn: "Wir dürfen nicht mehr nur der Reparaturbetrieb des Landes sein, wir müssen wieder zur Zukunftswerkstatt werden." Das ist nicht harsch gemeint und keineswegs so etwas wie eine Attacke. Aber es macht klar: Dieser Teil der Geschichte - er hat ein Ende. Freundlich und ehrlich.

Merkel will den Namen Merz nicht in den Mund nehmen

Nun wäre das nicht ganz so schwer, Merkel hat es ja selbst entschieden, wenn es da nicht auch noch Friedrich Merz und seine Attacken aus den letzten Wochen gegeben hätte. Sie richteten sich gegen niemanden so sehr wie gegen Merkel. Deshalb steht früh an diesem Morgen die Frage im Raum: Würde Merkel darauf reagieren? Gar ein paar Worte direkt an ihn richten? Am Ende tut sie das nicht, hält sich also lieber an ihre Strategie der letzten Jahrzehnte: Ignorieren ist besser als, ein einziges Wort zu sagen.

Falsch wäre es allerdings zu glauben, es hätte bei ihr gar nichts ausgelöst. In ihren zwölf Minuten Grußwort zeigt sich, dass die Kanzlerin sich schon rechtfertigen möchte. Sie will den Namen Merz nicht in den Mund nehmen, aber seinen Attacken doch etwas entgegensetzen. Und so redet Merkel nur kurz über den größten Jahrestag ihrer Karriere, weil sie auf den Tag hinaus vor 14 Jahren zum ersten Mal zur Kanzlerin gewählt wurde. Und zählt danach alles auf, was die große Koalition, aber auch alle anderen Regierungen unter ihrer Ägide aus ihrer Sicht geleistet habe.

Dabei erwähnt sie nicht nur die Beschlüsse bei Rente und Pflege, sie erinnert auch an die großen Krisen. Die Weltfinanzkrise und der Kampf um den Euro - und dazu die große Fähigkeit, nicht nur Ziele vorzugeben, sondern auch Kompromisse möglich zu machen. "Darum geht es heute, darum geht es auch in der Groko." Sie spricht über die Mobilfunkstrategie, über die Glasfaser-Strategie, über Strategien zur Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz. Keiner soll sagen, da sei nichts geleistet worden. Eines aber muss sie am Ende hinnehmen: dass der Beifall nicht mehr sehr groß ausfällt.

"Wir sind strukturell loyal zu unserer Vorsitzenden"

Als dann, nach Merkel, AKK und einigen Rednern tatsächlich Friedrich Merz auf die Bühne tritt, wird früh klar, dass er auf die ganz große Herausforderung gar nicht eingeht. Nein, dieser Parteitag werde gar nichts entscheiden. Die Beschlüsse, die für die Zukunft anstünden, müssten und würden alle in einem Jahr fallen. "Wir sind am Anfang des Prozesses." Inhaltlich, personell - Merz will den Druck auf sich selbst gleich am Anfang rausnehmen.

Dazu erinnert er gleich zu Beginn seines Auftritts an die heftige Kritik, die er vor wenigen Wochen an der Bundesregierung geübt habe. Dafür habe er Lob bekommen, aber auch Kritik. Und die Kritik, die ihn am meisten getroffen habe, sei der Vorwurf gewesen, die CDU werde jetzt wie die Sozialdemokraten. Das mag er nicht auf sich sitzen lassen. "Die SPD ist strukturell illoyal." Die CDU sei das nicht. "Wir sind strukturell loyal zu unserer Vorsitzenden." Soll wohl heißen: auch er werde loyal an ihrer Seite kämpfen.

Nicht überbordend, aber laut genug

Anschließend wirbt Merz dafür, mutig zu werden. Er wünscht sich, dass die Partei nicht mit Angst, sondern mit Leidenschaft und Optimismus die Fragen der Zukunft angeht. Ja, es gebe ein großes Problem mit dem Klima, niemand solle das leugnen. Aber die Antworten darauf dürften keine gegen die Technologie sein, gegen die Moderne. Und er sei, wenn das gewollt werde, mit dabei. Die Partei brauche das, sie müsse "auch mal streiten und es aushalten, dass wir unterschiedliche Meinungen haben". Aber wenn das gewollt werde, dann sei er dabei. Deshalb stehe er hier auf der Bühne. Der Applaus am Ende ist nicht überbordend, aber laut genug, um deutlich zu machen, dass viele Delegierte ihn gerne mit dabei hätten.

Und so bleibt am Ende trotz allerlei harscher Prognosen der ganz große Konflikt aus in Leipzig. Vielleicht liegt das am Ende dann doch an der gemeinsamen Verortung. Denn eines ist bei den Christdemokraten wie immer und wird auch in Zukunft wohl so bleiben. Das Wort, das über allem prangt, ist das gleiche wie seit Jahren: Mitte steht da in großen Lettern über der Bühne von Leipzig. Genauer noch: Deutschlands starke Mitte. Das ist das Motto dieses Parteitags - und wahrscheinlich dürften in dieser Frage alle gut 1000 Delegierten das gleiche denken: Das wollen sie sein; das wollen sie bleiben. Ob sie Angela Merkel oder Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz oder ganz anders heißen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4693801
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/aner
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.