Süddeutsche Zeitung

CDU:Mehr Opposition wagen

Beim Parteitag am Samstag soll Friedrich Merz zum neuen CDU-Chef gewählt werden. Der aktuelle Zustand der Partei sei "ernüchternd", findet er. Auch die Fraktion müsse einen neuen Modus finden.

Von Boris Herrmann und Robert Roßmann, Berlin

80 Prozent - an diesem Minimalziel wird man Friedrich Merz jetzt messen müssen. Am Samstag kommt die CDU zu einem digitalen Parteitag zusammen. Auf der Tagesordnung steht auch die Wahl des Vorsitzenden. Und auf die Frage, welches Ergebnis er sich dabei wünsche, sagt Merz der Süddeutschen Zeitung: "Eine Acht vorne wäre schön."

Bei einer Mitgliederbefragung hatten sich im Dezember 62,1 Prozent der CDU-Mitglieder, die sich beteiligt haben, für Merz als Parteichef ausgesprochen. Damals hatte er allerdings zwei Gegenkandidaten: den Außenpolitiker Norbert Röttgen und den früheren Kanzleramtsminister Helge Braun. Gewählt werden kann Merz aber nur von den 1001 Delegierten des anstehenden Parteitages, die ihr digitales Abstimmungsergebnis anschließend auch noch durch eine Briefwahl bestätigen müssen.

Auf dem Parteitag werden Röttgen und Braun nicht mehr antreten, die Wahl von Merz gilt deshalb als sicher. Es ist sein dritter Anlauf. Ende 2018 und Anfang 2021 waren seine Bewerbungen jeweils in Stichwahlen gescheitert, zunächst gegen Annegret Kramp-Karrenbauer, dann gegen Armin Laschet.

Offiziell wird die Amtszeit von Merz zwar erst nach der Auszählung des schriftlichen Wahlergebnisses am 31. Januar beginnen. Er hat aber bereits eine komplette Neuaufstellung der CDU-Führung auf den Weg gebracht. Sechs der sieben Spitzenpositionen sollen auf dem Parteitag neu besetzt werden: neben dem Vorsitz auch vier der fünf Stellvertreter-Posten sowie der Generalsekretär. Außerdem will Merz den Posten einer stellvertretenden Generalsekretärin schaffen. "Eine so fundamentale Veränderung an der Spitze der Partei hat es sehr lange nicht mehr gegeben, wenn es denn überhaupt so eine je gab", sagt Merz.

"Brutaler geht es fast nicht mehr"

Stellvertretende Parteivorsitzende sollen die Kieler Bildungsministerin Karin Prien, der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, der frühere Vorsitzende des Wirtschaftsflügels, Carsten Linnemann, sowie der baden-württembergische Umweltpolitiker Andreas Jung und Silvia Breher aus Niedersachsen werden. Breher ist damit die einzige aus der bisherigen Parteispitze, die im Amt bleiben soll. Als Generalssekretär hat Merz den früheren Berliner Gesundheitssenator Mario Czaja vorgesehen, dessen Stellvertreterin soll die Bundestagsabgeordnete Christina Stumpp werden.

Merz glaubt, dass es zu einem derart tiefgreifenden Umbau keine Alternative gibt. Den aktuellen Zustand seiner Partei bezeichnet er als "ernüchternd". Aus seiner Sicht war die Union nach 16-jähriger Regierungszeit auf die Bundestagswahl im September nicht richtig vorbereitet, das habe das Wahlergebnis endgültig bewiesen. "Wir haben nur noch 24,1 Prozent der Wähler und 19 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland erreicht, brutaler geht es fast nicht mehr", sagt Merz. Seine Partei sei bislang auch noch nicht richtig in der Opposition angekommen. "Die CDU ist emotional in einer Übergangsphase", so Merz.

Die CDU wurde im vergangenen Herbst zum dritten Mal in ihrer Geschichte in die Opposition geschickt. Merz ist einer der wenigen in der heutigen Unionsfraktion, die das bereits 1998 miterlebt hatten. Er sagt: "Das ist wichtig, weil ich einfach weiß, wie schwer der Hebel umzulegen ist." Vielen Kolleginnen und Kollegen der aktuellen Fraktion merke er dagegen an, dass sie immer noch "im Regierungsmodus" seien. "Das ist gar kein Vorwurf, sondern völlig normal. Aber manche sprechen im Plenum immer noch von 'wir müssen'. Wir müssen aber gar nichts mehr. Die müssen. Nämlich die in der Regierung", findet Merz.

Nächstes Ziel: der Fraktionsvorsitz

Seine Sprachkritik gegenüber Teilen der Fraktion ist - zumindest zu diesem Zeitpunkt - auch deshalb bemerkenswert, weil Merz ja nachgesagt wird, nach dem Partei- auch noch den Fraktionsvorsitz anzustreben. Dazu benötigt er die Unterstützung der Abgeordneten. Bisher will der amtierende Fraktionschef Ralph Brinkhaus nicht weichen. In der CDU wird deshalb befürchtet, dass es nach der Auseinandersetzung um die Kanzlerkandidatur schon wieder zu einer heftigen Auseinandersetzung kommen könnte. Mehrere Parteigranden forderten Merz und Brinkhaus deshalb zu einer einvernehmlichen Lösung auf. Sie befürchten, dass eine Auseinandersetzung um den Fraktionsvorsitz die Chancen der CDU bei den anstehenden Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen mindern könnte. In allen drei Ländern regieren derzeit Christdemokraten.

"Wir wollen in allen drei Landtagswahlen die stärkste Partei bleiben", sagt Merz. Dann hätte man "das Wahlziel erreicht". Dann könne "es zwar immer noch passieren, dass wir nicht mehr weiter regieren, aber dann lag es nicht an uns". Die Frage sei jetzt: "Haben wir ausreichend Kraft, dieses Ziel zu erreichen?"

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