Parteitag der CDU:Vermächtnis für die Nachfolger

  • An ihrem letzten Tag als CDU-Vorsitzende führt Angela Merkel einen leisen Kampf gegen die feuchten Augen. Auch ihre selbstironische Note blitzt durch.
  • Für ihre Rede bekommt sie großen Applaus. Sie formuliert der Partei ein Vermächtnis: "Wir Christdemokraten grenzen uns ab, aber wir grenzen niemals aus."
  • Würde man nicht wissen, dass das eine Abschiedsrede ist, dann hätte man sie für eine Bewerbung halten können.

Von Stefan Braun, Hamburg

Sie hat den Augenblick gefürchtet. Den Moment, als alles vorbei ist. Sie hat die Partei noch einmal gelobt und umschmeichelt. Sie hat zum Abschied "Es war mir eine Ehre" in den Saal gerufen. Sie ist zum Schluss noch einmal ungewöhnlich persönlich geworden. Und jetzt?

Jetzt steht die 64-Jährige vor tausend Delegierten und mehr als tausend Besuchern - und spürt mit voller Wucht, dass 18 Jahre Vorsitz in diesem Moment ihr Ende finden. Es dauert keine Sekunde - und rauschender Applaus breitet sich aus in der Messehalle. Das macht es ihr leichter. Aber den Schmerz spürt sie trotzdem.

Merkel ist nicht berühmt dafür geworden, sich von Gefühlen leiten zu lassen. Aber dass da manchmal etwas in ihr tobt, konnte man hier und da in ihrem Gesicht ablesen. Jetzt steht da ein leises Schmunzeln und ein noch leiserer Kampf gegen die feuchten Augen. Merkel hat am Vorabend noch mal erzählt, wie fremd es ihr ist, wenn sich Männer von ihrem Bauch und ihren Gefühlen leiten lassen. Und doch muss auch sie jetzt gegen Emotionen kämpfen.

Also bleibt sie nicht stehen, sondern eilt schnurstracks zu ihrem Platz zurück. Bloß nicht ganz vorne alleine stehen bleiben. Es könnte ja sein, dass die Kameras doch noch eine Träne einfangen.

Dass es so kommen würde, konnte sie schon vorher spüren. Noch kein einziges Wort hatte sie am Morgen gesprochen, als sie kurz nach zehn den Parteitag eröffnen wollte - und schon gab es stehenden Applaus. Was muss das für ein Gefühl sein, wenn man kommt, um Platz zu machen. Immer hatte sich Merkel vorgenommen, in Würde Abschied zu nehmen. In Hamburg zeigt sich: Das ist ihr gelungen.

Allerdings gibt es an diesem Tag auch leise Momente. Merkel nämlich hat sich entschieden, persönlich zu werden. Nicht gegen andere, nein, damit hätte sie gegen ihre Grundsätze verstoßen. Aber über sich selbst spricht sie mehr als sie es meistens getan hat. "Wir haben uns wenig geschont", sagt sie zu Beginn ihrer Rede. "Wir haben uns viel zugemutet." Und fügt dann lächelnd dazu: "Ich euch auf alle Fälle, aber ehrlich gesagt manchmal auch ihr mir."

Was sie damit meint, lässt sie nicht im Unklaren. Dazu erinnert sie an das Motto jenes Parteitags im April 2000, auf dem sie zum ersten Mal gewählt wurde. "Zur Sache" - das sei das Motto gewesen. "Typisch Merkel" sei das gewesen. "Knochentrocken."

Im Saal lächeln viele; die meisten kennen Merkels selbstironische Note. Dazu aber erinnert sie daran, um was es damals gegangen sei. Sicher, heute gebe es viele große Herausforderungen - im Land selbst mit seinen Spaltungen und Polarisierungen, aber auch draußen in der Welt mit einer unglaublich dynamischen Globalisierung. Und doch, den Punkt will Merkel machen, sei die Lage im Jahr 2000 für die CDU gefährlicher gewesen. "Eine Schicksalsstunde", so die scheidende Parteichefin, "haben wir vor 18 Jahren erlebt."

Es ist der Punkt, den sie an diesem Tag unbedingt machen möchte. Soll bloß hinterher kein Friedrich Merz oder sonst einer kommen und die Verhältnisse zwischen damals und heute durcheinanderbringen. "Wir haben uns nicht kirre machen lassen, wir haben auf unsere Stärken vertraut - und wir haben es allen gezeigt. " Das soll den Leuten im Gedächtnis bleiben.

Gleichzeitig appelliert Merkel an die Delegierten, bei allem bescheiden, menschlich und demütig zu bleiben. Dass die CDU seit Gründung der Bundesrepublik 50 von 70 Jahren den Kanzler stellen durfte, sei "kein Anlass für Stolz", sondern "Anlass für Demut".

Merkels Vermächtnis

Außerdem dürfe die CDU bei all den Herausforderungen, die aktuell auf dem Land und seiner Regierung lasten, "nicht in die Vergangenheit sehen, sondern müsse sich der Zukunft widmen." Und dazu gehöre, sich immer wieder der inneren Werte der CDU zu vergewissern.

Was Merkel damit meint, lässt sie nicht offen, sondern formuliert es, als wolle sie der Partei schon ihr Vermächtnis hinterlassen. "Wir Christdemokraten grenzen uns ab, aber wir grenzen niemals aus", sagt sie unter großem Beifall. "Wir streiten, aber niemals hetzen wir oder machen andere Menschen nieder."

Man kann das als kleine Merkel'sche Anleitung für alle werten, die ihr nachfolgen werden. Man kann es aber auch als Warnung lesen. So, wie Merkel an einer einzigen Stelle in die Nachfolgedebatte eingreift, auch wenn sie das nur indirekt tut.

Sie erinnert nämlich daran, wie im Frühjahr 2017 gleich drei Landesverbände überraschende Erfolge einfuhren, und das jedes Mal nicht mit einer konservativen, sondern einer betont weltoffen-liberalen Botschaft. Der Sieg im Saarland, der Erfolg in Schleswig-Holstein, die Überraschung in Nordrhein-Westfalen - man sieht ihr in diesem einen Moment an, wie sehr sie sich darüber freute. Und wie sehr sie einen anderen Kurs ablehnt. Namen fallen keine, Präferenzen muss und kann man aber zwischen jeder einzelnen Zeile lesen.

Und so bekommen die Delegierten an diesem 7. Dezember tatsächlich eine Überraschung geboten. Würde man nicht wissen, dass das eine Abschiedsrede ist, dann hätte man sie für eine Bewerbung halten können. So wie man die Kanzlerin seit dem 29. Oktober immer wieder erleben kann. In einer Berliner Synagoge, im Straßburger Europaparlament und auch im Bundestag hält Merkel plötzlich Reden, die sich viele früher von ihr gewünscht hätten.

Und so bleibt an diesem Freitag in Hamburg nur eine Frage: Warum macht sie das erst jetzt? Hat es mit der Last zu tun, die jetzt weg ist? Nur Angela Merkel kann das wissen, und sie wird es für sich behalten.

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