„Wieder nach vorne“ heißt ein Wahlkampfslogan von Friedrich Merz. Und natürlich gab es diesen Titel schon, bevor der Unionskanzlerkandidat das politische Berlin und die halbe Republik in Aufruhr versetzte, weil er erstmals mit den Stimmen der AfD im Deutschen Bundestag eine Mehrheit für einen Antrag herbeigeführt hatte. Am Donnerstagabend soll es in einer mäßig besuchten Veranstaltungshalle auf der Messe in Dresden „wieder nach vorne“ gehen. Merz wiederholt dort seine Argumente der vergangenen 48 Stunden. Kurzfassung: Keine Zusammenarbeit mit der AfD, aber er könne nichts dafür, wenn SPD und Grüne seinen Vorschlägen für einen dringend notwendigen Kurswechsel in der Migrationspolitik nicht zustimmten.
Neben ihm steht sein Parteifreund und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der die AfD-Debatte schon ein paar Jahre länger führt. Gezwungenermaßen. Kretschmer hat in den vergangenen Jahren fast mantraartig wiederholt, dass er keine Zusammenarbeit mit der AfD eingehen werde, auch wenn das in seinem Landesverband einige anders sehen. Und die Grundlage dafür wird für Kretschmer nicht leichter. Die AfD ist der CDU in Sachsen bei der Landtagswahl bis auf 1,3 Prozentpunkte auf die Pelle gerückt, im Landtag hat die Rechtsaußen-Partei nur einen Sitz weniger als die CDU. Zur letzten Bundestagswahl lagen die Christdemokraten in Sachsen sogar schon 7,4 Prozentpunkte hinter der AfD. Dass sie das bis Ende Februar noch mal drehen können, erwarten in der sächsischen CDU nicht mal die größten Optimisten.
„Eine ganz böse Art“
Doch in der Sache sieht es Kretschmer wie Merz: Ein richtiges Argument falle durch Beifall der Falschen nicht vom Tisch. Kretschmers Empörung richtet sich auch an diesem Abend nicht gegen die AfD, sondern gegen die Empörung von Rot-Grün. „Grüne und SPD – kriegt euch wieder ein, ihr spaltet dieses Land“, sagt er und wirft der Bundesregierung Versagen in der Energiepolitik, der Wirtschaftspolitik und der Migrationspolitik vor. Merz habe kluge Vorschläge gemacht, es sei richtig gewesen, darüber abzustimmen, „denn wir wollen einen Politikwechsel bei diesem Thema“.
Vergleiche mit 1933 lasse man sich schon deshalb nicht gefallen, weil es „eine ganz böse Art“ sei, das Land zu spalten. „Kommt wieder zur Vernunft. Lasst uns gemeinsam für dieses Land arbeiten“, fügt er noch hinzu. Kretschmers Parteifreund und Innenminister Armin Schuster sieht gar schon lange eine „stille Allianz aus Rot-Grün und AfD“ gegen die Union am Werk und fordert auf dem Netzwerk X, „diese 2-Fronten-Lage endgültig zu bereinigen!“. Soll heißen: Die anderen müssen vernünftig werden, nicht die Christdemokraten.
Die sächsische SPD sieht das naturgemäß etwas anders. „Der deutsche Konservatismus droht das zweite Mal nach 1933, historisch zu versagen“, hat ihr Partei- und Fraktionschef Henning Homann nach der Abstimmung am Mittwoch erklärt. SPD und CDU bilden in Sachsen zusammen eine Minderheitsregierung, die gerade das Kunststück zu vollbringen hat, harte Einschnitte im Haushalt durchzusetzen und dafür eine Mehrheit im Parlament zu finden – jenseits der AfD. Dafür hat sie einen Konsultationsmechanismus ersonnen, der die Opposition frühzeitig einbeziehen und ihr eigene Vorschläge ermöglichen soll. Die AfD hat als größte Oppositionsfraktion bereits abgelehnt und spottet über „Demokratiesimulation“. Grünen, Linken und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gehen die Vorschläge wiederum nicht weit genug, schwarz-rote Gesetzesvorhaben einfach abnicken will niemand. Wie dieses Dilemma zu lösen sein wird, keiner weiß es.
Blockademacht für AfD in Thüringen
In Thüringen ist die Lage ähnlich verzwickt. Da regiert die CDU seit Dezember gemeinsam mit SPD und BSW, hat allerdings auch keine Mehrheit. Will sie Gesetze ohne die rechtsextreme AfD durch den Landtag bringen, braucht sie Stimmen aus der Linkspartei. Mit der ist ein monatliches Gesprächsformat vereinbart – das war die Bedingung, um Mario Voigt mit Stimmen der Linken zum Ministerpräsidenten zu wählen. Doch die AfD ist mit Abstand die stärkste Fraktion im Landtag und lässt sich nicht mehr komplett draußen halten. Im Koalitionsvertrag steht deshalb: „Es gibt keine Zusammenarbeit mit der AfD, Gespräche zu notwendigen parlamentarischen Verfahren und Entscheidungen sind aufgrund der Sperrminorität zu führen.“
Was dieser Satz in der Praxis heißt, konnte man am Donnerstag beobachten. Auf der Tagesordnung stehen die Wahlvorschläge für den Richter- und den Staatsanwaltswahlausschuss, alle Kandidaten müssen mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden. Das heißt: Ohne Zustimmung der AfD können sich diese Ausschüsse nicht konstituieren. Als einziger Kandidat bekommt der AfD-Mann die nötigen Stimmen, alle anderen fallen durch. Die CDU sagt hinterher, sie habe ihre Stimmen beigetragen, doch die AfD habe keinerlei Interesse an einer funktionierenden Demokratie. Vorerst können in Thüringen keine neuen Richter und Staatsanwälte berufen werden.
Vor anderthalb Jahren, die CDU war damals in der Opposition, setzte sie mit den Stimmen von AfD und FDP einen Antrag zur Senkung der Grunderwerbsteuer durch. Die anschließende Debatte verlief ähnlich wie die aktuelle. Große Empörung bei SPD, Grünen und Linken – demonstrative Gelassenheit bei der CDU. „Wir lassen die AfD doch nicht entscheiden, welche Anträge wir einbringen oder nicht“, sagte Voigt damals. Voigts Nachfolger im Fraktionsvorsitz, Andreas Bühl, sieht das heute mit Blick auf Merz genauso: Weil eine richtige Sache nicht falsch werde durch die Zustimmung von Rechtsaußen, „haben wir in Thüringen in der letzten Legislatur auch Dinge eingebracht, die wir für richtig gehalten haben“.