UN-Migrationspakt:Der explosive Vorschlag des Jens Spahn

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  • Jens Spahn will auf dem CDU-Parteitag in Hamburg Anfang Dezember über die deutsche Haltung zum Migrationspakt abstimmen lassen.
  • Er erhält dafür vereinzelt Unterstützung, während Kritiker argwöhnen, er wolle sich bloß im Rennen um den Parteivorsitz profilieren.
  • Kanzlerin Merkel wies die Kritik am Migrationspakt bereits Ende vergangener Woche harsch zurück: "Da werden Lügen in die Welt gesetzt."

Von Nico Fried

Carsten Linnemann hat's derzeit schwer. Der 41-jährige Paderborner ist Vizevorsitzender der Unions-Fraktion und Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung (MIT). Sie gilt als die Vereinigung in der Partei, die von der Kandidatur des einstigen Fraktionschefs Friedrich Merz wohl am meisten enthusiasmiert ist. Zwar hat sich Linnemann öffentlich nicht zu Merz bekannt, aber der MIT-Bundesvorstand stellte sich am Montag mehrheitlich hinter Merz. Und das ist blöd für einen alten Kumpel Linnemanns: Jens Spahn.

Der Gesundheitsminister hat am Wochenende gefordert, auf dem CDU-Parteitag über die deutsche Haltung zum Migrationspakt der Vereinten Nationen abstimmen zu lassen. Das empfand Linnemann möglicherweise als eine gute Gelegenheit, dem Kollegen auch mal was Gutes zu tun. Jedenfalls stellte er sich am Montag öffentlich hinter die Forderung Spahns.

Die Vermutung, dass es dabei vor allem um eine politische Solidaritätsbekundung ging, liegt nahe, wenn man Linnemanns Interview im RBB nachhört. Irgendwie ist ihm der Migrationspakt zu positiv, wobei er nicht sagen will, dass Migration etwas Negatives sei, jedenfalls solle man nicht blauäugig damit umgehen. Es gab schon profundere Argumente gegen den Pakt.

Nur Wahltaktik?

Auffallend ist, dass auch Spahn nicht wirklich erkennen lässt, ob er den Pakt nun eigentlich befürwortet oder ablehnt. Stattdessen macht er sich zum Anwalt aller wie auch immer Interessierten: Die Fragen der Bürger "gehören auf den Tisch und beantwortet, sonst holt uns das politisch schnell ein", sagte er der Bild am Sonntag. In der Unionsfraktion sei intensiv über den Pakt diskutiert worden. "Das sollten wir genauso offen auf dem CDU-Parteitag tun und das weitere Vorgehen abstimmen." Fehlende Transparenz schüre den Verdacht, man habe etwas zu verbergen.

Richtig ist, dass die Fraktion vor zwei Wochen drei Stunden über den Pakt sprach, ohne letztlich darüber abzustimmen. Spahns Verweis auf diese Debatte wird von anderen CDU-Prominenten mit Verwunderung kommentiert. "Es gab eine ganz breite Mehrheit, dass wir uns hier von populistischen Kräften nicht ins Bockshorn jagen lassen", sagt Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Er habe zudem nicht den Eindruck gehabt, dass sich Spahn in der Fraktion "in der Weise" geäußert habe wie jetzt.

Unter führenden Abgeordneten ist - wenig überraschend - die Vermutung zu hören, dass Spahn seine Kandidatur für den CDU-Vorsitz mit einem mobilisierenden Thema aufpeppen wolle. Das Versprechen, die Partei künftig stärker einzubinden, geben alle drei Kandidaten für den Vorsitz immer wieder ab. Spahn ist nun der erste, der das mit einer konkreten Frage unterlegt.

Auch wenn er nur Wahltaktik sein sollte, so ist der Vorstoß doch nicht zu unterschätzen. Linnemann, Spahn und der Vorsitzende der Jungen Union, Paul Ziemiak, haben in der Vergangenheit in der Partei schon manches durchgesetzt, was der Führung um Angela Merkel unliebsam war: von einem Beschluss über den Abbau der kalten Progression bis hin zur erneuten Diskussion über die doppelte Staatsbürgerschaft.

Karrieretechnisch hat davon bislang Spahn am meisten profitiert, als er mit Hilfe der MIT und der JU und gegen den damaligen Gesundheitsminister Hermann Gröhe den Sprung ins CDU-Präsidium schaffte. Gröhes Ressort hat Spahn inzwischen auch übernommen, weil die Kanzlerin an ihm bei der Besetzung des Kabinetts nicht mehr vorbeikam.

Spahn und Linnemann wissen außerdem zumindest einen Landesverband bereits hinter sich: Die CDU in Sachsen-Anhalt lehnte den Pakt am Wochenende ab, und zwar nicht gegen das Votum der Führung, sondern mit Zustimmung von Ministerpräsident Reiner Haseloff und des neuen Landesvorsitzenden Holger Stahlknecht.

Sachsen-Anhalt ist zwar kein großer Landesverband, das Votum verstärkt aber den Eindruck, dass die Skepsis gegen den Pakt sich vor allem in Ostdeutschland manifestiert. Auch Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer hatte jüngst den Umgang der Bundesregierung mit dem Pakt kritisiert. Das ist für die CDU heikel: 2019 wird in drei ostdeutschen Ländern, darunter Sachsen, gewählt.

Die CSU ist bisher überraschend ruhig

Kanzlerin und noch CDU-Chefin Angela Merkel ging Ende vergangener Woche für ihre Verhältnisse ungewöhnlich entschlossen gegen die Kritik am Migrationspakt vor: "Da werden Lügen in die Welt gesetzt. Und wenn da eine Lüge ist, muss man sie entlarven", sagte Merkel in einer Diskussion mit Bürgern in Chemnitz.

Der Pakt sei im "elementaren Interesse" Deutschlands, weil er zum Beispiel afrikanische Staaten auffordere, illegale Migration einzudämmen. Auch werde die Souveränität Deutschlands nicht eingeschränkt. Häufig verweisen Fürsprecher des Paktes auch darauf, dass alles, was an Hilfe für Migranten gefordert werde, in Deutschland längst Standard sei, und so in erster Linie andere Staaten unter Druck gerieten, die Bedingungen für Migranten zu verbessern.

Obwohl es um das Reizthema Zuwanderung geht, verhält sich die CSU noch überraschend ruhig. Nur Peter Ramsauer, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Entwicklungshilfe, lehnt den Pakt eindeutig ab. Er öffne der Migration nach Deutschland "Tür und Tor", so Ramsauer in der Welt. Ramsauers Behauptung, das Unbehagen werde in der CSU-Landesgruppe "auf breiter Front geteilt", ist zumindest indirekt ein Angriff auf deren Chef Alexander Dobrindt: Der hatte den Migrationspakt in der vergangenen Woche verteidigt.

© SZ vom 20.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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