Merkel-Rückzug:Das hat es in der CDU lange nicht gegeben

  • Angela Merkel wird nicht mehr für den CDU-Vorsitz kandidieren.
  • Damit ermöglicht Merkel der CDU eine Wahlfreiheit, wie sie die Partei lang nicht mehr kannte.
  • Drei prominente Kandidaten haben sich bereits in Stellung gebracht - der Ausgang ist offen.

Von Stefan Braun, Berlin

So schnell kann es gehen. Noch am Morgen glaubten die meisten Christdemokraten, auf dem CDU-Parteitag im Dezember werde die alte auch die neue CDU-Vorsitzende sein und Angela Merkel heißen. Einen halben Tag später steht nicht nur fest, dass Merkel nicht mehr antritt. Es ist darüber hinaus sehr wahrscheinlich, dass neben drei unbekannten mindestens drei namhafte Christdemokraten in das spannende Rennen gehen werden. Die Kanzlerin will zwar bis zum Ende der Legislaturperiode Regierungschefin bleiben. Aber beim Parteivorsitz öffnet sie der CDU eine Freiheit der Personalauswahl, wie es sie selten gegeben hat für die Christdemokraten.

Das heißt nicht, dass die Kanzlerin keine Favoritin hätte. Geht es nach Angela Merkel, dann wird ihre Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer heißen. Sie ist nicht nur Merkels Generalsekretärin, sondern hat ihr schon einmal aus der Patsche geholfen. Als die Frage im Raum stand, ob die damalige saarländische Ministerpräsidentin nach Berlin wechseln würde, war es AKK (wie sie in der CDU alle nennen), die erklärte, sie wolle keine Ministerin, sondern CDU-Generalsekretärin werden. Für Merkel war das ein Glücksfall; mit dem Beschluss erhielt sie Luft zum Atmen, obwohl die Kritik an ihr längst anschwoll.

Nicht viel anders wäre es, sollte Kramp-Karrenbauer Anfang Dezember zur neuen CDU-Vorsitzenden gewählt werden. Die beiden Frauen verstehen sich, trotz der unterschiedlichen Herkunft. Auch wenn die Saarländerin hie und da andere Töne anschlägt, gilt sie seit geraumer Zeit als Merkels enge Verbündete. In der Partei war sie lange Zeit nicht sonderlich bekannt; als sie 2010 das erste Mal ins CDU-Präsidium einzog, erhielt sie nur 57 Prozent der Stimmen. Ganz anders lief es im Februar 2018. Bei ihrer Wahl zur Generalsekretärin stimmten 98,9 Prozent für sie.

Die bisherige Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer wäre aus Merkels Sicht die beste Partnerin

So nah sich Merkel und Kramp-Karrenbauer persönlich sind, politisch identisch sind die beiden nicht. Immer wieder zeigte Kramp-Karrenbauer, dass sie in der Sozialpolitik eher weiter links steht und in der Gesellschaftspolitik in manchen Bereichen konservativer denkt. Noch als Ministerpräsidentin stellte sie sich mehrfach gegen die Linie der Bundespartei; mal unterstützte sie die Rufe nach einem Mindestlohn und einem höheren Spitzensteuersatz. Dann wieder lehnte sie die Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen mit der traditionellen Ehe ab. Widerstand also kennt die gebürtige Völklingerin - auch wenn das zwischen einer Kanzlerin Merkel und einer Parteivorsitzenden Kramp-Karrenbauer kaum zum Streit führen würde.

Anders liegen die Dinge bei Friedrich Merz. Eine Art Doppelspitze Merkel-Merz ist schwer vorstellbar; die meisten in der CDU würden sogar sagen: Das ist ausgeschlossen. Der ehemalige Vorsitzende der Bundestagsfraktion war in seiner aktiven Zeit nicht nur Konkurrent und Gegenspieler von Merkel. Der heute 62-Jährige hat den Bundestag bewusst aus Frust über die Kanzlerin und eine zunehmende "Sozialdemokratisierung der CDU" verlassen.

Merkel und Merz waren wie Hund und Katze

Allerdings galt Merz einst als genauso großes politisches Talent wie Merkel. Und weil Wolfgang Schäuble das früh erkannte, förderte er Merz in der Bundestagsfraktion und veranlasste nach seinem Rücktritt im Zuge des CDU-Spendenskandals, dass seine Ämter unter Merkel (Partei) und Merz (Fraktion) aufgeteilt wurden. Merkel und Merz waren von Anfang an wie Feuer und Wasser. Sie provozierte mit neuen liberalen, für die CDU teilweise schwer verdaulichen Ideen; er schuf sich in der CDU eine breite Fangemeinde mit rhetorisch leidenschaftlichen Auftritten als bekennender Marktwirtschaftler.

Dass Merkel ihn im Anschluss an die verlorene Bundestagswahl 2002 als Fraktionschef abservierte, hat Merz ihr und dem dabei mitspielenden Edmund Stoiber nie verziehen. Später erklärte er, in der entscheidenden Sitzung sei er nur deshalb nicht gegen sie angetreten, weil er eine Spaltung habe verhindern wollen. Schutzbehauptung oder tatsächlicher Friedensakt - die Verletzung ist geblieben.

Dass er zumindest zu jener Zeit für die Union enorm wichtig war, zeigte sich freilich an der Tatsache, dass Schäuble, Stoiber und selbst Merkel ihn damals bekniet haben, doch bitte als starker Fraktionsvize weiterzumachen. So heikel die Beziehungen waren, so wichtig erschien es allen, ihn an Bord zu behalten.

Zu kitten war das Verhältnis trotzdem nicht mehr. Und so verabschiedete sich Merz auf Raten: 2004 zog er sich aus dem CDU-Präsidium zurück; 2007 kündigte er seinen Rückzug an, 2009 verließ er schließlich den Bundestag, obwohl er seinen Wahlkreis mit Ergebnissen deutlich über fünfzig Prozent gewonnen hatte. In letzten größeren Interviews beklagte er damals einen Ansehensverlust des Parlaments und forderte mehr Leidenschaft in der Politik.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der gelernte Jurist als Wirtschaftsanwalt in einer großen internationalen Kanzlei begonnen und war an vielen Fusionen und Unternehmensverkäufen beteiligt. 2016 wechselte er zum US-Vermögensverwalter Blackrock und verteidigte dieses Engagement mit dem Hinweis, das Unternehmen sei "alles andere als eine Heuschrecke".

Von der Seitenlinie aus hat Friedrich Merz immer wieder politische Aufgaben übernommen

So sehr sich Merz aus der aktiven Politik zurückzog - mit der CDU hat er nie abgeschlossen. Enge Weggefährten erzählen immer wieder, wie sehr Merz jede Wahl und jede Stimmung aufsaugt. Außerdem hat er in den letzten Jahren an der Seitenlinie immer wieder kleinere Aufgaben übernommen. Mal beriet er Julia Klöckner in Rheinland-Pfalz, dann wieder folgte er dem Ruf Armin Laschets, er möge doch Brexit-Beauftragter des Landes Nordrhein-Westfalen werden. Daneben führt er seit 2009 die Atlantik-Brücke, die sich um die deutsch-amerikanischen Beziehungen kümmert. Nichts davon sind riesige Jobs, und doch hielt Merz Kontakt zur Politik - und zu einflussreichen Christdemokraten. Als Wolfgang Schäuble 2017 seinen 75. Geburtstag feierte, saß Merz nicht nur bei der offiziellen Feier in der ersten Reihe. Er war auch zum Familienfest eingeladen.

Als Politiker eckte Merz mit nichts so sehr an wie im Jahr 2000 mit seinem Ruf nach einer deutschen Leitkultur. Doch was ihm damals bei politischen Gegnern innerhalb und außerhalb der CDU als Attacke gegen Flüchtlinge heftigen Widerspruch einbrachte, würde heute - nach dem Flüchtlingssommer 2015 - womöglich in einem anderen Lichte betrachtet. Und für eine echte Überraschung sorgte er zuletzt, als er in einem Aufruf mit dem Philosophen Jürgen Habermas und den Sozialdemokraten Hans Eichel und Brigitte Zypries für mehr Solidarität in Europa eintrat.

Eines freilich wird auch das nicht bewirken: dass es doch noch zu einem Tandem Merkel-Merz kommen könnte. Für alle, die einen radikalen Neuanfang in Berlin fürchten, könnte es deshalb schwer werden, Merz ihre Stimme zu geben.

Genau darauf könnte Jens Spahn spekulieren. Der dritte unter den prominenten Kandidaten gilt zwar nicht als Merkel-Freund. Aber es könnte sein, dass der Bundesgesundheitsminister ein Tandem für einige Jahre aushalten könnte, weil er mit seinen 38 Jahren schlicht genügend Zeit hat.

Spahn gilt nicht nur als besonders ehrgeizig; er hat sich zuletzt zielstrebig auch in konservative Kreise hinein vernetzt. Trotzdem werden ihm bislang am wenigsten Chancen eingeräumt. Zu eigensinnig und ichfixiert sei er, heißt es bei vielen Christdemokraten. Sicher ist nur eines: dass derzeit niemand sagen kann, wie diese Sache ausgeht. Das hat es in der CDU schon lange nicht mehr gegeben.

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