Süddeutsche Zeitung

CDU:Hort der Einzelkämpfer

Die Christdemokraten setzen gerade ihre politische Dominanz in Deutschland aufs Spiel. Verantwortlich dafür sind nicht nur die CDU-Spitze und der Thüringer Landesverband. Schuld daran ist auch Angela Merkel.

Kommentar von Robert Roßmann, Berlin

In diesen Tagen sollte sich die CDU das Schicksal der Democrazia Cristiana vor Augen halten. Italien und die DC, das war lange Zeit fast dasselbe. Ein halbes Jahrhundert lang stellte die Partei beinahe ununterbrochen die Regierungschefs. Doch dann implodierte sie, heute gibt es die DC nicht mehr. In ihrer Abschiedsrede als CDU-Chefin Ende 2018 hat Angela Merkel an das Schicksal der einstigen Schwesterpartei erinnert. Während der Spendenaffäre habe die CDU vor dem Aus gestanden, sagte Merkel. Nicht wenige hätten der Union damals ein Schicksal wie jenes der Democrazia Cristiana vorhergesagt. Doch die CDU habe sich "nicht irremachen lassen", "einen kühlen Kopf bewahrt", "sich auf die eigenen Stärken besonnen" - und sei so wieder auf die Beine gekommen. Womit auch schon das aktuelle Problem der CDU beschrieben wäre: Sie steckt gerade in ähnlich großen Schwierigkeiten wie vor zwanzig Jahren in der Spendenaffäre. Aber die Bundes-CDU bewahrt keinen kühlen Kopf, der Thüringer Landesverband agiert politisch irre. Und was die eigenen Stärken der CDU sind, das weiß in diesen Tagen kaum noch jemand.

Am Sonntag hat die CDU ihr schlechteste Ergebnis bei einer Landtagswahl seit mehr als 60 Jahren eingefahren, sie kam in Hamburg nur noch auf 11,2 Prozent. In Thüringen schneidet sie in den Umfragen kaum besser ab. Die CDU steht zwar noch nicht vor einer Implosion - anders als bei der DC damals sind bei der Union heute keine Politiker in Korruptionsfälle verwickelt. Aber die Stellung der CDU als dominierende politische Kraft in Deutschland ist akut in Gefahr. Bei der Europawahl kam sie nur noch in einer der zehn größten Städte hierzulande auf den ersten Platz. Und bundesweit sind ihr die Grünen gefährlich nahe gerückt.

Ausgerechnet in dieser Lage ist die CDU führungslos - seit ihrer Rückzugsankündigung fehlt es Annegret Kramp-Karrenbauer endgültig an der nötigen Kraft. Auch mit der Autorität von Wolfgang Schäuble, dem Übervater der Partei, scheint es nicht mehr weit her zu sein. Das hat sich schon in der Debatte über eine Verkleinerung des Bundestages - ein Herzensthema Schäubles - gezeigt, als die Union die Vorschläge des Bundestagspräsidenten einfach ignorierte. Und das konnte man jetzt wieder erleben. Schäuble hatte seine Partei dazu aufgerufen, sich nicht irremachen zu lassen und den nächsten CDU-Chef frühestens Ende des Jahres zu wählen. Doch die Parteispitze entschied sich am Montag dafür, zum rechtlich schnellstmöglichen Zeitpunkt Ende April einen Sonderparteitag einzuberufen.

Bei Merkel hat man den Eindruck, dass sie sich mit der CDU nur noch befasst wie ein Insektenforscher mit einer Heuschrecke: interessiert, aber ohne besondere Empathie

Schäuble wollte, dass die Partei erst einmal klärt, wofür sie steht. Das wäre auch dringend nötig gewesen. Nach 15 Jahren Merkel im Kanzleramt ist die Partei inhaltlich entkernt. Dass der CDU eine Kooperation mit der Thüringer Linkspartei so schwerfällt, liegt ja auch daran, dass sie fürchtet, dann endgültig als beliebig wahrgenommen zu werden.

Eigentlich müsste die CDU jetzt zusammenstehen. Doch Kramp-Karrenbauers Stellvertreter sind in den vergangenen Monaten nicht gerade durch ein Übermaß an Loyalität aufgefallen, von Friedrich Merz ganz zu schweigen - die CDU-Chefin hat auch deshalb aufgegeben. "Irgendwann ist es einfach zu viel für einen Menschen", sagte Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus zu alledem. In der CDU sind die Differenzen inzwischen derart groß, dass aus der gut geölten Kanzlerwahlmaschine von einst ein Hort von Einzelkämpfern geworden ist. Das gilt auch für die Kanzlerin.

Bei Merkel hat man den Eindruck, dass sie sich mit der CDU nur noch befasst wie ein Insektenforscher mit einer Heuschrecke: mit Interesse, aber ohne besondere Empathie. Es gibt nicht wenige in der CDU, die glauben, dass Merkel die Wahl eines Thüringer Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD vor allem deshalb so hart verurteilt hat, weil sie die Koalition in Berlin retten wollte, um die deutsche EU-Ratspräsidentschaft noch als Kanzlerin zu erleben. Als sich Ole von Beust 2001 mit Stimmen der Schill-Partei zum Ersten Bürgermeister Hamburgs hatte wählen lassen, forderte die damalige CDU-Chefin Merkel jedenfalls nicht, das Ergebnis der Wahl rückgängig zu machen. Stattdessen zeigte sie sich erfreut, dass die CDU "gemeinsam mit anderen gewinnen kann". Dabei kann man sich Ronald Schill auch sehr gut in der AfD vorstellen.

Merkel hätte ihrer Partei in den vergangenen Wochen mit einer größeren Kabinettsumbildung helfen können, aus dem Stimmungstief zu kommen. Und sie hätte eine Teamlösung unter den Interessenten für den CDU-Vorsitz erleichtern können, indem sie Veränderungen bei den Ministerposten angeboten hätte. Aber die Kanzlerin scheint sich nicht mehr an neue Leute in ihrer Umgebung gewöhnen zu wollen. Sie möchte die Legislaturperiode bequem zu Ende regieren.

Wenn Merkel so weitermacht, wenn die Thüringer CDU weiter derart dilettiert und wenn die Bundes-CDU nach der Wahl von Armin Laschet, Friedrich Merz oder Norbert Röttgen nicht zu einem loyalen Umgang zurückfindet, dann könnte es mit der politischen Dominanz der CDU in Deutschland tatsächlich bald vorbei sein.

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SZ vom 25.02.2020
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